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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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erklärt sie nicht weiter auszudehnen. Kurz der Feind scheint besiegt, wenigstens
hat er das Schlachtfeld geräumt, vernichtet ist er nicht!

Die Zeitungen, und vor Allem die Schlesische, erzählen uns viel von einem
gänzlichen Umschwunge der öffentlichen Meinung, der wir die wiedergewonnene
Ruhe, die Zuversicht auf deren Fortdauer verdanke" sollen. Das Volk soll zu einer
klareren Anschauung seiner Zustände gelangt sein. Wir glauben daran nicht! Wir
wollen uicht behaupte", daß es in der langen trüben Zeit gar nichts gelernt haben
sollte, aber -- es ist gewiß reckt wenig gewesen. Das Volk im engern Sinne, d. h.
der weniger gebildete, der ärmere Theil desselben, hat an den politischen Bestre¬
bungen seiner Parteiführer nie großen Antheil genommen. Die deutsche Frage, die
Verwandlung der absoluten Monarchie in eine constitutionelle, ja selbst der Begriff
der Volkssouveränität haben in diesen Kreisen nie Boden gewonnen -- nur das
Bewußtsein so mancher schwachen Seite der Verwaltung ist bis in die untersten
Schichten des Volkes gedrungen. "Der König ist gut, er will nicht haben, daß
wir gedrückt werden, aber er erfährt nicht wie es uns geht, er wird von seinen
Umgebungen hintergangen!" Diese und ähnliche Aeußerungen hörten wir oft in
der ärgsten Zeit, die Anhänglichkeit an die Person des Königs, verleugnet der
Schlesier nur selten! -- Er hat aber gesehen, daß bereits zwei Dcputirtenver-
scimmlungen seinen noch immer unbehaglichen Zustand nicht verbessert haben, er
hat daher wenig Vertrauen zu der dritten. Daß seine Wahlen nicht immer glück¬
liche waren, fühlt er wohl, aber wie soll er es ansaugen, um sich besserer zu ver¬
sichern? Kennt er die Leute, denen er seine Stimme gibt? selten! Er wird daher
immer Wahlagitationen zugänglich sein, und dies Gefühl verleitet ihm das ganze
Wahlgcschäst. -- Ja käme der aller absoluteste König mit einigen Gesetzen in der
Hand, etwa wie Steuerbefreiung des Bauernstandes, Landvertheilung an alle die-
ieuigen, welche keins haben, freie Zehrung für diejenigen, die nicht arbeiten mögen,
Schutz, auch für den aller erbaulichsten Handwerksbetrieb :c. ze., das schlesische
Bauernvolk jagte Republikaner und Demokraten, Eonstitutionelle und Reaktionäre,
ja Kammern und Minister zum Lande hinaus und riefe: Es lebe der Absolutismus!




Preußische Briefe.



Einnndzwanzigstcr Vries.
Die Verhandlungen der beiden Kammern.

Es ist charakteristisch für unsere Kammern, daß die verschiedene" Nuancen in
denselben -- Parteien kann man sie nicht nennen --- vorzugsweise darüber mit


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erklärt sie nicht weiter auszudehnen. Kurz der Feind scheint besiegt, wenigstens
hat er das Schlachtfeld geräumt, vernichtet ist er nicht!

Die Zeitungen, und vor Allem die Schlesische, erzählen uns viel von einem
gänzlichen Umschwunge der öffentlichen Meinung, der wir die wiedergewonnene
Ruhe, die Zuversicht auf deren Fortdauer verdanke» sollen. Das Volk soll zu einer
klareren Anschauung seiner Zustände gelangt sein. Wir glauben daran nicht! Wir
wollen uicht behaupte«, daß es in der langen trüben Zeit gar nichts gelernt haben
sollte, aber — es ist gewiß reckt wenig gewesen. Das Volk im engern Sinne, d. h.
der weniger gebildete, der ärmere Theil desselben, hat an den politischen Bestre¬
bungen seiner Parteiführer nie großen Antheil genommen. Die deutsche Frage, die
Verwandlung der absoluten Monarchie in eine constitutionelle, ja selbst der Begriff
der Volkssouveränität haben in diesen Kreisen nie Boden gewonnen — nur das
Bewußtsein so mancher schwachen Seite der Verwaltung ist bis in die untersten
Schichten des Volkes gedrungen. „Der König ist gut, er will nicht haben, daß
wir gedrückt werden, aber er erfährt nicht wie es uns geht, er wird von seinen
Umgebungen hintergangen!" Diese und ähnliche Aeußerungen hörten wir oft in
der ärgsten Zeit, die Anhänglichkeit an die Person des Königs, verleugnet der
Schlesier nur selten! — Er hat aber gesehen, daß bereits zwei Dcputirtenver-
scimmlungen seinen noch immer unbehaglichen Zustand nicht verbessert haben, er
hat daher wenig Vertrauen zu der dritten. Daß seine Wahlen nicht immer glück¬
liche waren, fühlt er wohl, aber wie soll er es ansaugen, um sich besserer zu ver¬
sichern? Kennt er die Leute, denen er seine Stimme gibt? selten! Er wird daher
immer Wahlagitationen zugänglich sein, und dies Gefühl verleitet ihm das ganze
Wahlgcschäst. — Ja käme der aller absoluteste König mit einigen Gesetzen in der
Hand, etwa wie Steuerbefreiung des Bauernstandes, Landvertheilung an alle die-
ieuigen, welche keins haben, freie Zehrung für diejenigen, die nicht arbeiten mögen,
Schutz, auch für den aller erbaulichsten Handwerksbetrieb :c. ze., das schlesische
Bauernvolk jagte Republikaner und Demokraten, Eonstitutionelle und Reaktionäre,
ja Kammern und Minister zum Lande hinaus und riefe: Es lebe der Absolutismus!




Preußische Briefe.



Einnndzwanzigstcr Vries.
Die Verhandlungen der beiden Kammern.

Es ist charakteristisch für unsere Kammern, daß die verschiedene» Nuancen in
denselben — Parteien kann man sie nicht nennen -— vorzugsweise darüber mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/467>, abgerufen am 05.02.2025.