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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ab. Es war eine Ader von eigenem Humor in dem Burschen, der reguläre Krieg
freute ihm wenig, er war kaum ein Soldat zu nennen; wie der Marder, ging er
am liebsten allein den Kriegspfad über die gefährlichsten Stellen. Er schlich sich
tief in's Feindesland hinein, bestand haarsträubende Abenteuer, überfiel, raufte
und wurde gerauft, alles um einer Liebhaberei willen, welche allerdings unbequem
für Andre wurde; denn seine Liebhaberei war das Kopfabschneiden. Abgesehen von
dieser Schwäche, welche er mit einer gewissen cannibalischen Laune verzierte, war
er ein zwar roher, aber erträglich gutmüthiger Mensch. Wahrscheinlich anch ein
früherer Haiduck, war er mit dem General aus Türkisch-Serbien herübergekommen;
seine Treue, seine ungewöhnliche Schlauheit und eine Kühnheit, die selbst unter
den Serben beispiellos war, hatten ihn dem Feldherrn nützlich, im Lager zu einem
populären Charakter gemacht. Er war halb Profoß, halb Vertrauter des Gene¬
rals, und je nach Umständen Spion und Abenteurer. Seine Gemüthsruhe war
unerschütterlich, seine Laune unzerstörbar, sein Körper von Stahl. Er sah den
vorübergehenden Culturmenschen, unsern Freund, wohlwollend an und zwinkerte
vergnügt mit den Augen. -- "Hast Du den Wule gesehn?" frug Bvgislaw^ --
"Dort liegt er," antwortetete Stephan, mit Anmuth alt sein Gewehr fassend. --
Hinter der Wache, das Gesicht nach der ausgehenden Sonne gerichtet, lag der
Haiduck, das Haar struppicht von Nachtthau und geronnenen Blut, im Gesicht
erdfarben, wie ein Todter. Die zerschossene Schulter wM noch nicht verbunden.
'

Bogislaw trat zu ihm, faßte ihn bei der Ha"d nud sprach seinen Dank und
die Sorge aus, daß er gefährlich verwundet sein müsse. Der Haiduck schüttelte
mit dem Kopf; als aber der Freund ihn weiter frug, wie er dazu gekommen sei,
sich zwischen den Gewehrlauf und eine fremde Brust zu werfen, sah ihn der Hai¬
duck mit halb erloschenen Blick an und sprach trotzig: nicht für Dich, sondern
für mich hab ich's gethan, und wandte sich ab von dem lästigen Frager.---
Seit dem Tage war er uns ein Räthsel, dessen Lösung wir suchten. -- Knicanin
nahm mit dem Hauptcorps in derselben Nacht Lazarfeld. (Forts, folgt.)




Gine Bemerkung über Goethe zum 2". Ang.



Drei Tage lang nahm er Anstand auf die Welt zu kommen. Als er endlich
heut vor hundert Jahren in Frankfurt erschien, war er scheintodt und sah recht
schwärzlich und unansehnlich ans; sie hasten ihn mit Wein, bis er anfing zu
schreien. -- Später hat sich das Unansehnliche an ihm auffallend verloren. --

Keines Menschen Leben ist so viel begutachtet, gefeiert und beneidet worden,
als das seine; mehr als ein Gott, denn als ein Staubgeborner wurde er verehrt!


ab. Es war eine Ader von eigenem Humor in dem Burschen, der reguläre Krieg
freute ihm wenig, er war kaum ein Soldat zu nennen; wie der Marder, ging er
am liebsten allein den Kriegspfad über die gefährlichsten Stellen. Er schlich sich
tief in's Feindesland hinein, bestand haarsträubende Abenteuer, überfiel, raufte
und wurde gerauft, alles um einer Liebhaberei willen, welche allerdings unbequem
für Andre wurde; denn seine Liebhaberei war das Kopfabschneiden. Abgesehen von
dieser Schwäche, welche er mit einer gewissen cannibalischen Laune verzierte, war
er ein zwar roher, aber erträglich gutmüthiger Mensch. Wahrscheinlich anch ein
früherer Haiduck, war er mit dem General aus Türkisch-Serbien herübergekommen;
seine Treue, seine ungewöhnliche Schlauheit und eine Kühnheit, die selbst unter
den Serben beispiellos war, hatten ihn dem Feldherrn nützlich, im Lager zu einem
populären Charakter gemacht. Er war halb Profoß, halb Vertrauter des Gene¬
rals, und je nach Umständen Spion und Abenteurer. Seine Gemüthsruhe war
unerschütterlich, seine Laune unzerstörbar, sein Körper von Stahl. Er sah den
vorübergehenden Culturmenschen, unsern Freund, wohlwollend an und zwinkerte
vergnügt mit den Augen. — „Hast Du den Wule gesehn?" frug Bvgislaw^ —
„Dort liegt er," antwortetete Stephan, mit Anmuth alt sein Gewehr fassend. —
Hinter der Wache, das Gesicht nach der ausgehenden Sonne gerichtet, lag der
Haiduck, das Haar struppicht von Nachtthau und geronnenen Blut, im Gesicht
erdfarben, wie ein Todter. Die zerschossene Schulter wM noch nicht verbunden.
'

Bogislaw trat zu ihm, faßte ihn bei der Ha»d nud sprach seinen Dank und
die Sorge aus, daß er gefährlich verwundet sein müsse. Der Haiduck schüttelte
mit dem Kopf; als aber der Freund ihn weiter frug, wie er dazu gekommen sei,
sich zwischen den Gewehrlauf und eine fremde Brust zu werfen, sah ihn der Hai¬
duck mit halb erloschenen Blick an und sprach trotzig: nicht für Dich, sondern
für mich hab ich's gethan, und wandte sich ab von dem lästigen Frager.---
Seit dem Tage war er uns ein Räthsel, dessen Lösung wir suchten. — Knicanin
nahm mit dem Hauptcorps in derselben Nacht Lazarfeld. (Forts, folgt.)




Gine Bemerkung über Goethe zum 2«. Ang.



Drei Tage lang nahm er Anstand auf die Welt zu kommen. Als er endlich
heut vor hundert Jahren in Frankfurt erschien, war er scheintodt und sah recht
schwärzlich und unansehnlich ans; sie hasten ihn mit Wein, bis er anfing zu
schreien. — Später hat sich das Unansehnliche an ihm auffallend verloren. —

Keines Menschen Leben ist so viel begutachtet, gefeiert und beneidet worden,
als das seine; mehr als ein Gott, denn als ein Staubgeborner wurde er verehrt!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/396>, abgerufen am 05.02.2025.