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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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sich freilich eine meist aus jungen Advocaten bestehende radicale Clique dermaßen
eingenistet, daß ich vor allenfallsigen Ausbrüchen des Unsinns nicht garantiren
möchte, insofern nicht etwa das Beispiel Weimars wirkt. Als ein relativ großer
Staat unter ganz miniatnrmäßig gerathenen übt es doch immer einen gewissen Ein¬
fluß auf die innere Politik der thüringischen Länder ans.




Die Dichter des Details und Leopold Kompert.



Bei allem künstlerischen Schaffen ist bekanntlich einHaupterforderniß, daß die Seele
des Künstlers sich mit Wärme in dem Stoff, welchen sie bearbeiten will, concen-
trire und ihn mit einer gewissen Zärtlichkeit hege, bis er reif geworden ist sür
die Ausbildung im Detail. Es ist nicht möglich, daß der Dichter ein Kunstwerk
schafft, wenn er sich nicht vorher sür seinen Stoff begeistert hat und der Mangel,
an Productivität in der Entwicklungsperiode eines Volkes wie beim Einzelnen
kommt zum großen Theil daher, daß die "Zeit" keine großen Gebiete von Stoffen
darbietet, welche zur Verarbeitung reizen; eben so hängt der ästhetische Kunst¬
werth des Geschaffenen in einer Periode davon ab, ob die Anschauungen, Ein¬
drücke und Stimmungen, welche das lebende Talent in seiner Welt einsaugt, so
stark und auch wieder so ruhig strömen, daß sie eine freie Verarbeitung begünsti¬
gen. Die Geschichte der deutschen Poesie in den letzten zwanzig Jahren liefert
überall auffallende Beispiele zu dem Gesagten, jedes Dichterwerk erscheint als ein
Abdruck der Eigenthümlichkeiten unserer Vergangenheit, als eine Spur, an welcher
wir die Strömung der Wellen unseres Volkslebens erkennen.

Die productive Dichterkraft unserer Nation hatte seit dem Anfang der
dreißiger Jahre einen neuen Anlauf nach dem Epos und Drama genommen, ohne
ans beiden Gebieten große Eroberungen zu machen. Seit der Julirevolution war
die Einwirkung Frankreichs auf Deutschland eine stärkere geworden. Eine nervöse
Reizbarkeit und Unzufriedenheit mit der gemeinen Wirklichkeit unseres Staats¬
und Völkerlebens, regten zur Produktion an, ohne viel von dem zu gewähren,
was die Seele des Schaffenden reich macht. Den dramatischen Dichtungen fehlten
Charaktere und die Weisheit eines starken Lebens, und es blieb bei mehr oder
weniger erfolgreichen Sitnationsstücken. Für das Cpos aber fehlte nicht uur die Freude
und das Behagen am Leben selbst, sondern auch all die souveräne Freiheit, mit
welcher der Dichtergeist über den Gegensätzen der kämpfenden Welt, welche er
darstellt, schweben muß. Die Sentimentalität der Deutschen war in feindlicher
Opposition zu der Gegenwart und ging deshalb auf Reise", sie suchte ihre Stoffe
an den Ufern des Ganges, in den Palmen der Wüste, in den Schrecken der


sich freilich eine meist aus jungen Advocaten bestehende radicale Clique dermaßen
eingenistet, daß ich vor allenfallsigen Ausbrüchen des Unsinns nicht garantiren
möchte, insofern nicht etwa das Beispiel Weimars wirkt. Als ein relativ großer
Staat unter ganz miniatnrmäßig gerathenen übt es doch immer einen gewissen Ein¬
fluß auf die innere Politik der thüringischen Länder ans.




Die Dichter des Details und Leopold Kompert.



Bei allem künstlerischen Schaffen ist bekanntlich einHaupterforderniß, daß die Seele
des Künstlers sich mit Wärme in dem Stoff, welchen sie bearbeiten will, concen-
trire und ihn mit einer gewissen Zärtlichkeit hege, bis er reif geworden ist sür
die Ausbildung im Detail. Es ist nicht möglich, daß der Dichter ein Kunstwerk
schafft, wenn er sich nicht vorher sür seinen Stoff begeistert hat und der Mangel,
an Productivität in der Entwicklungsperiode eines Volkes wie beim Einzelnen
kommt zum großen Theil daher, daß die „Zeit" keine großen Gebiete von Stoffen
darbietet, welche zur Verarbeitung reizen; eben so hängt der ästhetische Kunst¬
werth des Geschaffenen in einer Periode davon ab, ob die Anschauungen, Ein¬
drücke und Stimmungen, welche das lebende Talent in seiner Welt einsaugt, so
stark und auch wieder so ruhig strömen, daß sie eine freie Verarbeitung begünsti¬
gen. Die Geschichte der deutschen Poesie in den letzten zwanzig Jahren liefert
überall auffallende Beispiele zu dem Gesagten, jedes Dichterwerk erscheint als ein
Abdruck der Eigenthümlichkeiten unserer Vergangenheit, als eine Spur, an welcher
wir die Strömung der Wellen unseres Volkslebens erkennen.

Die productive Dichterkraft unserer Nation hatte seit dem Anfang der
dreißiger Jahre einen neuen Anlauf nach dem Epos und Drama genommen, ohne
ans beiden Gebieten große Eroberungen zu machen. Seit der Julirevolution war
die Einwirkung Frankreichs auf Deutschland eine stärkere geworden. Eine nervöse
Reizbarkeit und Unzufriedenheit mit der gemeinen Wirklichkeit unseres Staats¬
und Völkerlebens, regten zur Produktion an, ohne viel von dem zu gewähren,
was die Seele des Schaffenden reich macht. Den dramatischen Dichtungen fehlten
Charaktere und die Weisheit eines starken Lebens, und es blieb bei mehr oder
weniger erfolgreichen Sitnationsstücken. Für das Cpos aber fehlte nicht uur die Freude
und das Behagen am Leben selbst, sondern auch all die souveräne Freiheit, mit
welcher der Dichtergeist über den Gegensätzen der kämpfenden Welt, welche er
darstellt, schweben muß. Die Sentimentalität der Deutschen war in feindlicher
Opposition zu der Gegenwart und ging deshalb auf Reise», sie suchte ihre Stoffe
an den Ufern des Ganges, in den Palmen der Wüste, in den Schrecken der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/189>, abgerufen am 05.02.2025.