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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Zur Kunst und Literatur.
(Theater.)



1. Deborah von Mosenthal.

Jedes neue Stück setzt die Kritik in nicht geringe Verlegenheit. Die Pro¬
duktivität unserer dramatischen Dichter ist so gering, daß man eigentlich für jeden
Versuch schon aus dem Grunde dankbar sein sollte, daß er überhaupt gemacht ist.
Unser Theater wird sich nicht heben, so lauge nicht jeder Poet von einigem Talent
es für seine Pflicht hält, jährlich ein bis zwei neue Tragödien, Komödien, Dra¬
men oder wie er es sonst nennen mag, auf die Bühne zu bringen. Ich sage
das nicht im Scherz. Das französische Theater befindet sich wohl dabei, und bei
aller Fruchtbarkeit der Theaterdichter sind ihre Leistungen, wenn man die mittlere
Proportionale zieht, immer noch viel besser als unsere deutschen. Sie sind in
der Regel liederlich gearbeitet, wie auch zum Theil die französischen Gemälde,
aber es ist stets Leben und Erfindung darin.

Eigentlich sollte also die Kritik, auch was sie zu tadeln hat, immer mit einem
lebhaften Händeklatschen begleiten, um nur ja nicht abzuschrecken, wo sie ermun¬
tern will. Aber es geht nicht, wir kommen aus unserer Haut nicht heraus. Der
Deutsche ist zu gewissenhaft für stofflose Komplimente.

Das vorliegende Stück soll von einem ganz jungen Manne herrühren. Wenn
sich daher irgend ein ursprüngliches Streben darin kund gäbe, so roh und unge-
lenk es auch sein möchte, wir würden es anerkennen. Nach der günstigen Auf¬
nahme, die ihm selbst in dem blastrten Berlin zu Theil geworden ist, sollte man
das auch vermuthen. Aber es ist nicht so. Wir haben es mit einer ausgeprägten, zu einer
gewissen Vollendung ausgebildeten Manier zu thun. Deborah hat vou der alten, Schil-
ler-Körner'sehen Schule das banale Pathos, von der jungen Literatur die verwischte
Zeichnung. Und um das Maß voll zu machen, noch die politische Tendenz. Es
wird beständig gepredigt, die Personen wissen nie, was sie eigentlich wollen, und
das Ganze dreht sich um die Juden-Emancipation. Zuweilen steigert sich der
Enthusiasmus so ins Unaussprechliche, daß er sich lyrisch in ein Düsseldorfer
lebendes Bild mit bengalischer Flamme und melodramatischen Akkorden verliert.

Das Wesentliche der dramatischen Motive läßt sich übersichtlich genug zu¬
sammenfassen.

Eine Jüdin, Deborah, flieht mit ihren Angehörigen ans Ungarn, wo sie
durch den christlichen Fanatismus verfolgt war, nach Steyermark. Auch hier wird
sie übel genug aufgenommen, beinahe gesteinigt, doch knüpft sie ein Liebesverhältniß
mit einem jungen Bauern, Namens Joseph, an. Sie beschließen, mit einander


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Zur Kunst und Literatur.
(Theater.)



1. Deborah von Mosenthal.

Jedes neue Stück setzt die Kritik in nicht geringe Verlegenheit. Die Pro¬
duktivität unserer dramatischen Dichter ist so gering, daß man eigentlich für jeden
Versuch schon aus dem Grunde dankbar sein sollte, daß er überhaupt gemacht ist.
Unser Theater wird sich nicht heben, so lauge nicht jeder Poet von einigem Talent
es für seine Pflicht hält, jährlich ein bis zwei neue Tragödien, Komödien, Dra¬
men oder wie er es sonst nennen mag, auf die Bühne zu bringen. Ich sage
das nicht im Scherz. Das französische Theater befindet sich wohl dabei, und bei
aller Fruchtbarkeit der Theaterdichter sind ihre Leistungen, wenn man die mittlere
Proportionale zieht, immer noch viel besser als unsere deutschen. Sie sind in
der Regel liederlich gearbeitet, wie auch zum Theil die französischen Gemälde,
aber es ist stets Leben und Erfindung darin.

Eigentlich sollte also die Kritik, auch was sie zu tadeln hat, immer mit einem
lebhaften Händeklatschen begleiten, um nur ja nicht abzuschrecken, wo sie ermun¬
tern will. Aber es geht nicht, wir kommen aus unserer Haut nicht heraus. Der
Deutsche ist zu gewissenhaft für stofflose Komplimente.

Das vorliegende Stück soll von einem ganz jungen Manne herrühren. Wenn
sich daher irgend ein ursprüngliches Streben darin kund gäbe, so roh und unge-
lenk es auch sein möchte, wir würden es anerkennen. Nach der günstigen Auf¬
nahme, die ihm selbst in dem blastrten Berlin zu Theil geworden ist, sollte man
das auch vermuthen. Aber es ist nicht so. Wir haben es mit einer ausgeprägten, zu einer
gewissen Vollendung ausgebildeten Manier zu thun. Deborah hat vou der alten, Schil-
ler-Körner'sehen Schule das banale Pathos, von der jungen Literatur die verwischte
Zeichnung. Und um das Maß voll zu machen, noch die politische Tendenz. Es
wird beständig gepredigt, die Personen wissen nie, was sie eigentlich wollen, und
das Ganze dreht sich um die Juden-Emancipation. Zuweilen steigert sich der
Enthusiasmus so ins Unaussprechliche, daß er sich lyrisch in ein Düsseldorfer
lebendes Bild mit bengalischer Flamme und melodramatischen Akkorden verliert.

Das Wesentliche der dramatischen Motive läßt sich übersichtlich genug zu¬
sammenfassen.

Eine Jüdin, Deborah, flieht mit ihren Angehörigen ans Ungarn, wo sie
durch den christlichen Fanatismus verfolgt war, nach Steyermark. Auch hier wird
sie übel genug aufgenommen, beinahe gesteinigt, doch knüpft sie ein Liebesverhältniß
mit einem jungen Bauern, Namens Joseph, an. Sie beschließen, mit einander


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[0143] Zur Kunst und Literatur. (Theater.) 1. Deborah von Mosenthal. Jedes neue Stück setzt die Kritik in nicht geringe Verlegenheit. Die Pro¬ duktivität unserer dramatischen Dichter ist so gering, daß man eigentlich für jeden Versuch schon aus dem Grunde dankbar sein sollte, daß er überhaupt gemacht ist. Unser Theater wird sich nicht heben, so lauge nicht jeder Poet von einigem Talent es für seine Pflicht hält, jährlich ein bis zwei neue Tragödien, Komödien, Dra¬ men oder wie er es sonst nennen mag, auf die Bühne zu bringen. Ich sage das nicht im Scherz. Das französische Theater befindet sich wohl dabei, und bei aller Fruchtbarkeit der Theaterdichter sind ihre Leistungen, wenn man die mittlere Proportionale zieht, immer noch viel besser als unsere deutschen. Sie sind in der Regel liederlich gearbeitet, wie auch zum Theil die französischen Gemälde, aber es ist stets Leben und Erfindung darin. Eigentlich sollte also die Kritik, auch was sie zu tadeln hat, immer mit einem lebhaften Händeklatschen begleiten, um nur ja nicht abzuschrecken, wo sie ermun¬ tern will. Aber es geht nicht, wir kommen aus unserer Haut nicht heraus. Der Deutsche ist zu gewissenhaft für stofflose Komplimente. Das vorliegende Stück soll von einem ganz jungen Manne herrühren. Wenn sich daher irgend ein ursprüngliches Streben darin kund gäbe, so roh und unge- lenk es auch sein möchte, wir würden es anerkennen. Nach der günstigen Auf¬ nahme, die ihm selbst in dem blastrten Berlin zu Theil geworden ist, sollte man das auch vermuthen. Aber es ist nicht so. Wir haben es mit einer ausgeprägten, zu einer gewissen Vollendung ausgebildeten Manier zu thun. Deborah hat vou der alten, Schil- ler-Körner'sehen Schule das banale Pathos, von der jungen Literatur die verwischte Zeichnung. Und um das Maß voll zu machen, noch die politische Tendenz. Es wird beständig gepredigt, die Personen wissen nie, was sie eigentlich wollen, und das Ganze dreht sich um die Juden-Emancipation. Zuweilen steigert sich der Enthusiasmus so ins Unaussprechliche, daß er sich lyrisch in ein Düsseldorfer lebendes Bild mit bengalischer Flamme und melodramatischen Akkorden verliert. Das Wesentliche der dramatischen Motive läßt sich übersichtlich genug zu¬ sammenfassen. Eine Jüdin, Deborah, flieht mit ihren Angehörigen ans Ungarn, wo sie durch den christlichen Fanatismus verfolgt war, nach Steyermark. Auch hier wird sie übel genug aufgenommen, beinahe gesteinigt, doch knüpft sie ein Liebesverhältniß mit einem jungen Bauern, Namens Joseph, an. Sie beschließen, mit einander 18-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/143>, abgerufen am 15.01.2025.