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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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lchrer; wie ich ihm vorhin die Wahrheit sagte, hat er nicht gewußt, ist er ein
Mandl oder ein Weibl?") --

O du schlechte Welt, dachte ich. Und wenn sie doch seine Nichte wäre!
Kann ein Mädchen nicht nußbraune Augen und einen geistlichen Herrn zum Onkel
haben und doch ein liebes harmloses Geschöpf sein? Müßt Ihr sie suhlen lassen,
daß sie unklug handelt, mit ihrem Oheim zu reisen? --

Doch, da wir sie später genauer kennen lernen, lasse ich diese Fragen jetzt
unbeantwortet und lade meine sämmtliche Reisegesellschaft in Linz aus.


3. Auf der Pferdeeisenbahn.

Eljen Kathi! -- Langweilig, wie der östreichische Fortschritt, ist die Fahrt
ans der Pferdeeisenbahn von Linz nach Gmunden, aber die Hälfte des Weges ver¬
kürzten mir die zwei Wörtchen: Eljen Kathi! Wie der schönste Alpeujodel klangen
sie mir fortwährend in der Seele nach und, wenn ich die Angen, schloß oder nur
senkte, sah ich deutlich das braune Antlitz des gefangenen Husaren vor mir, wie
es zärtlich ans dem Halse des treuen Rosses ruhte, Kathi's schmeichelnde Hand
aus seiner Schulter und die hütcschwenkeudeu Schnitterbnrschen, auf deren breite
Sensen die rothe Abendsonne manchmal einen vorüberfliegenden Schein warf.---

Ein paar Stunden von Linz, auf der Rückkehr von einem Ausfluge nach
Stadt Steyer begriffen, rastete ich Abends im Wirthshausgartcn am Ausgang
eines Dörfchens. Vor der niedern Wirthshausthür saßen einige Bauerburschen,
deren Sensen an der Wand lehnten, schnitten schweigend ihren Käse, steckten dann
und wann die Köpfe zusammen und blickten unverwandt nach dem Gartengitter,
ohne sich um die zwei hohen, weißröckigen Kürassiere zu kümmern, die doch so
stattlich und stolzen Schrittes an ihnen vorüberklirrten und sich tief bücken mußten,
als sie in's Haus traten. Draußen nämlich, am Gitter des kleinen Gartens
stand, bewacht von einigen Feldjägern mit geladenen Stutzen, ein ungarisches
Rößlein. Es war splitternackt, ohne Sattel und Zügel, als käm es gerade von
der Pußte, aber es wieherte und es scharrte nicht und stampfte nicht mit den Hufen,
wie wilde Pferde thun, sondern melancholisch ließ es den Kopf hängen und blickte
flehend und suchend mit deu großen Feueraugen durch die Gitterstangen. An der
Seite des Rosses lehnte ein Husar, ohne Waffen, die bunte Uniform zerrissen
und staubbedeckt, die linke Hand in ein blutbeflecktes Leinentuch gewickelt. Selten
sah ich ein schöneres Kriegergcsicht. Es zählte höchstens dreißig Sommer, war
aber tief gebräunt, was den schwermüthigen Ausdruck seiner regelmäßigen Züge
erhöhte. Er hatte nachdenkend, wie sein Roß, das Haupt gesenkt, die dichten
gradlinigen Brauen verdeckten ganz die Augenlider und ein Lächeln, stolz und



Wiener Redensart, um den Zustand der größten Verblüffung zu bezeichnen.

lchrer; wie ich ihm vorhin die Wahrheit sagte, hat er nicht gewußt, ist er ein
Mandl oder ein Weibl?") —

O du schlechte Welt, dachte ich. Und wenn sie doch seine Nichte wäre!
Kann ein Mädchen nicht nußbraune Augen und einen geistlichen Herrn zum Onkel
haben und doch ein liebes harmloses Geschöpf sein? Müßt Ihr sie suhlen lassen,
daß sie unklug handelt, mit ihrem Oheim zu reisen? —

Doch, da wir sie später genauer kennen lernen, lasse ich diese Fragen jetzt
unbeantwortet und lade meine sämmtliche Reisegesellschaft in Linz aus.


3. Auf der Pferdeeisenbahn.

Eljen Kathi! — Langweilig, wie der östreichische Fortschritt, ist die Fahrt
ans der Pferdeeisenbahn von Linz nach Gmunden, aber die Hälfte des Weges ver¬
kürzten mir die zwei Wörtchen: Eljen Kathi! Wie der schönste Alpeujodel klangen
sie mir fortwährend in der Seele nach und, wenn ich die Angen, schloß oder nur
senkte, sah ich deutlich das braune Antlitz des gefangenen Husaren vor mir, wie
es zärtlich ans dem Halse des treuen Rosses ruhte, Kathi's schmeichelnde Hand
aus seiner Schulter und die hütcschwenkeudeu Schnitterbnrschen, auf deren breite
Sensen die rothe Abendsonne manchmal einen vorüberfliegenden Schein warf.---

Ein paar Stunden von Linz, auf der Rückkehr von einem Ausfluge nach
Stadt Steyer begriffen, rastete ich Abends im Wirthshausgartcn am Ausgang
eines Dörfchens. Vor der niedern Wirthshausthür saßen einige Bauerburschen,
deren Sensen an der Wand lehnten, schnitten schweigend ihren Käse, steckten dann
und wann die Köpfe zusammen und blickten unverwandt nach dem Gartengitter,
ohne sich um die zwei hohen, weißröckigen Kürassiere zu kümmern, die doch so
stattlich und stolzen Schrittes an ihnen vorüberklirrten und sich tief bücken mußten,
als sie in's Haus traten. Draußen nämlich, am Gitter des kleinen Gartens
stand, bewacht von einigen Feldjägern mit geladenen Stutzen, ein ungarisches
Rößlein. Es war splitternackt, ohne Sattel und Zügel, als käm es gerade von
der Pußte, aber es wieherte und es scharrte nicht und stampfte nicht mit den Hufen,
wie wilde Pferde thun, sondern melancholisch ließ es den Kopf hängen und blickte
flehend und suchend mit deu großen Feueraugen durch die Gitterstangen. An der
Seite des Rosses lehnte ein Husar, ohne Waffen, die bunte Uniform zerrissen
und staubbedeckt, die linke Hand in ein blutbeflecktes Leinentuch gewickelt. Selten
sah ich ein schöneres Kriegergcsicht. Es zählte höchstens dreißig Sommer, war
aber tief gebräunt, was den schwermüthigen Ausdruck seiner regelmäßigen Züge
erhöhte. Er hatte nachdenkend, wie sein Roß, das Haupt gesenkt, die dichten
gradlinigen Brauen verdeckten ganz die Augenlider und ein Lächeln, stolz und



Wiener Redensart, um den Zustand der größten Verblüffung zu bezeichnen.
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[0269] lchrer; wie ich ihm vorhin die Wahrheit sagte, hat er nicht gewußt, ist er ein Mandl oder ein Weibl?") — O du schlechte Welt, dachte ich. Und wenn sie doch seine Nichte wäre! Kann ein Mädchen nicht nußbraune Augen und einen geistlichen Herrn zum Onkel haben und doch ein liebes harmloses Geschöpf sein? Müßt Ihr sie suhlen lassen, daß sie unklug handelt, mit ihrem Oheim zu reisen? — Doch, da wir sie später genauer kennen lernen, lasse ich diese Fragen jetzt unbeantwortet und lade meine sämmtliche Reisegesellschaft in Linz aus. 3. Auf der Pferdeeisenbahn. Eljen Kathi! — Langweilig, wie der östreichische Fortschritt, ist die Fahrt ans der Pferdeeisenbahn von Linz nach Gmunden, aber die Hälfte des Weges ver¬ kürzten mir die zwei Wörtchen: Eljen Kathi! Wie der schönste Alpeujodel klangen sie mir fortwährend in der Seele nach und, wenn ich die Angen, schloß oder nur senkte, sah ich deutlich das braune Antlitz des gefangenen Husaren vor mir, wie es zärtlich ans dem Halse des treuen Rosses ruhte, Kathi's schmeichelnde Hand aus seiner Schulter und die hütcschwenkeudeu Schnitterbnrschen, auf deren breite Sensen die rothe Abendsonne manchmal einen vorüberfliegenden Schein warf.--- Ein paar Stunden von Linz, auf der Rückkehr von einem Ausfluge nach Stadt Steyer begriffen, rastete ich Abends im Wirthshausgartcn am Ausgang eines Dörfchens. Vor der niedern Wirthshausthür saßen einige Bauerburschen, deren Sensen an der Wand lehnten, schnitten schweigend ihren Käse, steckten dann und wann die Köpfe zusammen und blickten unverwandt nach dem Gartengitter, ohne sich um die zwei hohen, weißröckigen Kürassiere zu kümmern, die doch so stattlich und stolzen Schrittes an ihnen vorüberklirrten und sich tief bücken mußten, als sie in's Haus traten. Draußen nämlich, am Gitter des kleinen Gartens stand, bewacht von einigen Feldjägern mit geladenen Stutzen, ein ungarisches Rößlein. Es war splitternackt, ohne Sattel und Zügel, als käm es gerade von der Pußte, aber es wieherte und es scharrte nicht und stampfte nicht mit den Hufen, wie wilde Pferde thun, sondern melancholisch ließ es den Kopf hängen und blickte flehend und suchend mit deu großen Feueraugen durch die Gitterstangen. An der Seite des Rosses lehnte ein Husar, ohne Waffen, die bunte Uniform zerrissen und staubbedeckt, die linke Hand in ein blutbeflecktes Leinentuch gewickelt. Selten sah ich ein schöneres Kriegergcsicht. Es zählte höchstens dreißig Sommer, war aber tief gebräunt, was den schwermüthigen Ausdruck seiner regelmäßigen Züge erhöhte. Er hatte nachdenkend, wie sein Roß, das Haupt gesenkt, die dichten gradlinigen Brauen verdeckten ganz die Augenlider und ein Lächeln, stolz und Wiener Redensart, um den Zustand der größten Verblüffung zu bezeichnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/269>, abgerufen am 15.01.2025.