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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Zu Goethe's Jubelfeier.



Studien zu Goethe's Werken von Heinrich Dnntzer. Elberfeld und
Iserlohn, Vädecker.


Inhalt: Ueber Goethes politische Ansicht und seine Stellung zu den Bewegungen der
Zeit. -- Reise der Söhne Megaprazon's; Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter; das epi¬
sche Gedicht "die Jagd" und die "Novelle." (Diese drei Abhandlungen waren schon im Archiv
für neuere Sprachen und Literatur abgedruckt.) -- Goethe's Lotte und die Leiden des jungen
Werthes. Nebst einer Uebersicht der Werther - Literatur und einem Anhang, enthaltend die
gleichzeitigen Broschüren: Prometheus, Dentalivm und seine Recensenten; Menschen, Thiere
und Goethe; Palus und Arria; Lotte bei Werther's Grab. -- Wilhelm Meister's Lehrjahre und
Wanderjahre. -- Goethe's Gutachten über Oken's Isis. --

Goethe's Kritiker in unserer Zeit haben in der Regel einen Anstrich von
Parteilichkeit nicht verleugnen können, der sich einfach aus der Differenz zwischen
dem Idealismus unserer Generation und dem des vorigen Jahrhunderts ergibt.
Wer die leitenden Ideen, die Probleme, welche jene Zeit bewegten, als die be¬
rechtigten anerkannte, oder sich instinctartig von ihnen bestimmen ließ, mußte auch
für den vorzüglichsten Repräsentanten derselben eine unbedingt Verehrung empfin¬
den; wer sie verwarf, konnte auch dem Dichter nur ein bedingtes Lob ertheilen.
Wie jede Reaction gegen eine populäre Ansicht, trat auch diese kritische Richtung
zuerst in leidenschaftlicher Einseitigkeit hervor und führte eben darum ans der andern
Seite zu gehässigen Entgegnungen. Dort ging man mit allem Pathos einer neu¬
erworbenen Idee Goethe wegen seiner Jmmora'nat zu Leibe, und warf ihm vor,
daß er für das Volk und seine Freiheit kein Herz, für die Geschichte und ihren
Geist kein Verständniß gehabt; hier rang man die Hände über den Mangel an
Pietät, über die Beschränktheit und den niedrigen Sinn, der sich gegen einen so
großen Dichter, den Stolz der Nation, ein so ungebührliches Betragen erlaubte.
Man erklärte Menzel für ein schlechtes Subject im Allgemeinen, Börne für einen
Fanatiker, Gervinus sür einen Spießbürger: eine Abfertigung, die freilich nur die
unbedingten Anhänger der ästhetischen Rechtgläubigkeit beliebigen konnte.

Die Gegner unsers Dichters versehen es in zwei Punkten. Einmal verkannten
sie die historische Berechtigung seines Princips, und wurden dadurch ungerecht gegen
Goethe: um so ungerechter, weil sie sich bei andern Dichtern, z. B. Schiller,
durch einzelne Anklänge an ihre Lieblingsansichten bestechen ließen, sie Goethe als
die Bessergestellten gegenüberzustellen. Ans der andern Seite gingen sie wieder
"


Grenzboten, in. 1849. 26
Zu Goethe's Jubelfeier.



Studien zu Goethe's Werken von Heinrich Dnntzer. Elberfeld und
Iserlohn, Vädecker.


Inhalt: Ueber Goethes politische Ansicht und seine Stellung zu den Bewegungen der
Zeit. — Reise der Söhne Megaprazon's; Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter; das epi¬
sche Gedicht „die Jagd" und die „Novelle." (Diese drei Abhandlungen waren schon im Archiv
für neuere Sprachen und Literatur abgedruckt.) — Goethe's Lotte und die Leiden des jungen
Werthes. Nebst einer Uebersicht der Werther - Literatur und einem Anhang, enthaltend die
gleichzeitigen Broschüren: Prometheus, Dentalivm und seine Recensenten; Menschen, Thiere
und Goethe; Palus und Arria; Lotte bei Werther's Grab. — Wilhelm Meister's Lehrjahre und
Wanderjahre. — Goethe's Gutachten über Oken's Isis. —

Goethe's Kritiker in unserer Zeit haben in der Regel einen Anstrich von
Parteilichkeit nicht verleugnen können, der sich einfach aus der Differenz zwischen
dem Idealismus unserer Generation und dem des vorigen Jahrhunderts ergibt.
Wer die leitenden Ideen, die Probleme, welche jene Zeit bewegten, als die be¬
rechtigten anerkannte, oder sich instinctartig von ihnen bestimmen ließ, mußte auch
für den vorzüglichsten Repräsentanten derselben eine unbedingt Verehrung empfin¬
den; wer sie verwarf, konnte auch dem Dichter nur ein bedingtes Lob ertheilen.
Wie jede Reaction gegen eine populäre Ansicht, trat auch diese kritische Richtung
zuerst in leidenschaftlicher Einseitigkeit hervor und führte eben darum ans der andern
Seite zu gehässigen Entgegnungen. Dort ging man mit allem Pathos einer neu¬
erworbenen Idee Goethe wegen seiner Jmmora'nat zu Leibe, und warf ihm vor,
daß er für das Volk und seine Freiheit kein Herz, für die Geschichte und ihren
Geist kein Verständniß gehabt; hier rang man die Hände über den Mangel an
Pietät, über die Beschränktheit und den niedrigen Sinn, der sich gegen einen so
großen Dichter, den Stolz der Nation, ein so ungebührliches Betragen erlaubte.
Man erklärte Menzel für ein schlechtes Subject im Allgemeinen, Börne für einen
Fanatiker, Gervinus sür einen Spießbürger: eine Abfertigung, die freilich nur die
unbedingten Anhänger der ästhetischen Rechtgläubigkeit beliebigen konnte.

Die Gegner unsers Dichters versehen es in zwei Punkten. Einmal verkannten
sie die historische Berechtigung seines Princips, und wurden dadurch ungerecht gegen
Goethe: um so ungerechter, weil sie sich bei andern Dichtern, z. B. Schiller,
durch einzelne Anklänge an ihre Lieblingsansichten bestechen ließen, sie Goethe als
die Bessergestellten gegenüberzustellen. Ans der andern Seite gingen sie wieder
"


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[0205] Zu Goethe's Jubelfeier. Studien zu Goethe's Werken von Heinrich Dnntzer. Elberfeld und Iserlohn, Vädecker. Inhalt: Ueber Goethes politische Ansicht und seine Stellung zu den Bewegungen der Zeit. — Reise der Söhne Megaprazon's; Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter; das epi¬ sche Gedicht „die Jagd" und die „Novelle." (Diese drei Abhandlungen waren schon im Archiv für neuere Sprachen und Literatur abgedruckt.) — Goethe's Lotte und die Leiden des jungen Werthes. Nebst einer Uebersicht der Werther - Literatur und einem Anhang, enthaltend die gleichzeitigen Broschüren: Prometheus, Dentalivm und seine Recensenten; Menschen, Thiere und Goethe; Palus und Arria; Lotte bei Werther's Grab. — Wilhelm Meister's Lehrjahre und Wanderjahre. — Goethe's Gutachten über Oken's Isis. — Goethe's Kritiker in unserer Zeit haben in der Regel einen Anstrich von Parteilichkeit nicht verleugnen können, der sich einfach aus der Differenz zwischen dem Idealismus unserer Generation und dem des vorigen Jahrhunderts ergibt. Wer die leitenden Ideen, die Probleme, welche jene Zeit bewegten, als die be¬ rechtigten anerkannte, oder sich instinctartig von ihnen bestimmen ließ, mußte auch für den vorzüglichsten Repräsentanten derselben eine unbedingt Verehrung empfin¬ den; wer sie verwarf, konnte auch dem Dichter nur ein bedingtes Lob ertheilen. Wie jede Reaction gegen eine populäre Ansicht, trat auch diese kritische Richtung zuerst in leidenschaftlicher Einseitigkeit hervor und führte eben darum ans der andern Seite zu gehässigen Entgegnungen. Dort ging man mit allem Pathos einer neu¬ erworbenen Idee Goethe wegen seiner Jmmora'nat zu Leibe, und warf ihm vor, daß er für das Volk und seine Freiheit kein Herz, für die Geschichte und ihren Geist kein Verständniß gehabt; hier rang man die Hände über den Mangel an Pietät, über die Beschränktheit und den niedrigen Sinn, der sich gegen einen so großen Dichter, den Stolz der Nation, ein so ungebührliches Betragen erlaubte. Man erklärte Menzel für ein schlechtes Subject im Allgemeinen, Börne für einen Fanatiker, Gervinus sür einen Spießbürger: eine Abfertigung, die freilich nur die unbedingten Anhänger der ästhetischen Rechtgläubigkeit beliebigen konnte. Die Gegner unsers Dichters versehen es in zwei Punkten. Einmal verkannten sie die historische Berechtigung seines Princips, und wurden dadurch ungerecht gegen Goethe: um so ungerechter, weil sie sich bei andern Dichtern, z. B. Schiller, durch einzelne Anklänge an ihre Lieblingsansichten bestechen ließen, sie Goethe als die Bessergestellten gegenüberzustellen. Ans der andern Seite gingen sie wieder " Grenzboten, in. 1849. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/205>, abgerufen am 05.02.2025.