Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Kleine Briefe der Grenzboten. Die Cholera in Breslau. Eine Anfrage von H. T. in Breslau. -- Kleine Briefe der Grenzboten. Die Cholera in Breslau. Eine Anfrage von H. T. in Breslau. — <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279020"/> </div> <div n="1"> <head> Kleine Briefe der Grenzboten.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1679" next="#ID_1680"> Die Cholera in Breslau. Eine Anfrage von H. T. in Breslau. —<lb/> Vor einem Jahr strich das Gespenst der Cholera durch die Straßen und Woh¬<lb/> nungen Breslaus, viele Opfer hat sie damals gefordert und die Bewohner von<lb/> Breslau athmeten tief auf, als der Würgengel von ihnen schied. Aber zu leicht<lb/> war es ihr geworden in unseren engen Gassen, den hohen finstern Häusern, den<lb/> schmutzigen und unreinlichen Wohnungen der massenhaften Armuth ihre Beute zu<lb/> fassen. Sie kam wieder; und das Grauen und Entsetzen der letzten Wochen,<lb/> welche wir durchlebt haben, vermag ich Ihnen nicht zu schildern. Das schwarze<lb/> Gespenst trat in den heißen Tagen zuerst einzeln auf, es kauerte zusammengedrückt<lb/> an den Bettpfosten armer Leute, dann wuchs es größer und immer größer, sprang<lb/> von Giebel zu Giebel, huschte Trepp auf, Trepp ab, zeichnete ganze Wohnungen,<lb/> ganze Hänser mit dem Kreuz des Todes, endlich breitete es seine Riesenflügel über<lb/> die gesammte Stadt ans und warf seine Opfer zu Hunderten auf deu Tvdtenkarren.<lb/> Siebzig, achtzig, hundert Leichen an einem Tage! Das Volk schrie entsetzt:<lb/> der schwarze Tod! und zitterte vor dem Untergange der Stadt, auch dem Herzhaften<lb/> wurde ängstlich zu Muth, wenn er die Anzahl der Särge sah und die Verwüstung<lb/> so vieler Familien. Vergebens versuchten die Aerzte dnrch alle möglichen Reiz¬<lb/> mittel das schnelle Aufhören der Lebenskraft an ihren Patienten zu hemmen, die<lb/> Einen geben Opium und Phosphoräther, Andere veratrum .Ub»in, ein junger<lb/> demokratischer Arzt Lewy glaubte endlich gar im Höllenstein das Radicalmittel ge¬<lb/> funden zu habe». Die Seuche spottete aller Arzeneien, im Verlauf von 4 bis 5<lb/> Stunden verwandelte sie den Gesunden in eine Leiche. Unerklärt in ihrem Wesen,<lb/> geheimnißvoll das tödtliche Gift in die Adern des Erkrankenden tröpfelnd, riß sie<lb/> Alt und Jung, Reich und Arm mit ihren Krallen zu Boden. Viele tüchtige<lb/> Männer hat Breslau »erkoren, die Universität, die Beamtenwelt, der Arbeiter¬<lb/> stand haben gleichen Grund zur Trauer. Noch ist die Anzahl der Erkrankungen<lb/> sehr groß, aber die intensive Wuth der Krankheit ist verringert; der Verlauf der<lb/> Krankheit ist langsamer, und der Heilkunde wird Gelegenheit, mit einigen Erfolg<lb/> gegen den Dämon zu kämpfen. Ihr Blatt macht es sich zur Aufgabe, die bedeutenden<lb/> Erscheinungen des deutschen Lebens dem Publikum darzustellen; — können Sie uns<lb/> Breslanern etwas Sicheres über die Natur und das Wesen der gespenstischen Er¬<lb/> scheinung mittheilen, welche unsere Stadt in Trauerfarbe gehüllt hat, so thun</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Kleine Briefe der Grenzboten.
Die Cholera in Breslau. Eine Anfrage von H. T. in Breslau. —
Vor einem Jahr strich das Gespenst der Cholera durch die Straßen und Woh¬
nungen Breslaus, viele Opfer hat sie damals gefordert und die Bewohner von
Breslau athmeten tief auf, als der Würgengel von ihnen schied. Aber zu leicht
war es ihr geworden in unseren engen Gassen, den hohen finstern Häusern, den
schmutzigen und unreinlichen Wohnungen der massenhaften Armuth ihre Beute zu
fassen. Sie kam wieder; und das Grauen und Entsetzen der letzten Wochen,
welche wir durchlebt haben, vermag ich Ihnen nicht zu schildern. Das schwarze
Gespenst trat in den heißen Tagen zuerst einzeln auf, es kauerte zusammengedrückt
an den Bettpfosten armer Leute, dann wuchs es größer und immer größer, sprang
von Giebel zu Giebel, huschte Trepp auf, Trepp ab, zeichnete ganze Wohnungen,
ganze Hänser mit dem Kreuz des Todes, endlich breitete es seine Riesenflügel über
die gesammte Stadt ans und warf seine Opfer zu Hunderten auf deu Tvdtenkarren.
Siebzig, achtzig, hundert Leichen an einem Tage! Das Volk schrie entsetzt:
der schwarze Tod! und zitterte vor dem Untergange der Stadt, auch dem Herzhaften
wurde ängstlich zu Muth, wenn er die Anzahl der Särge sah und die Verwüstung
so vieler Familien. Vergebens versuchten die Aerzte dnrch alle möglichen Reiz¬
mittel das schnelle Aufhören der Lebenskraft an ihren Patienten zu hemmen, die
Einen geben Opium und Phosphoräther, Andere veratrum .Ub»in, ein junger
demokratischer Arzt Lewy glaubte endlich gar im Höllenstein das Radicalmittel ge¬
funden zu habe». Die Seuche spottete aller Arzeneien, im Verlauf von 4 bis 5
Stunden verwandelte sie den Gesunden in eine Leiche. Unerklärt in ihrem Wesen,
geheimnißvoll das tödtliche Gift in die Adern des Erkrankenden tröpfelnd, riß sie
Alt und Jung, Reich und Arm mit ihren Krallen zu Boden. Viele tüchtige
Männer hat Breslau »erkoren, die Universität, die Beamtenwelt, der Arbeiter¬
stand haben gleichen Grund zur Trauer. Noch ist die Anzahl der Erkrankungen
sehr groß, aber die intensive Wuth der Krankheit ist verringert; der Verlauf der
Krankheit ist langsamer, und der Heilkunde wird Gelegenheit, mit einigen Erfolg
gegen den Dämon zu kämpfen. Ihr Blatt macht es sich zur Aufgabe, die bedeutenden
Erscheinungen des deutschen Lebens dem Publikum darzustellen; — können Sie uns
Breslanern etwas Sicheres über die Natur und das Wesen der gespenstischen Er¬
scheinung mittheilen, welche unsere Stadt in Trauerfarbe gehüllt hat, so thun
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