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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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dem bevorstehenden Aussterben des Mannesstammcs der königlichen Linie an den Rand
des Verderbens führen würde, wohlan so lasse man seine Hände ganz ans dem Spiel;
Schleswig-Holstein ist jetzt mächtig genug, dem Dänen anch allein die Spitze zu bieten.
Letzterer wird, wenn er es nnr mit den "Jusurgenters" zu thun hat, schon der Ehre
halber losschlagen, und wir müßten die Bewohner der einzigen deutschen Halbinsel
schlecht kennen, wenn sie nicht ein zweites Marathon - Bornhöved in ihre Annalen
zeichneten.

Geht doch eine alte Prophezeihung durch's Land, nach der auf der weiten Ebene
zwischen Flensburg und Apeurade der Erbfeind des Landes in einer dreitägigen Schlacht
für immer besiegt werden soll, von den Nachkommen der nordalbingischcn Sachsen.


Ä. Ä.


Literaturblatt der Grenz boten.



Shakespeare von Gervinus. Z.Band. Leipzig, Engelmann. - - Der dritte
Band dieses Werks, dessen beide ersten Bände wir ausführlicher in No. dieses
Blattes besprochen haben, enthält die dritte Periode der dramatischen Dichtung Shakes¬
peare's, die Lustspiele "Wie es euch gefällt," "Viel Lärmen um Nichts," "Was ihr
wollt," "Maaß für Maaß," "Cymbelinc;" die Tragödien "Othello," "Hamlet,"
"Macbeth," "Lear." Die Mehrzahl der Leser wird dem Kritiker auf bekannteren
Terrain mit größerem Interesse folgen, wir mochten doch der Abhandlung über die hi¬
storischen Stücke den Vorzug geben, in der sich Gervinus auf seinem eignen Boden
befindet. Dennoch ist anch dieser Band eine höchst anerkennenswerthe Leistung, nament¬
lich wegen der Strenge, mit der die Kritik überall, wo unsere frühere Schule die
phantastische Freiheit eines souveränen Geistes oder die mystische Tiefe einer dem Pöbel
unnahbaren dichterischen Kraft fürchtend zu verehren gewöhnt war, die künstlerische,
also menschlich verständige Absteht nachzuweisen versucht hat, von den Hexcnscenen an
bis zu den Possen im Ardenner-Walde. Freilich ist es zuweilen anch nnr bei dem
Versuch geblieben, und wenn z. B. in /^s )'"n it dnrch eine Erzählung, in der
ungefähr dasselbe vorkommt, was im Stück, die Kunst gerettet werden soll, so über¬
nehme ich, bei jedem beliebigen Stück von Immermann oder Tieck dasselbe zu leisten.
Freilich wird sich Sinn und Verstand bei Shakespeare nie verläugnen, und je über¬
müthiger er wird, um so glänzender werden die Sprühfunken seines Witzes fallen. Es
kommt aber nicht darauf an, wie viel vortreffliche Dinge in einem dramatischen Kunst¬
werk vorkommen, sondern wie vortrefflich es ist. Darum muß ich auch die allgemeine
Meinung, wie sie sich z. V. über den Werth des Cymbeline und über die Auslegung
verschiedener einzelner Stellen und Churaktere gebildet hat, gegen Gervinus in Schutz
nehmen. Was Gervinus über Cymbeliue im Einzelnen anführt, ist wahr, und den¬
noch ist der Cymbeline ein mittelmäßiges Stück, trotz des nachgewiesenen Parallelismus,
dem unser Kritiker wie in der Geschichte, so auch in diese" künstlerischen Explicationen
mit etwas zu großem Eifer nachgeht. Erfreulich ist die Wärme, mit der Othello,
Mcbeth und Lear besprochen sind, und es ist ein hoher Ruhm sür den Dichter, daß


dem bevorstehenden Aussterben des Mannesstammcs der königlichen Linie an den Rand
des Verderbens führen würde, wohlan so lasse man seine Hände ganz ans dem Spiel;
Schleswig-Holstein ist jetzt mächtig genug, dem Dänen anch allein die Spitze zu bieten.
Letzterer wird, wenn er es nnr mit den „Jusurgenters" zu thun hat, schon der Ehre
halber losschlagen, und wir müßten die Bewohner der einzigen deutschen Halbinsel
schlecht kennen, wenn sie nicht ein zweites Marathon - Bornhöved in ihre Annalen
zeichneten.

Geht doch eine alte Prophezeihung durch's Land, nach der auf der weiten Ebene
zwischen Flensburg und Apeurade der Erbfeind des Landes in einer dreitägigen Schlacht
für immer besiegt werden soll, von den Nachkommen der nordalbingischcn Sachsen.


Ä. Ä.


Literaturblatt der Grenz boten.



Shakespeare von Gervinus. Z.Band. Leipzig, Engelmann. - - Der dritte
Band dieses Werks, dessen beide ersten Bände wir ausführlicher in No. dieses
Blattes besprochen haben, enthält die dritte Periode der dramatischen Dichtung Shakes¬
peare's, die Lustspiele „Wie es euch gefällt," „Viel Lärmen um Nichts," „Was ihr
wollt," „Maaß für Maaß," „Cymbelinc;" die Tragödien „Othello," „Hamlet,"
„Macbeth," „Lear." Die Mehrzahl der Leser wird dem Kritiker auf bekannteren
Terrain mit größerem Interesse folgen, wir mochten doch der Abhandlung über die hi¬
storischen Stücke den Vorzug geben, in der sich Gervinus auf seinem eignen Boden
befindet. Dennoch ist anch dieser Band eine höchst anerkennenswerthe Leistung, nament¬
lich wegen der Strenge, mit der die Kritik überall, wo unsere frühere Schule die
phantastische Freiheit eines souveränen Geistes oder die mystische Tiefe einer dem Pöbel
unnahbaren dichterischen Kraft fürchtend zu verehren gewöhnt war, die künstlerische,
also menschlich verständige Absteht nachzuweisen versucht hat, von den Hexcnscenen an
bis zu den Possen im Ardenner-Walde. Freilich ist es zuweilen anch nnr bei dem
Versuch geblieben, und wenn z. B. in /^s )'»n it dnrch eine Erzählung, in der
ungefähr dasselbe vorkommt, was im Stück, die Kunst gerettet werden soll, so über¬
nehme ich, bei jedem beliebigen Stück von Immermann oder Tieck dasselbe zu leisten.
Freilich wird sich Sinn und Verstand bei Shakespeare nie verläugnen, und je über¬
müthiger er wird, um so glänzender werden die Sprühfunken seines Witzes fallen. Es
kommt aber nicht darauf an, wie viel vortreffliche Dinge in einem dramatischen Kunst¬
werk vorkommen, sondern wie vortrefflich es ist. Darum muß ich auch die allgemeine
Meinung, wie sie sich z. V. über den Werth des Cymbeline und über die Auslegung
verschiedener einzelner Stellen und Churaktere gebildet hat, gegen Gervinus in Schutz
nehmen. Was Gervinus über Cymbeliue im Einzelnen anführt, ist wahr, und den¬
noch ist der Cymbeline ein mittelmäßiges Stück, trotz des nachgewiesenen Parallelismus,
dem unser Kritiker wie in der Geschichte, so auch in diese» künstlerischen Explicationen
mit etwas zu großem Eifer nachgeht. Erfreulich ist die Wärme, mit der Othello,
Mcbeth und Lear besprochen sind, und es ist ein hoher Ruhm sür den Dichter, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/361>, abgerufen am 15.01.2025.