Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haberin innerhalb der nächsten acht Tage die Grenze nicht überschritten habe. Na¬
türlich konnte die Dame die vier schlimmsten Wintermonate nicht zum Genuß eines
Bades gebrauchen, und somit war ihre Reise verhindert.




Briefe aus Oestreich.
Von einem deutschen Reisenden.



So eben komme ich von einem Ausflug durchs Oberland.--Ich war
in Linz, Ischl, Salzburg, Berchtesgaden, Gastein, Aussen u. s. w., -- von Ischl
aus überall zu Fuße, habe ein Dutzend Seen befahren, mehrere Gletscher ange¬
gafft und mich überzeugt, daß die Civilisation hie und da bis in die Schneelinie
hinaufkriecht. Die Sennerin auf der K...alm schnupft mit einer, von Gott Amor
zerfressenen Nase Tabak. Die Luft ist dort überall reiner und deutscher, als in
Wien; je näher man den Bergen kommt, desto naiver und starkwadiger tritt das
Deutschthum mit seinen unbeholfenen Tugenden und liebenswürdigen Fehlern auf,
aber was unten in Wien nnr durch den Säbel, das ist da oben noch durch einen
gelinden Klaps mit dem Krummstab möglich. In manchen Gegenden muß auf
Befehl des Kardinals Fürsten Schwarzenberg die Erde still stehen, und als wollte
sich die Alpennatur als sympathetische Mitarbeiterin der Mutter Kirche zeigen,
bringt sie heerdenweise "Trotteln" (Cretins) hervor. Am Felsgcstade zauberhafter
Bergseen, in traulichen Thälern, durchädert vou paradiesisch klaren Bächlein, wider¬
hallend von lyrischen Wasserfällen, welche täglich zweimal ein Regenbogen krönt,
von noch malerischeren Schleiersällen, die von thurmhohen Klippen wie gespon¬
nenes Glas unablässig niederschweben, auf deu Halden, wo im hohen, augen-
labendcn Grün die gemeine Wiesenstora des Flachlandes in zarteren, veredelten
und duftigeren Gestalten wiederkehrt, -- in solchen Asylen, wo selbst blastrte
Städter noch einmal in den Kinder- und Poeteutraum vom goldenen Zeitalter,
dem ewigen Frieden und Glück der Menschheit versinken, -- da werdet Ihr
plötzlich durch die Erscheinung des "Rousseau'scheu Menschen" aufgeschreckt, denn
der Trottel, mit oder ohne Riesenkropf, scheint gemacht, um auf allen Vieren zu
gehe". Mit säuglingsartigcm Gelall und Gestotter bettelt er den Wanderer an
und dankt mit kindischem Gelächter, gleichviel ob er einen Groschen oder ein
bloßes Helf Gott! erhalten. Der Trottel kommt in ganzen Familien vor und
pflanzt seines Gleichen fort. So viel ich weiß, hat die Regierung noch keinen
versuch anstellen lassen, der Erhaltung und Ausbreitung dieser Race entgegen
M treten. Im Morgenland wird der Wahnsinn heilig geachtet, vielleicht herrscht


^->5

haberin innerhalb der nächsten acht Tage die Grenze nicht überschritten habe. Na¬
türlich konnte die Dame die vier schlimmsten Wintermonate nicht zum Genuß eines
Bades gebrauchen, und somit war ihre Reise verhindert.




Briefe aus Oestreich.
Von einem deutschen Reisenden.



So eben komme ich von einem Ausflug durchs Oberland.--Ich war
in Linz, Ischl, Salzburg, Berchtesgaden, Gastein, Aussen u. s. w., — von Ischl
aus überall zu Fuße, habe ein Dutzend Seen befahren, mehrere Gletscher ange¬
gafft und mich überzeugt, daß die Civilisation hie und da bis in die Schneelinie
hinaufkriecht. Die Sennerin auf der K...alm schnupft mit einer, von Gott Amor
zerfressenen Nase Tabak. Die Luft ist dort überall reiner und deutscher, als in
Wien; je näher man den Bergen kommt, desto naiver und starkwadiger tritt das
Deutschthum mit seinen unbeholfenen Tugenden und liebenswürdigen Fehlern auf,
aber was unten in Wien nnr durch den Säbel, das ist da oben noch durch einen
gelinden Klaps mit dem Krummstab möglich. In manchen Gegenden muß auf
Befehl des Kardinals Fürsten Schwarzenberg die Erde still stehen, und als wollte
sich die Alpennatur als sympathetische Mitarbeiterin der Mutter Kirche zeigen,
bringt sie heerdenweise „Trotteln" (Cretins) hervor. Am Felsgcstade zauberhafter
Bergseen, in traulichen Thälern, durchädert vou paradiesisch klaren Bächlein, wider¬
hallend von lyrischen Wasserfällen, welche täglich zweimal ein Regenbogen krönt,
von noch malerischeren Schleiersällen, die von thurmhohen Klippen wie gespon¬
nenes Glas unablässig niederschweben, auf deu Halden, wo im hohen, augen-
labendcn Grün die gemeine Wiesenstora des Flachlandes in zarteren, veredelten
und duftigeren Gestalten wiederkehrt, — in solchen Asylen, wo selbst blastrte
Städter noch einmal in den Kinder- und Poeteutraum vom goldenen Zeitalter,
dem ewigen Frieden und Glück der Menschheit versinken, — da werdet Ihr
plötzlich durch die Erscheinung des „Rousseau'scheu Menschen" aufgeschreckt, denn
der Trottel, mit oder ohne Riesenkropf, scheint gemacht, um auf allen Vieren zu
gehe». Mit säuglingsartigcm Gelall und Gestotter bettelt er den Wanderer an
und dankt mit kindischem Gelächter, gleichviel ob er einen Groschen oder ein
bloßes Helf Gott! erhalten. Der Trottel kommt in ganzen Familien vor und
pflanzt seines Gleichen fort. So viel ich weiß, hat die Regierung noch keinen
versuch anstellen lassen, der Erhaltung und Ausbreitung dieser Race entgegen
M treten. Im Morgenland wird der Wahnsinn heilig geachtet, vielleicht herrscht


^->5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279603"/>
          <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> haberin innerhalb der nächsten acht Tage die Grenze nicht überschritten habe. Na¬<lb/>
türlich konnte die Dame die vier schlimmsten Wintermonate nicht zum Genuß eines<lb/>
Bades gebrauchen, und somit war ihre Reise verhindert.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe aus Oestreich.<lb/><note type="byline"> Von einem deutschen Reisenden.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> So eben komme ich von einem Ausflug durchs Oberland.--Ich war<lb/>
in Linz, Ischl, Salzburg, Berchtesgaden, Gastein, Aussen u. s. w., &#x2014; von Ischl<lb/>
aus überall zu Fuße, habe ein Dutzend Seen befahren, mehrere Gletscher ange¬<lb/>
gafft und mich überzeugt, daß die Civilisation hie und da bis in die Schneelinie<lb/>
hinaufkriecht. Die Sennerin auf der K...alm schnupft mit einer, von Gott Amor<lb/>
zerfressenen Nase Tabak. Die Luft ist dort überall reiner und deutscher, als in<lb/>
Wien; je näher man den Bergen kommt, desto naiver und starkwadiger tritt das<lb/>
Deutschthum mit seinen unbeholfenen Tugenden und liebenswürdigen Fehlern auf,<lb/>
aber was unten in Wien nnr durch den Säbel, das ist da oben noch durch einen<lb/>
gelinden Klaps mit dem Krummstab möglich. In manchen Gegenden muß auf<lb/>
Befehl des Kardinals Fürsten Schwarzenberg die Erde still stehen, und als wollte<lb/>
sich die Alpennatur als sympathetische Mitarbeiterin der Mutter Kirche zeigen,<lb/>
bringt sie heerdenweise &#x201E;Trotteln" (Cretins) hervor. Am Felsgcstade zauberhafter<lb/>
Bergseen, in traulichen Thälern, durchädert vou paradiesisch klaren Bächlein, wider¬<lb/>
hallend von lyrischen Wasserfällen, welche täglich zweimal ein Regenbogen krönt,<lb/>
von noch malerischeren Schleiersällen, die von thurmhohen Klippen wie gespon¬<lb/>
nenes Glas unablässig niederschweben, auf deu Halden, wo im hohen, augen-<lb/>
labendcn Grün die gemeine Wiesenstora des Flachlandes in zarteren, veredelten<lb/>
und duftigeren Gestalten wiederkehrt, &#x2014; in solchen Asylen, wo selbst blastrte<lb/>
Städter noch einmal in den Kinder- und Poeteutraum vom goldenen Zeitalter,<lb/>
dem ewigen Frieden und Glück der Menschheit versinken, &#x2014; da werdet Ihr<lb/>
plötzlich durch die Erscheinung des &#x201E;Rousseau'scheu Menschen" aufgeschreckt, denn<lb/>
der Trottel, mit oder ohne Riesenkropf, scheint gemacht, um auf allen Vieren zu<lb/>
gehe». Mit säuglingsartigcm Gelall und Gestotter bettelt er den Wanderer an<lb/>
und dankt mit kindischem Gelächter, gleichviel ob er einen Groschen oder ein<lb/>
bloßes Helf Gott! erhalten. Der Trottel kommt in ganzen Familien vor und<lb/>
pflanzt seines Gleichen fort. So viel ich weiß, hat die Regierung noch keinen<lb/>
versuch anstellen lassen, der Erhaltung und Ausbreitung dieser Race entgegen<lb/>
M treten. Im Morgenland wird der Wahnsinn heilig geachtet, vielleicht herrscht</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ^-&gt;5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] haberin innerhalb der nächsten acht Tage die Grenze nicht überschritten habe. Na¬ türlich konnte die Dame die vier schlimmsten Wintermonate nicht zum Genuß eines Bades gebrauchen, und somit war ihre Reise verhindert. Briefe aus Oestreich. Von einem deutschen Reisenden. So eben komme ich von einem Ausflug durchs Oberland.--Ich war in Linz, Ischl, Salzburg, Berchtesgaden, Gastein, Aussen u. s. w., — von Ischl aus überall zu Fuße, habe ein Dutzend Seen befahren, mehrere Gletscher ange¬ gafft und mich überzeugt, daß die Civilisation hie und da bis in die Schneelinie hinaufkriecht. Die Sennerin auf der K...alm schnupft mit einer, von Gott Amor zerfressenen Nase Tabak. Die Luft ist dort überall reiner und deutscher, als in Wien; je näher man den Bergen kommt, desto naiver und starkwadiger tritt das Deutschthum mit seinen unbeholfenen Tugenden und liebenswürdigen Fehlern auf, aber was unten in Wien nnr durch den Säbel, das ist da oben noch durch einen gelinden Klaps mit dem Krummstab möglich. In manchen Gegenden muß auf Befehl des Kardinals Fürsten Schwarzenberg die Erde still stehen, und als wollte sich die Alpennatur als sympathetische Mitarbeiterin der Mutter Kirche zeigen, bringt sie heerdenweise „Trotteln" (Cretins) hervor. Am Felsgcstade zauberhafter Bergseen, in traulichen Thälern, durchädert vou paradiesisch klaren Bächlein, wider¬ hallend von lyrischen Wasserfällen, welche täglich zweimal ein Regenbogen krönt, von noch malerischeren Schleiersällen, die von thurmhohen Klippen wie gespon¬ nenes Glas unablässig niederschweben, auf deu Halden, wo im hohen, augen- labendcn Grün die gemeine Wiesenstora des Flachlandes in zarteren, veredelten und duftigeren Gestalten wiederkehrt, — in solchen Asylen, wo selbst blastrte Städter noch einmal in den Kinder- und Poeteutraum vom goldenen Zeitalter, dem ewigen Frieden und Glück der Menschheit versinken, — da werdet Ihr plötzlich durch die Erscheinung des „Rousseau'scheu Menschen" aufgeschreckt, denn der Trottel, mit oder ohne Riesenkropf, scheint gemacht, um auf allen Vieren zu gehe». Mit säuglingsartigcm Gelall und Gestotter bettelt er den Wanderer an und dankt mit kindischem Gelächter, gleichviel ob er einen Groschen oder ein bloßes Helf Gott! erhalten. Der Trottel kommt in ganzen Familien vor und pflanzt seines Gleichen fort. So viel ich weiß, hat die Regierung noch keinen versuch anstellen lassen, der Erhaltung und Ausbreitung dieser Race entgegen M treten. Im Morgenland wird der Wahnsinn heilig geachtet, vielleicht herrscht ^->5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/55>, abgerufen am 15.01.2025.