Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

MUS lieber aus dem Wege. Das haben die Habsburger seit fast hundert Jahren
immer gethan. Sie sind nicht gemacht, Enthusiasmus der Völker zu erwecken
und zu nähren; und wo er einmal ausschlug, setzte er sie in peinliche Verlegen¬
heit. Denkt an die Tyroler! --

Unser Staat hat keine Bürger mehr: die sogenannten treuen Staatsbürger
sind Selbstlinge; und Rebellen sind gerade diejenigen, denen ein Herz für das
Allgemeine schlägt, die des begeisterten Patriotismus fähig sind, und die die
Regierung feindlich von sich gestoßen.

Nein, mit nationaler Begeisterung ist es in Oestreich nichts. Der Staat wird
ein Rechenexempel, der Kaiser die Eins, die Volker dahinterstehende Nullen. So
muß es werden, das ist die Weisheit des Familienraths!

Wäre unser Kaiser nur etwas selb se ständig, zeigte er nur je eine eigene Kraft.
Ach, aber er ist so wohlerzogen, was er thut, ist immer so ganz nach der Schule;
auch wo er einen Einfall hat, ist er vielleicht gutherzig, aber immer nach der
Schule. Er hat den Kaiser von Nußland gesehen und bewundert, er macht uns
ähnliche Streiche, ganz im Kleinen, bestellt die Mittagstafel um 3 Uhr, reitet um
4:; Uhr eine Meile weit, Soldaten streicheln und kömmt erst um 5 Uhr zurück,
während ihn der Hof mit Staunen erwartet.

Das ist das Genialste, was wir von ihm wissen. -- Es ist sehr, sehr wenig!




Zur neuesten Geschichte Ungarns.



IV.

Die Elemente des ungarischen Heeres waren zu Anfang des Krieges bunt
durcheinandcrgcwürfelt. Die wenigen Regimenter, die im Lande lagen abgerechnet,
bestanden sie lediglich aus zusammengelaufenem Landsturm. Doch genügten diese
Elemente, deu großen Comödianten des Südens mit seinem arvalischen Heere auf
der Höhe vou Pesth so in die Enge zu treiben, daß er um einen dreitägigen Waffen¬
stillstand ansucht. Er brach diesen Waffenstillstand und entfernte sich vor
Ablauf der Frist aus dem festgesetzten Rayon, um in rascher Flucht bis Presburg
Zu eilen, wo ihn zuerst die Nachricht vou der Wiener Octvbcrrevolution überraschte.
Jetzt eröffnete sich dem "ritterlichen" Baums ein neues Kamvsesziel -- er folgte
dem Donner der Kanonen.

Später, als schon etwas mehr Ordnung in die Regimenter der Honvvds ge¬
kommen war, bot ihre Fronte einen kläglichen Anblick für einen Soldaten vom


Grenzboten. >". 1849. 4

MUS lieber aus dem Wege. Das haben die Habsburger seit fast hundert Jahren
immer gethan. Sie sind nicht gemacht, Enthusiasmus der Völker zu erwecken
und zu nähren; und wo er einmal ausschlug, setzte er sie in peinliche Verlegen¬
heit. Denkt an die Tyroler! —

Unser Staat hat keine Bürger mehr: die sogenannten treuen Staatsbürger
sind Selbstlinge; und Rebellen sind gerade diejenigen, denen ein Herz für das
Allgemeine schlägt, die des begeisterten Patriotismus fähig sind, und die die
Regierung feindlich von sich gestoßen.

Nein, mit nationaler Begeisterung ist es in Oestreich nichts. Der Staat wird
ein Rechenexempel, der Kaiser die Eins, die Volker dahinterstehende Nullen. So
muß es werden, das ist die Weisheit des Familienraths!

Wäre unser Kaiser nur etwas selb se ständig, zeigte er nur je eine eigene Kraft.
Ach, aber er ist so wohlerzogen, was er thut, ist immer so ganz nach der Schule;
auch wo er einen Einfall hat, ist er vielleicht gutherzig, aber immer nach der
Schule. Er hat den Kaiser von Nußland gesehen und bewundert, er macht uns
ähnliche Streiche, ganz im Kleinen, bestellt die Mittagstafel um 3 Uhr, reitet um
4:; Uhr eine Meile weit, Soldaten streicheln und kömmt erst um 5 Uhr zurück,
während ihn der Hof mit Staunen erwartet.

Das ist das Genialste, was wir von ihm wissen. — Es ist sehr, sehr wenig!




Zur neuesten Geschichte Ungarns.



IV.

Die Elemente des ungarischen Heeres waren zu Anfang des Krieges bunt
durcheinandcrgcwürfelt. Die wenigen Regimenter, die im Lande lagen abgerechnet,
bestanden sie lediglich aus zusammengelaufenem Landsturm. Doch genügten diese
Elemente, deu großen Comödianten des Südens mit seinem arvalischen Heere auf
der Höhe vou Pesth so in die Enge zu treiben, daß er um einen dreitägigen Waffen¬
stillstand ansucht. Er brach diesen Waffenstillstand und entfernte sich vor
Ablauf der Frist aus dem festgesetzten Rayon, um in rascher Flucht bis Presburg
Zu eilen, wo ihn zuerst die Nachricht vou der Wiener Octvbcrrevolution überraschte.
Jetzt eröffnete sich dem „ritterlichen" Baums ein neues Kamvsesziel — er folgte
dem Donner der Kanonen.

Später, als schon etwas mehr Ordnung in die Regimenter der Honvvds ge¬
kommen war, bot ihre Fronte einen kläglichen Anblick für einen Soldaten vom


Grenzboten. >». 1849. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279059"/>
          <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> MUS lieber aus dem Wege. Das haben die Habsburger seit fast hundert Jahren<lb/>
immer gethan. Sie sind nicht gemacht, Enthusiasmus der Völker zu erwecken<lb/>
und zu nähren; und wo er einmal ausschlug, setzte er sie in peinliche Verlegen¬<lb/>
heit. Denkt an die Tyroler! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_66"> Unser Staat hat keine Bürger mehr: die sogenannten treuen Staatsbürger<lb/>
sind Selbstlinge; und Rebellen sind gerade diejenigen, denen ein Herz für das<lb/>
Allgemeine schlägt, die des begeisterten Patriotismus fähig sind, und die die<lb/>
Regierung feindlich von sich gestoßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_67"> Nein, mit nationaler Begeisterung ist es in Oestreich nichts. Der Staat wird<lb/>
ein Rechenexempel, der Kaiser die Eins, die Volker dahinterstehende Nullen. So<lb/>
muß es werden, das ist die Weisheit des Familienraths!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_68"> Wäre unser Kaiser nur etwas selb se ständig, zeigte er nur je eine eigene Kraft.<lb/>
Ach, aber er ist so wohlerzogen, was er thut, ist immer so ganz nach der Schule;<lb/>
auch wo er einen Einfall hat, ist er vielleicht gutherzig, aber immer nach der<lb/>
Schule. Er hat den Kaiser von Nußland gesehen und bewundert, er macht uns<lb/>
ähnliche Streiche, ganz im Kleinen, bestellt die Mittagstafel um 3 Uhr, reitet um<lb/>
4:; Uhr eine Meile weit, Soldaten streicheln und kömmt erst um 5 Uhr zurück,<lb/>
während ihn der Hof mit Staunen erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69"> Das ist das Genialste, was wir von ihm wissen. &#x2014; Es ist sehr, sehr wenig!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur neuesten Geschichte Ungarns.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> IV.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_70"> Die Elemente des ungarischen Heeres waren zu Anfang des Krieges bunt<lb/>
durcheinandcrgcwürfelt. Die wenigen Regimenter, die im Lande lagen abgerechnet,<lb/>
bestanden sie lediglich aus zusammengelaufenem Landsturm. Doch genügten diese<lb/>
Elemente, deu großen Comödianten des Südens mit seinem arvalischen Heere auf<lb/>
der Höhe vou Pesth so in die Enge zu treiben, daß er um einen dreitägigen Waffen¬<lb/>
stillstand ansucht. Er brach diesen Waffenstillstand und entfernte sich vor<lb/>
Ablauf der Frist aus dem festgesetzten Rayon, um in rascher Flucht bis Presburg<lb/>
Zu eilen, wo ihn zuerst die Nachricht vou der Wiener Octvbcrrevolution überraschte.<lb/>
Jetzt eröffnete sich dem &#x201E;ritterlichen" Baums ein neues Kamvsesziel &#x2014; er folgte<lb/>
dem Donner der Kanonen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_71" next="#ID_72"> Später, als schon etwas mehr Ordnung in die Regimenter der Honvvds ge¬<lb/>
kommen war, bot ihre Fronte einen kläglichen Anblick für einen Soldaten vom</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. &gt;». 1849. 4</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] MUS lieber aus dem Wege. Das haben die Habsburger seit fast hundert Jahren immer gethan. Sie sind nicht gemacht, Enthusiasmus der Völker zu erwecken und zu nähren; und wo er einmal ausschlug, setzte er sie in peinliche Verlegen¬ heit. Denkt an die Tyroler! — Unser Staat hat keine Bürger mehr: die sogenannten treuen Staatsbürger sind Selbstlinge; und Rebellen sind gerade diejenigen, denen ein Herz für das Allgemeine schlägt, die des begeisterten Patriotismus fähig sind, und die die Regierung feindlich von sich gestoßen. Nein, mit nationaler Begeisterung ist es in Oestreich nichts. Der Staat wird ein Rechenexempel, der Kaiser die Eins, die Volker dahinterstehende Nullen. So muß es werden, das ist die Weisheit des Familienraths! Wäre unser Kaiser nur etwas selb se ständig, zeigte er nur je eine eigene Kraft. Ach, aber er ist so wohlerzogen, was er thut, ist immer so ganz nach der Schule; auch wo er einen Einfall hat, ist er vielleicht gutherzig, aber immer nach der Schule. Er hat den Kaiser von Nußland gesehen und bewundert, er macht uns ähnliche Streiche, ganz im Kleinen, bestellt die Mittagstafel um 3 Uhr, reitet um 4:; Uhr eine Meile weit, Soldaten streicheln und kömmt erst um 5 Uhr zurück, während ihn der Hof mit Staunen erwartet. Das ist das Genialste, was wir von ihm wissen. — Es ist sehr, sehr wenig! Zur neuesten Geschichte Ungarns. IV. Die Elemente des ungarischen Heeres waren zu Anfang des Krieges bunt durcheinandcrgcwürfelt. Die wenigen Regimenter, die im Lande lagen abgerechnet, bestanden sie lediglich aus zusammengelaufenem Landsturm. Doch genügten diese Elemente, deu großen Comödianten des Südens mit seinem arvalischen Heere auf der Höhe vou Pesth so in die Enge zu treiben, daß er um einen dreitägigen Waffen¬ stillstand ansucht. Er brach diesen Waffenstillstand und entfernte sich vor Ablauf der Frist aus dem festgesetzten Rayon, um in rascher Flucht bis Presburg Zu eilen, wo ihn zuerst die Nachricht vou der Wiener Octvbcrrevolution überraschte. Jetzt eröffnete sich dem „ritterlichen" Baums ein neues Kamvsesziel — er folgte dem Donner der Kanonen. Später, als schon etwas mehr Ordnung in die Regimenter der Honvvds ge¬ kommen war, bot ihre Fronte einen kläglichen Anblick für einen Soldaten vom Grenzboten. >». 1849. 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/33>, abgerufen am 05.02.2025.