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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Ein anderer Witz ist, daß die schlechten Silbersechser, welche der Finanz¬
minister prägen ließ, Krausemünze genannt wird.

Das Erbrechen der Briefe und die Aufhebung der Freihafen hat eine starke
Discussion hervorgebracht, ohne daß für die Zukunft auf diese Privilegien Verzicht
geleistet wird. Die Denunciation des Czechen Rieger, weil dieser in Paris den
Fürsten Czartorisky besuchte, werde von ministeriellen Blättern betrieben; allein
das bei dem polnischen Emissär Czaplicki gefundene Protokoll ist nicht einmal ge¬
eignet, darauf eine Hochverrathsklage zu gründen.

Zu den erfreulichen Erscheinungen gehört, daß der Gouverneur Melden we¬
niger sich mit Abfassung von Proclamationen beschäftigt, hingegen die Literaten
Wiens Muth fassen, Einiges in die Oeffentlichkeit zu senden. Das Jnteressanteste
ist Beck's Gedicht: An Franz Joseph, das Amnestie verlangt in klingenden Versen.

Die Bildcrausstelluug ist nicht des Erwähnens werth, und die Kuustinstitute,
vin^o Theater, stagniren in vormärzlichen Repertoir.




Deutsche Flüchtlinge in der Schweiz.



Auf einer langen Halbinsel, rings umwunden von dem mäandrischen Bande
der dunkelgrünen Aar, liegt die alte Stadt Bern, der Hochsitz des schweizerischen
Patrizierthums und Fremdenhasses, und so enge drängen ihre rothen Sandstein-
hänser sich zusammen, als wollten sie selbst dem Wind, der vom Ausland kommt,
den Einzug in ihre Mitte wehren. Aber vergeblich -- folgen Sie mir und Sie
werden sehen, daß das deutsche Element plötzlich so prädominirend in Bern ge¬
worden ist, wie man das früher nie für möglich gehalten hätte. Unter den Pla¬
tanen auf der Enge erkennen Sie augenblicklich den lieben sächsischen Dialect einer
Gruppe, am Bärengrabeu unterhalten sich Berliner, in den Lauben -- Säulen-
gängen längs den Hauptstraßen -- stoßen Sie mit jedem Schritt auf einen echten
Sohn Germaniens, welcher in dem schmutzigen Demokratenhut und Sammtrock
gar nicht zu verkennen ist, und erst auf dem Cas" Milano wird es Ihnen vor¬
kommen, als befanden Sie sich in einer Conferenz von Abgeordneten sämmtlicher
deutschen Sprachstämme. Die Schweiz, und vorzugsweise die Städte Bern und
Zürich, wimmeln von Flüchtlingen aus Berlin, Sachsen, Frankfurt, der Pfalz
und Baden, wie ein Bienenkorb; aber sie sind nur selten fleißige Arbeits¬
bienen, der Mehrzahl nach faule Drohnen, welche sich auf Unkosten Anderer
reichlich zu nähren gedenken, und als solche steht sie auch der Schweizer mit
scheelem Auge an, verwünscht sie und ihr Vaterland. Wüthender aber ist Nie-


Ein anderer Witz ist, daß die schlechten Silbersechser, welche der Finanz¬
minister prägen ließ, Krausemünze genannt wird.

Das Erbrechen der Briefe und die Aufhebung der Freihafen hat eine starke
Discussion hervorgebracht, ohne daß für die Zukunft auf diese Privilegien Verzicht
geleistet wird. Die Denunciation des Czechen Rieger, weil dieser in Paris den
Fürsten Czartorisky besuchte, werde von ministeriellen Blättern betrieben; allein
das bei dem polnischen Emissär Czaplicki gefundene Protokoll ist nicht einmal ge¬
eignet, darauf eine Hochverrathsklage zu gründen.

Zu den erfreulichen Erscheinungen gehört, daß der Gouverneur Melden we¬
niger sich mit Abfassung von Proclamationen beschäftigt, hingegen die Literaten
Wiens Muth fassen, Einiges in die Oeffentlichkeit zu senden. Das Jnteressanteste
ist Beck's Gedicht: An Franz Joseph, das Amnestie verlangt in klingenden Versen.

Die Bildcrausstelluug ist nicht des Erwähnens werth, und die Kuustinstitute,
vin^o Theater, stagniren in vormärzlichen Repertoir.




Deutsche Flüchtlinge in der Schweiz.



Auf einer langen Halbinsel, rings umwunden von dem mäandrischen Bande
der dunkelgrünen Aar, liegt die alte Stadt Bern, der Hochsitz des schweizerischen
Patrizierthums und Fremdenhasses, und so enge drängen ihre rothen Sandstein-
hänser sich zusammen, als wollten sie selbst dem Wind, der vom Ausland kommt,
den Einzug in ihre Mitte wehren. Aber vergeblich — folgen Sie mir und Sie
werden sehen, daß das deutsche Element plötzlich so prädominirend in Bern ge¬
worden ist, wie man das früher nie für möglich gehalten hätte. Unter den Pla¬
tanen auf der Enge erkennen Sie augenblicklich den lieben sächsischen Dialect einer
Gruppe, am Bärengrabeu unterhalten sich Berliner, in den Lauben — Säulen-
gängen längs den Hauptstraßen — stoßen Sie mit jedem Schritt auf einen echten
Sohn Germaniens, welcher in dem schmutzigen Demokratenhut und Sammtrock
gar nicht zu verkennen ist, und erst auf dem Cas« Milano wird es Ihnen vor¬
kommen, als befanden Sie sich in einer Conferenz von Abgeordneten sämmtlicher
deutschen Sprachstämme. Die Schweiz, und vorzugsweise die Städte Bern und
Zürich, wimmeln von Flüchtlingen aus Berlin, Sachsen, Frankfurt, der Pfalz
und Baden, wie ein Bienenkorb; aber sie sind nur selten fleißige Arbeits¬
bienen, der Mehrzahl nach faule Drohnen, welche sich auf Unkosten Anderer
reichlich zu nähren gedenken, und als solche steht sie auch der Schweizer mit
scheelem Auge an, verwünscht sie und ihr Vaterland. Wüthender aber ist Nie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/70>, abgerufen am 15.01.2025.