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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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unter dem Schutze der Regierung die Spielhöllen mit aller Schamlosigkeit wieder
eröffnet und badische Gensdarmen zur Bewachung derselben aufgestellt. So auch
noch in vielen anderen Fällen.

Wir haben die Mittel genannt, wie unserer Ansicht nach allein ein dauerhafter
Zustand wieder herzustellen ist. Man wird sie nicht anwenden, davon sind wir
leider nnr zu sehr überzeugt. So lange starke preußische Besatzung im Lande ist,
wird zwar jede offene Empörung verhindert, aber im Geheimen glüht es unter
der Asche fort. Wir sind durch unsere eigenen Fehler besiegt, wir müssen jetzt
durch die Fehler unserer Gegner siegen; sagte uns kürzlich ein badischer Flüchtling
im Elsaß, und wir fürchten, er hat nur zu sehr recht. Was mau von dem zu¬
rückkehrenden französischen Adel 1815 sagen konnte, "er habe nichts vergessen und
nichts gelernt" gilt auch von dem badischen Hofadel und den Diplomaten. Ein
großer Theil der wohlhabenden Bevölkerung des Landes, der mit ahnenden
Blicken in die Zukunft sieht, denkt deren Boden zu verlassen und es wird eintz
Auswanderung der besitzenden Klasse erfolgen, wie sie in dieser Ausdehnung noch
niemals dagewesen ist.




Die Wintersaison der deutschen Kunst.



Nach einem Jahre der größten Aufregung und Leiden siud die Deutschen
wieder so weit gekommen, daß sie andere Interessen mehr verfolgen, als die der
Politik. Und wenn man die Abspannung, welche gegenwärtig auf der ganzen
Nation liegt, beklagt und schilt, so muß man doch einräumen, daß sie natürlich,
ja unvermeidlich war. Ueberall hören wir laute Klagen, wie sehr die fliegende
Hitze des Sommers von 48 den Wohlstand der Einzelnen erschüttert, Industrie
und Handel zurückgebracht habe, aber wenig achtet man noch auf die harten
Schläge, welche die deutsche Kunst erhalten hat.

Es ist nicht schwer zu erkennen, daß die Katastrophe dieser Jahre der Kunst
eben so nöthig war, als den Staaten. Es brauchte einer starken Erschütterung,
um in das übermüthige und doch kraftlose Leben des schönen Scheins, in die
luxuriöse Weichlichkeit und die unsittliche Koketterie, an welcher die bildenden und
darstellenden Künste, die Musik und die Poesie litten, frische Kraft, höhern Ernst
Und das Streben nach künstlerischer Wahrheit zu werfen. Das konnte zunächst
"ur dadurch geschehn, daß die Seelen der Künstler selbst eine neue Welt großer
Empfindungen und mächtiger Stoffe in sich aufnahmen, und dadurch, daß die


Grenzboten. lo. 184". 4

unter dem Schutze der Regierung die Spielhöllen mit aller Schamlosigkeit wieder
eröffnet und badische Gensdarmen zur Bewachung derselben aufgestellt. So auch
noch in vielen anderen Fällen.

Wir haben die Mittel genannt, wie unserer Ansicht nach allein ein dauerhafter
Zustand wieder herzustellen ist. Man wird sie nicht anwenden, davon sind wir
leider nnr zu sehr überzeugt. So lange starke preußische Besatzung im Lande ist,
wird zwar jede offene Empörung verhindert, aber im Geheimen glüht es unter
der Asche fort. Wir sind durch unsere eigenen Fehler besiegt, wir müssen jetzt
durch die Fehler unserer Gegner siegen; sagte uns kürzlich ein badischer Flüchtling
im Elsaß, und wir fürchten, er hat nur zu sehr recht. Was mau von dem zu¬
rückkehrenden französischen Adel 1815 sagen konnte, „er habe nichts vergessen und
nichts gelernt" gilt auch von dem badischen Hofadel und den Diplomaten. Ein
großer Theil der wohlhabenden Bevölkerung des Landes, der mit ahnenden
Blicken in die Zukunft sieht, denkt deren Boden zu verlassen und es wird eintz
Auswanderung der besitzenden Klasse erfolgen, wie sie in dieser Ausdehnung noch
niemals dagewesen ist.




Die Wintersaison der deutschen Kunst.



Nach einem Jahre der größten Aufregung und Leiden siud die Deutschen
wieder so weit gekommen, daß sie andere Interessen mehr verfolgen, als die der
Politik. Und wenn man die Abspannung, welche gegenwärtig auf der ganzen
Nation liegt, beklagt und schilt, so muß man doch einräumen, daß sie natürlich,
ja unvermeidlich war. Ueberall hören wir laute Klagen, wie sehr die fliegende
Hitze des Sommers von 48 den Wohlstand der Einzelnen erschüttert, Industrie
und Handel zurückgebracht habe, aber wenig achtet man noch auf die harten
Schläge, welche die deutsche Kunst erhalten hat.

Es ist nicht schwer zu erkennen, daß die Katastrophe dieser Jahre der Kunst
eben so nöthig war, als den Staaten. Es brauchte einer starken Erschütterung,
um in das übermüthige und doch kraftlose Leben des schönen Scheins, in die
luxuriöse Weichlichkeit und die unsittliche Koketterie, an welcher die bildenden und
darstellenden Künste, die Musik und die Poesie litten, frische Kraft, höhern Ernst
Und das Streben nach künstlerischer Wahrheit zu werfen. Das konnte zunächst
"ur dadurch geschehn, daß die Seelen der Künstler selbst eine neue Welt großer
Empfindungen und mächtiger Stoffe in sich aufnahmen, und dadurch, daß die


Grenzboten. lo. 184». 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/29>, abgerufen am 15.01.2025.