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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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für das Freiheitssymbol der Barrikaden, die hier gegen Windischgrätz aufgerichtet
wurden.

Vor Allem aber überwog die polnische Sache. Die Polen vereinigen in sich
den Gegensatz der intensivsten, ausschließlichen Nationalität -- der Traum ihres
Reichs ist ihnen der Mittelpunkt, um welchen die Welt sich dreht; und einer wahr¬
haft kosmopolitischen Praxis. Wo es diesseit nud jenseit des atlantischen Oceans
einen Aufstand gibt, sind sie sicher zu finden, sie intriguiren allenfalls am Missi-
sippi dafür, eine Constellation der Wcltpolitik hervorzubringen, wie sie die Re¬
stauration des Jagellonenreichs möglich macht. Wie ans die Barrikaden, so war¬
fen sie sich auch ans sämmtliche demokratischen Journale. Beinahe ein Drittel der
Reform -- deren Umfang übrigens damals so klein war, als es unter den Umstän¬
den irgend möglich war, enthielt apologetische Korrespondenzen ans Polen, und
wunderlich genug nahm es sich aus, wenn die atheistische Reform selbst die reli¬
giösen Klagen der frommen polnischen Katholiken gegen die rationalistische Ein¬
wirkung des freigeistischcu preußischen Gouvernements vertrat.

Selbst als auf das Andringen der Berliner Korrespondenten die Reform
nach Berlin verlegt wurde, dauerte die liederliche Wirthschaft fort, das Blatt er¬
schien zuletzt im Umfang eines halben Bogens, bis es endlich der in Berlin re-
fidirende Ausschuß der demokratischen Vereine, in Verbindung mit der äußersten
Linken der constituirenden Versammlung, zu seinem offiziellen Organ erhob. Es
wurde ein ziemlich zahlreiches Redactivus - Comitv ernannt, Ruge selbst, dessen
Stellung in der Paulskirche immer unhaltbarer geworden war, kam nach Berlin,
das Blatt erweiterte sich zum Folio, und es kam Methode wenigstens in sein
äußeres Ansehen. Die Helden, welche ehemals in der Mannheimer Abendzeitung
gedonnert, fanden nun hier ihre Stätte. Hin und wieder versuchte uoch Rüge,
durch einige zierliche Manifeste und Portraits dem Ganzen einen Anstrich von
Bildung zu geben, aber es war umsonst. Die Reform wurde ein radikales Blatt
wie andere radikalen Blätter auch; es wiederholte sich in beständigen Wuthaus-
brüchen, und seine ewigen Denunciationen von Verschwörung, Intrigue und Con-
trerevolution fingen an, das Publikum zu ermüden; als es durch den Belage¬
rungszustand unterdrückt wurde, blieb keine fühlbare Lücke: die Nativnalzeitung,
die nun etwas radikaler wurde, reichte hiu, die Reform und Zeitungshalle zugleich
zu er-setzen.


7. Die neue preußische Zeitung.

Sie hat den Ruhm, unter den größer" Blättern das einzige zu sei", welches
an Gemcinhcir mit den radikalen Winkcljvurnalen wetteifern darf. Selbst die
Neue Rheinische Zeitung, obgleich sie das Mögliche leistete, konnte darin nicht
mit ihr rivalisiren.

Das Blatt zerfällt in zwei, durch den Feuilletonstnch von einander geschiedene


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für das Freiheitssymbol der Barrikaden, die hier gegen Windischgrätz aufgerichtet
wurden.

Vor Allem aber überwog die polnische Sache. Die Polen vereinigen in sich
den Gegensatz der intensivsten, ausschließlichen Nationalität — der Traum ihres
Reichs ist ihnen der Mittelpunkt, um welchen die Welt sich dreht; und einer wahr¬
haft kosmopolitischen Praxis. Wo es diesseit nud jenseit des atlantischen Oceans
einen Aufstand gibt, sind sie sicher zu finden, sie intriguiren allenfalls am Missi-
sippi dafür, eine Constellation der Wcltpolitik hervorzubringen, wie sie die Re¬
stauration des Jagellonenreichs möglich macht. Wie ans die Barrikaden, so war¬
fen sie sich auch ans sämmtliche demokratischen Journale. Beinahe ein Drittel der
Reform — deren Umfang übrigens damals so klein war, als es unter den Umstän¬
den irgend möglich war, enthielt apologetische Korrespondenzen ans Polen, und
wunderlich genug nahm es sich aus, wenn die atheistische Reform selbst die reli¬
giösen Klagen der frommen polnischen Katholiken gegen die rationalistische Ein¬
wirkung des freigeistischcu preußischen Gouvernements vertrat.

Selbst als auf das Andringen der Berliner Korrespondenten die Reform
nach Berlin verlegt wurde, dauerte die liederliche Wirthschaft fort, das Blatt er¬
schien zuletzt im Umfang eines halben Bogens, bis es endlich der in Berlin re-
fidirende Ausschuß der demokratischen Vereine, in Verbindung mit der äußersten
Linken der constituirenden Versammlung, zu seinem offiziellen Organ erhob. Es
wurde ein ziemlich zahlreiches Redactivus - Comitv ernannt, Ruge selbst, dessen
Stellung in der Paulskirche immer unhaltbarer geworden war, kam nach Berlin,
das Blatt erweiterte sich zum Folio, und es kam Methode wenigstens in sein
äußeres Ansehen. Die Helden, welche ehemals in der Mannheimer Abendzeitung
gedonnert, fanden nun hier ihre Stätte. Hin und wieder versuchte uoch Rüge,
durch einige zierliche Manifeste und Portraits dem Ganzen einen Anstrich von
Bildung zu geben, aber es war umsonst. Die Reform wurde ein radikales Blatt
wie andere radikalen Blätter auch; es wiederholte sich in beständigen Wuthaus-
brüchen, und seine ewigen Denunciationen von Verschwörung, Intrigue und Con-
trerevolution fingen an, das Publikum zu ermüden; als es durch den Belage¬
rungszustand unterdrückt wurde, blieb keine fühlbare Lücke: die Nativnalzeitung,
die nun etwas radikaler wurde, reichte hiu, die Reform und Zeitungshalle zugleich
zu er-setzen.


7. Die neue preußische Zeitung.

Sie hat den Ruhm, unter den größer» Blättern das einzige zu sei», welches
an Gemcinhcir mit den radikalen Winkcljvurnalen wetteifern darf. Selbst die
Neue Rheinische Zeitung, obgleich sie das Mögliche leistete, konnte darin nicht
mit ihr rivalisiren.

Das Blatt zerfällt in zwei, durch den Feuilletonstnch von einander geschiedene


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[0483] für das Freiheitssymbol der Barrikaden, die hier gegen Windischgrätz aufgerichtet wurden. Vor Allem aber überwog die polnische Sache. Die Polen vereinigen in sich den Gegensatz der intensivsten, ausschließlichen Nationalität — der Traum ihres Reichs ist ihnen der Mittelpunkt, um welchen die Welt sich dreht; und einer wahr¬ haft kosmopolitischen Praxis. Wo es diesseit nud jenseit des atlantischen Oceans einen Aufstand gibt, sind sie sicher zu finden, sie intriguiren allenfalls am Missi- sippi dafür, eine Constellation der Wcltpolitik hervorzubringen, wie sie die Re¬ stauration des Jagellonenreichs möglich macht. Wie ans die Barrikaden, so war¬ fen sie sich auch ans sämmtliche demokratischen Journale. Beinahe ein Drittel der Reform — deren Umfang übrigens damals so klein war, als es unter den Umstän¬ den irgend möglich war, enthielt apologetische Korrespondenzen ans Polen, und wunderlich genug nahm es sich aus, wenn die atheistische Reform selbst die reli¬ giösen Klagen der frommen polnischen Katholiken gegen die rationalistische Ein¬ wirkung des freigeistischcu preußischen Gouvernements vertrat. Selbst als auf das Andringen der Berliner Korrespondenten die Reform nach Berlin verlegt wurde, dauerte die liederliche Wirthschaft fort, das Blatt er¬ schien zuletzt im Umfang eines halben Bogens, bis es endlich der in Berlin re- fidirende Ausschuß der demokratischen Vereine, in Verbindung mit der äußersten Linken der constituirenden Versammlung, zu seinem offiziellen Organ erhob. Es wurde ein ziemlich zahlreiches Redactivus - Comitv ernannt, Ruge selbst, dessen Stellung in der Paulskirche immer unhaltbarer geworden war, kam nach Berlin, das Blatt erweiterte sich zum Folio, und es kam Methode wenigstens in sein äußeres Ansehen. Die Helden, welche ehemals in der Mannheimer Abendzeitung gedonnert, fanden nun hier ihre Stätte. Hin und wieder versuchte uoch Rüge, durch einige zierliche Manifeste und Portraits dem Ganzen einen Anstrich von Bildung zu geben, aber es war umsonst. Die Reform wurde ein radikales Blatt wie andere radikalen Blätter auch; es wiederholte sich in beständigen Wuthaus- brüchen, und seine ewigen Denunciationen von Verschwörung, Intrigue und Con- trerevolution fingen an, das Publikum zu ermüden; als es durch den Belage¬ rungszustand unterdrückt wurde, blieb keine fühlbare Lücke: die Nativnalzeitung, die nun etwas radikaler wurde, reichte hiu, die Reform und Zeitungshalle zugleich zu er-setzen. 7. Die neue preußische Zeitung. Sie hat den Ruhm, unter den größer» Blättern das einzige zu sei», welches an Gemcinhcir mit den radikalen Winkcljvurnalen wetteifern darf. Selbst die Neue Rheinische Zeitung, obgleich sie das Mögliche leistete, konnte darin nicht mit ihr rivalisiren. Das Blatt zerfällt in zwei, durch den Feuilletonstnch von einander geschiedene 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/483>, abgerufen am 15.01.2025.