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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Reifetagebnch aus dem östreichischen Oberland.



4. Der Hof und die IMer.

Auf der Lüneburger Haide waren am 19. August I84V gerade so viele, so
hohe und reizende Gebirge zu sehen, wie im Thale von Ischl. Am 18. nämlich,
Sonnabends, zum Geburtstage des Kaisers Franz Joseph, sollte ich dort eintreffen,
ahnte jedoch nicht, daß mir ein Courier vorausgeeilt war, der eine für Himmel und
Erde gleich wichtige Botschaft in der Tasche trug. In Folge davon verließ der junge
Monarch augenblicklich sein Nesidenzdvrs und reiste nach Wien ab, --eine Stunde vor
Ischl begegnete ich seinen vier Schimmeln, -- der Himmel aber, um mit den Radikalen
zu reden, "weinte vor Wuth über Görgey's Ergebung" von demselben Sonnabend
an bis zum darauf folgenden Freitag. Der Jschle "Schnüvelregen," von welchem Sie
im Auslande wahrscheinlich keinen Begriff haben, verdiente wohl ein eigenes Ka¬
pitel. In den ersten Tagen seiner Herrschaft machte er mir eine wahre Freude;
stundenlang stand ich am Fenster und konnte nicht umhin, diesen unerbittlichen,
mit fortwährend steigender Wuth niederrauschenden sündfluthlichen Urrege", der
über ganz Ischl Belagerungszustand und Hausarrest verhängte und in einer Ent¬
fernung von zwanzig Schritten schon Alles außer sich selbst unsichtbar machte,
aufrichtig zu bewundern und mit Spannung zu beobachten. Nach achtundvierzig-
stündiger rud- Und athemloser Arbeit schien er einen Augenblick ermatten zu wol¬
le", doch es war Täuschung, er trat nur in eine neue Phase. Während er näm¬
lich den östlichen und nördlichen Himmel vollständig einnahm, wurde es im Westen
stille. Dann stiegen dort unablässig gewaltige Nebel, die Geister des gefallenen
Regens, von der Erde bis zur Sonnengcgeud auf, mit riesigen Wassereimern i"
den ossiauischen Händen, welche sie auf der andern Seite, triumphirend nieder-
gössen. So ging's in Einem fort wie ein Rad in der Wasserkunst. Der Fremde
erschrickt anfangs über das seltene Schauspiel und fragt sich ängstlich, wann die
Leute endlich anfangen werden, die Arche Noä zu bauen. Aber Ischl bleibt ru¬
hig, die sandigen Straßen des sauberen Hofdorfes bleiben blank; die Luft ist da¬
bei reiner als im Flachlande an schönen Maitagen und das glanzvolle Grün der
Bäume, Büsche und Rasen vor Haus und Stadt scheint mit unersättlicher Wollust
das überreichliche Naß einzusaugen und läßt die Genüsse ahnen, die dem gedul¬
digen Wandrer nach Ueberstehnng des Ausnahmszustandes bevorstehen. So be¬
freundet er sich allmälig mit dem Schnürelregen, läuft zu Bekannten und Freun¬
den, wo er jedesmal frisch gebadet ankommt, und läßt sich die Ehronique scanda-
leuse des Ortes erzählen, deren Blätter bei der Anwesenheit des Hofes stets
von tausend und einem Märchen bis über den Rand bedeckt sind. Und so that
auch ich.


Reifetagebnch aus dem östreichischen Oberland.



4. Der Hof und die IMer.

Auf der Lüneburger Haide waren am 19. August I84V gerade so viele, so
hohe und reizende Gebirge zu sehen, wie im Thale von Ischl. Am 18. nämlich,
Sonnabends, zum Geburtstage des Kaisers Franz Joseph, sollte ich dort eintreffen,
ahnte jedoch nicht, daß mir ein Courier vorausgeeilt war, der eine für Himmel und
Erde gleich wichtige Botschaft in der Tasche trug. In Folge davon verließ der junge
Monarch augenblicklich sein Nesidenzdvrs und reiste nach Wien ab, —eine Stunde vor
Ischl begegnete ich seinen vier Schimmeln, — der Himmel aber, um mit den Radikalen
zu reden, „weinte vor Wuth über Görgey's Ergebung" von demselben Sonnabend
an bis zum darauf folgenden Freitag. Der Jschle „Schnüvelregen," von welchem Sie
im Auslande wahrscheinlich keinen Begriff haben, verdiente wohl ein eigenes Ka¬
pitel. In den ersten Tagen seiner Herrschaft machte er mir eine wahre Freude;
stundenlang stand ich am Fenster und konnte nicht umhin, diesen unerbittlichen,
mit fortwährend steigender Wuth niederrauschenden sündfluthlichen Urrege», der
über ganz Ischl Belagerungszustand und Hausarrest verhängte und in einer Ent¬
fernung von zwanzig Schritten schon Alles außer sich selbst unsichtbar machte,
aufrichtig zu bewundern und mit Spannung zu beobachten. Nach achtundvierzig-
stündiger rud- Und athemloser Arbeit schien er einen Augenblick ermatten zu wol¬
le», doch es war Täuschung, er trat nur in eine neue Phase. Während er näm¬
lich den östlichen und nördlichen Himmel vollständig einnahm, wurde es im Westen
stille. Dann stiegen dort unablässig gewaltige Nebel, die Geister des gefallenen
Regens, von der Erde bis zur Sonnengcgeud auf, mit riesigen Wassereimern i»
den ossiauischen Händen, welche sie auf der andern Seite, triumphirend nieder-
gössen. So ging's in Einem fort wie ein Rad in der Wasserkunst. Der Fremde
erschrickt anfangs über das seltene Schauspiel und fragt sich ängstlich, wann die
Leute endlich anfangen werden, die Arche Noä zu bauen. Aber Ischl bleibt ru¬
hig, die sandigen Straßen des sauberen Hofdorfes bleiben blank; die Luft ist da¬
bei reiner als im Flachlande an schönen Maitagen und das glanzvolle Grün der
Bäume, Büsche und Rasen vor Haus und Stadt scheint mit unersättlicher Wollust
das überreichliche Naß einzusaugen und läßt die Genüsse ahnen, die dem gedul¬
digen Wandrer nach Ueberstehnng des Ausnahmszustandes bevorstehen. So be¬
freundet er sich allmälig mit dem Schnürelregen, läuft zu Bekannten und Freun¬
den, wo er jedesmal frisch gebadet ankommt, und läßt sich die Ehronique scanda-
leuse des Ortes erzählen, deren Blätter bei der Anwesenheit des Hofes stets
von tausend und einem Märchen bis über den Rand bedeckt sind. Und so that
auch ich.


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[0314] Reifetagebnch aus dem östreichischen Oberland. 4. Der Hof und die IMer. Auf der Lüneburger Haide waren am 19. August I84V gerade so viele, so hohe und reizende Gebirge zu sehen, wie im Thale von Ischl. Am 18. nämlich, Sonnabends, zum Geburtstage des Kaisers Franz Joseph, sollte ich dort eintreffen, ahnte jedoch nicht, daß mir ein Courier vorausgeeilt war, der eine für Himmel und Erde gleich wichtige Botschaft in der Tasche trug. In Folge davon verließ der junge Monarch augenblicklich sein Nesidenzdvrs und reiste nach Wien ab, —eine Stunde vor Ischl begegnete ich seinen vier Schimmeln, — der Himmel aber, um mit den Radikalen zu reden, „weinte vor Wuth über Görgey's Ergebung" von demselben Sonnabend an bis zum darauf folgenden Freitag. Der Jschle „Schnüvelregen," von welchem Sie im Auslande wahrscheinlich keinen Begriff haben, verdiente wohl ein eigenes Ka¬ pitel. In den ersten Tagen seiner Herrschaft machte er mir eine wahre Freude; stundenlang stand ich am Fenster und konnte nicht umhin, diesen unerbittlichen, mit fortwährend steigender Wuth niederrauschenden sündfluthlichen Urrege», der über ganz Ischl Belagerungszustand und Hausarrest verhängte und in einer Ent¬ fernung von zwanzig Schritten schon Alles außer sich selbst unsichtbar machte, aufrichtig zu bewundern und mit Spannung zu beobachten. Nach achtundvierzig- stündiger rud- Und athemloser Arbeit schien er einen Augenblick ermatten zu wol¬ le», doch es war Täuschung, er trat nur in eine neue Phase. Während er näm¬ lich den östlichen und nördlichen Himmel vollständig einnahm, wurde es im Westen stille. Dann stiegen dort unablässig gewaltige Nebel, die Geister des gefallenen Regens, von der Erde bis zur Sonnengcgeud auf, mit riesigen Wassereimern i» den ossiauischen Händen, welche sie auf der andern Seite, triumphirend nieder- gössen. So ging's in Einem fort wie ein Rad in der Wasserkunst. Der Fremde erschrickt anfangs über das seltene Schauspiel und fragt sich ängstlich, wann die Leute endlich anfangen werden, die Arche Noä zu bauen. Aber Ischl bleibt ru¬ hig, die sandigen Straßen des sauberen Hofdorfes bleiben blank; die Luft ist da¬ bei reiner als im Flachlande an schönen Maitagen und das glanzvolle Grün der Bäume, Büsche und Rasen vor Haus und Stadt scheint mit unersättlicher Wollust das überreichliche Naß einzusaugen und läßt die Genüsse ahnen, die dem gedul¬ digen Wandrer nach Ueberstehnng des Ausnahmszustandes bevorstehen. So be¬ freundet er sich allmälig mit dem Schnürelregen, läuft zu Bekannten und Freun¬ den, wo er jedesmal frisch gebadet ankommt, und läßt sich die Ehronique scanda- leuse des Ortes erzählen, deren Blätter bei der Anwesenheit des Hofes stets von tausend und einem Märchen bis über den Rand bedeckt sind. Und so that auch ich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/314>, abgerufen am 15.01.2025.