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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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lebender Personen muß man vorsichtig zu Werke gehen, wenn diese Personen in
einem Lande allerhöchster Verfinsterung leben.

Derschawin, der russische Dichter, hat Recht, wenn er sagt: "Erst durch den
Tod hervorragender Männer gewinnt man das traurige Recht, frei von ihnen zu
sprechen. Auf der einen Seite wird böse Gesinnung die Kritik uicht der Schmei¬
chelei beschuldige"; auf der andern Seite wird die Furcht die gereizte Eigenliebe
zu beleidigen, den Todten nicht des verdienten Lobes berauben."




Porträts czechifcher Gelehrten.



Sie wünschen eine Schilderung der vorzüglichsten Vertreter der czechischeu Li¬
teratur? Soweit mein Blick in das Exclusive des czechischeu LiteratenthnmS ein¬
zudringen vermochte, will ich Ihrem Auftrage folgen. Meine Aufgabe müßte eigent¬
lich in zwei Theile zerfallen, denn vou Rechtswegen wäre jeder der czechischeu Ge¬
lehrten von zwei Standpunkten zu beleuchten, vom vormärzlichen und vom nach-
märzlichen. Wohl Jeder von ihnen hat sich seit der Epoche des März bedeutend
verändert. Aus mancher unscheinbaren Raupe hat sich ein bunter Schmetterling
entfaltet. Sogar in Tracht und Haltung. Denn die Wiedereinführung nationaler
Kostüme hat nicht blos die czechische Jugend begeistert. Mancher alte knasterbär¬
tige Gelehrte, welcher ehedem eine wahre Carrikatur des bessern Geschmacks wie ein
Dorfschulmeister oder Nachtwächter gekleidet durch die Straßen Prags trottete, erhob
seinen Nacken nach dem März gar gewaltig, setzte eine zobclverbrämte Mütze, wie
sie Przemysl und Libussa getragen, auf das cyliuderhutgewöhute Haupt, schmückte
mit Pfauenfeder" stolz den Scheitel und schlug den Purpurmantel prunkend um
die Hüften. Und erst die literarische Richtung und die politische Farbe! -- wie
so sehr sind die bei den Meisten anders geworden! -- Vorerst mag die alte Garde
der czechischen Literatur an uns vorbei defiliren. Ihre Reihen haben sich in den
letzten Jahren stark gelichtet. Viele der Besseren und Besten sind zu Grabe ge¬
gangen, wie der literarische Nestor Sebastian Huewkowsch'), der treffliche Dra¬
mendichter Machaczek^) Professor Prest, Chmela, Kinsky, die beiden Nejcdly




Sebastian Hnewkowsky, der Sänger des Dewin, war 1770 den ig. März zu
Zebrar geboren und starb zu Prag 1847 als emeritirter Bürgermeister von Policzka.
Karl Simon Machaczek, k. k. Hiunanitätsprofessor I8W), war einer der
thätigsten und vielseitigsten czechischen Schriftsteller. Unter seinen dramatischen Schriften
ragen zwei Trauerspiele: "Zavis Falkenstein" und "Bulhar" und das Lustspiel "Zenichovc"
(die Freier) vor Allen hervor.

lebender Personen muß man vorsichtig zu Werke gehen, wenn diese Personen in
einem Lande allerhöchster Verfinsterung leben.

Derschawin, der russische Dichter, hat Recht, wenn er sagt: „Erst durch den
Tod hervorragender Männer gewinnt man das traurige Recht, frei von ihnen zu
sprechen. Auf der einen Seite wird böse Gesinnung die Kritik uicht der Schmei¬
chelei beschuldige»; auf der andern Seite wird die Furcht die gereizte Eigenliebe
zu beleidigen, den Todten nicht des verdienten Lobes berauben."




Porträts czechifcher Gelehrten.



Sie wünschen eine Schilderung der vorzüglichsten Vertreter der czechischeu Li¬
teratur? Soweit mein Blick in das Exclusive des czechischeu LiteratenthnmS ein¬
zudringen vermochte, will ich Ihrem Auftrage folgen. Meine Aufgabe müßte eigent¬
lich in zwei Theile zerfallen, denn vou Rechtswegen wäre jeder der czechischeu Ge¬
lehrten von zwei Standpunkten zu beleuchten, vom vormärzlichen und vom nach-
märzlichen. Wohl Jeder von ihnen hat sich seit der Epoche des März bedeutend
verändert. Aus mancher unscheinbaren Raupe hat sich ein bunter Schmetterling
entfaltet. Sogar in Tracht und Haltung. Denn die Wiedereinführung nationaler
Kostüme hat nicht blos die czechische Jugend begeistert. Mancher alte knasterbär¬
tige Gelehrte, welcher ehedem eine wahre Carrikatur des bessern Geschmacks wie ein
Dorfschulmeister oder Nachtwächter gekleidet durch die Straßen Prags trottete, erhob
seinen Nacken nach dem März gar gewaltig, setzte eine zobclverbrämte Mütze, wie
sie Przemysl und Libussa getragen, auf das cyliuderhutgewöhute Haupt, schmückte
mit Pfauenfeder» stolz den Scheitel und schlug den Purpurmantel prunkend um
die Hüften. Und erst die literarische Richtung und die politische Farbe! — wie
so sehr sind die bei den Meisten anders geworden! — Vorerst mag die alte Garde
der czechischen Literatur an uns vorbei defiliren. Ihre Reihen haben sich in den
letzten Jahren stark gelichtet. Viele der Besseren und Besten sind zu Grabe ge¬
gangen, wie der literarische Nestor Sebastian Huewkowsch'), der treffliche Dra¬
mendichter Machaczek^) Professor Prest, Chmela, Kinsky, die beiden Nejcdly




Sebastian Hnewkowsky, der Sänger des Dewin, war 1770 den ig. März zu
Zebrar geboren und starb zu Prag 1847 als emeritirter Bürgermeister von Policzka.
Karl Simon Machaczek, k. k. Hiunanitätsprofessor I8W), war einer der
thätigsten und vielseitigsten czechischen Schriftsteller. Unter seinen dramatischen Schriften
ragen zwei Trauerspiele: „Zavis Falkenstein" und „Bulhar" und das Lustspiel „Zenichovc"
(die Freier) vor Allen hervor.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/78>, abgerufen am 05.02.2025.