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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Votum über die letzte deutsche Bewegung.
Von einem östreichischen Juristen").



Die Art und Weise, wie die neuesten Bewegungen in Deutschland behufs
gewaltsamer Einführung der Reichsverfassung und insbesondere der Aufstand in
Baden und in der Pfalz in conservativen Blättern besprochen werden, gibt zu
einigen nicht eben erfreulichen Bemerkungen Anlaß.

Ein anderes als ein verdammendes Urtheil war von dieser Seite über solche
Vorgänge natürlich nicht zu erwarten. Wer der Vereinbarungstheorie huldigt,
und die Verfassung Deutschlands aus einem Vertrage zwischen dem Volke und
den Fürsten hervorgehen sehen will, kann in dem von der Nationalversammlung
einseitig beschlossenen Grundgesetze nicht mehr als den Vorschlag eines Contrahenten
und in dem Versuche, den Regierungen mit den Waffen in der Hand die Zu¬
stimmung abzunöthigen, nur einen gegen den andern Compaciscenten gerichteten
Zwang, also eine Rechtsverletzung erblicken. Wer ferner zwar die Nationalver-
sammlung als eine constituireude und somit die von derselben beschlossene Ver¬
fassung als giltig anerkennt, aber ihre wirkliche Einführung noch von friedlichen
und gesetzlichen Mitteln erwartet, muß ebenfalls einen bewaffneten Aufstand zu
diesem Ende, der als ultima i-kein" erst dann gerechtfertigt erschien, wenn alle
andern gelindem Mittel bereits erschöpft wären, entschieden mißbilligen. Und
zwar um so mehr, als ein solcher Aufstand, der doch, wie die Sachen stehen,
nur sehr geringe Chancen des Erfolges hatte, andererseits zugleich der gesetzlichen
Agitation für die Reichsverfassung in verschiedenen Beziehungen Eintrag thut.
Denn der entschiedenere und ungestümere Theil des Volkes wird durch die Theil¬
nahme an demselben compromittirt und so außer Stand gesetzt, sich noch an dem
gesetzlichen Kampfe wirksam zu betheiligen, während die Zauderndcu und Aengst-
lichern vor einer Bewegung zurückschrecken, die in letzter Konsequenz zu Aufruhr
und Bürgerkrieg führe" kann. Und indem serner ein niedergeschlagener Aufstand
den Regierungen zur Verhängung vou Ausnahmsmaßregelu und zur Suspension



*) Vergleiche die folgende Abhandlung- "Das Wesen der Revolution."
Grenzboten, in. 184S. 16
Votum über die letzte deutsche Bewegung.
Von einem östreichischen Juristen").



Die Art und Weise, wie die neuesten Bewegungen in Deutschland behufs
gewaltsamer Einführung der Reichsverfassung und insbesondere der Aufstand in
Baden und in der Pfalz in conservativen Blättern besprochen werden, gibt zu
einigen nicht eben erfreulichen Bemerkungen Anlaß.

Ein anderes als ein verdammendes Urtheil war von dieser Seite über solche
Vorgänge natürlich nicht zu erwarten. Wer der Vereinbarungstheorie huldigt,
und die Verfassung Deutschlands aus einem Vertrage zwischen dem Volke und
den Fürsten hervorgehen sehen will, kann in dem von der Nationalversammlung
einseitig beschlossenen Grundgesetze nicht mehr als den Vorschlag eines Contrahenten
und in dem Versuche, den Regierungen mit den Waffen in der Hand die Zu¬
stimmung abzunöthigen, nur einen gegen den andern Compaciscenten gerichteten
Zwang, also eine Rechtsverletzung erblicken. Wer ferner zwar die Nationalver-
sammlung als eine constituireude und somit die von derselben beschlossene Ver¬
fassung als giltig anerkennt, aber ihre wirkliche Einführung noch von friedlichen
und gesetzlichen Mitteln erwartet, muß ebenfalls einen bewaffneten Aufstand zu
diesem Ende, der als ultima i-kein» erst dann gerechtfertigt erschien, wenn alle
andern gelindem Mittel bereits erschöpft wären, entschieden mißbilligen. Und
zwar um so mehr, als ein solcher Aufstand, der doch, wie die Sachen stehen,
nur sehr geringe Chancen des Erfolges hatte, andererseits zugleich der gesetzlichen
Agitation für die Reichsverfassung in verschiedenen Beziehungen Eintrag thut.
Denn der entschiedenere und ungestümere Theil des Volkes wird durch die Theil¬
nahme an demselben compromittirt und so außer Stand gesetzt, sich noch an dem
gesetzlichen Kampfe wirksam zu betheiligen, während die Zauderndcu und Aengst-
lichern vor einer Bewegung zurückschrecken, die in letzter Konsequenz zu Aufruhr
und Bürgerkrieg führe» kann. Und indem serner ein niedergeschlagener Aufstand
den Regierungen zur Verhängung vou Ausnahmsmaßregelu und zur Suspension



*) Vergleiche die folgende Abhandlung- „Das Wesen der Revolution."
Grenzboten, in. 184S. 16
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[0129] Votum über die letzte deutsche Bewegung. Von einem östreichischen Juristen"). Die Art und Weise, wie die neuesten Bewegungen in Deutschland behufs gewaltsamer Einführung der Reichsverfassung und insbesondere der Aufstand in Baden und in der Pfalz in conservativen Blättern besprochen werden, gibt zu einigen nicht eben erfreulichen Bemerkungen Anlaß. Ein anderes als ein verdammendes Urtheil war von dieser Seite über solche Vorgänge natürlich nicht zu erwarten. Wer der Vereinbarungstheorie huldigt, und die Verfassung Deutschlands aus einem Vertrage zwischen dem Volke und den Fürsten hervorgehen sehen will, kann in dem von der Nationalversammlung einseitig beschlossenen Grundgesetze nicht mehr als den Vorschlag eines Contrahenten und in dem Versuche, den Regierungen mit den Waffen in der Hand die Zu¬ stimmung abzunöthigen, nur einen gegen den andern Compaciscenten gerichteten Zwang, also eine Rechtsverletzung erblicken. Wer ferner zwar die Nationalver- sammlung als eine constituireude und somit die von derselben beschlossene Ver¬ fassung als giltig anerkennt, aber ihre wirkliche Einführung noch von friedlichen und gesetzlichen Mitteln erwartet, muß ebenfalls einen bewaffneten Aufstand zu diesem Ende, der als ultima i-kein» erst dann gerechtfertigt erschien, wenn alle andern gelindem Mittel bereits erschöpft wären, entschieden mißbilligen. Und zwar um so mehr, als ein solcher Aufstand, der doch, wie die Sachen stehen, nur sehr geringe Chancen des Erfolges hatte, andererseits zugleich der gesetzlichen Agitation für die Reichsverfassung in verschiedenen Beziehungen Eintrag thut. Denn der entschiedenere und ungestümere Theil des Volkes wird durch die Theil¬ nahme an demselben compromittirt und so außer Stand gesetzt, sich noch an dem gesetzlichen Kampfe wirksam zu betheiligen, während die Zauderndcu und Aengst- lichern vor einer Bewegung zurückschrecken, die in letzter Konsequenz zu Aufruhr und Bürgerkrieg führe» kann. Und indem serner ein niedergeschlagener Aufstand den Regierungen zur Verhängung vou Ausnahmsmaßregelu und zur Suspension *) Vergleiche die folgende Abhandlung- „Das Wesen der Revolution." Grenzboten, in. 184S. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/129>, abgerufen am 05.02.2025.