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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Die Berliner Presse



1. Die Vossische.

Es war eine gute Zeit, wo der Berliner sich noch damit begnügte, die Welt
und ihre Wirren durch die graue Brille der guten alten Tante zu betrachten. In
keiner Haushaltung fehlte das treffliche Löschpapier zum Morgenkaffee, und nur
ein ganz abnormer Gesundheitszustand hätte es entschuldigen können, wenn man
eine Seite der 2--3 Bogen schlechten Drucks überschlagen hätte. Zuerst kamen
die amtlichen Ernennungen, die Orden, dann folgten unter der Rubrik Paris kurz
gefaßte und ziemlich unverständliche Aphorismen über Thiers, Guizot, Spanien, die
Börse, den Proceß Lafarge, Nordamerika, Peel und mehreres andere, dann unter der
Rubrik London das nämliche, und dann kamen die vermischten Nachrichten. Diese
ganze Reihe war dem Bürger mir darum bequem, weil sie ihm häufiger Gelegen¬
heit gab, den Kopf zu schütteln, als eine Zeitung, welche zusammenhängend re-
serirte. Der eigentliche Inhalt kam erst später: zuerst Rellstab mit den anmuthi-
gen Kritiken über das königliche Theater, die Concerte, einzelne ihm eingesandte
Romane und lyrische Gedichte, vorzüglich aber in der Winterzeit mit den liebens¬
würdigen Weihnachtswauderuugen, welche dem guten Berliner ein Leitstern wür¬
den für die Pflichten seiner Zerstreuung. Dann ging man zu den officiellen
Theateranzeigen, den metercologischen Notizen und dem Börsencours über, und
uun nahm der Bürger und Hausbesitzer rasch einen neuen Schluck Kaffee, und
rückte die Nachtmütze zurecht, den" jetzt trat "Berlin wie es ist" selbstredend aus
die Bühne, es kamen die Civis, die viens pro in"Ili8, die X. U. Z. und andere
Metamorphosen des Philisterthums mit ihren Bemerkungen über die Gasbeleuchtung,
die Religion, die Straßenrciuigung, die höhere Politik und die Mißbräuche des
Droschkenwesens. Durch Länge und Gelehrsamkeit zeichnete sich der Stadtrath Breda,
durch einen gewichtigen Lapidarstyl der Oberst v. Bülow aus. Welchem Berliner
schlug nicht das Herz vor Entzücken, wenn er folgenden Aphorismen las:


^Varna ist manelwr (Zeistlielie, der llocli alas lüllristentlnim nielit liloss teu-
ren, sonäern aucti snsüken sollte, nocll immer "o jntvieiimt?

v. vülov.

Das ist ein Manu! der hat es den Jesuiten "jut" gegeben! Und wir lebe"
eigentlich doch in einem aufgeklärten und ziemlich freisinnigen Staate, denn die


Srmzb-den. II. Is"S. 55
Die Berliner Presse



1. Die Vossische.

Es war eine gute Zeit, wo der Berliner sich noch damit begnügte, die Welt
und ihre Wirren durch die graue Brille der guten alten Tante zu betrachten. In
keiner Haushaltung fehlte das treffliche Löschpapier zum Morgenkaffee, und nur
ein ganz abnormer Gesundheitszustand hätte es entschuldigen können, wenn man
eine Seite der 2—3 Bogen schlechten Drucks überschlagen hätte. Zuerst kamen
die amtlichen Ernennungen, die Orden, dann folgten unter der Rubrik Paris kurz
gefaßte und ziemlich unverständliche Aphorismen über Thiers, Guizot, Spanien, die
Börse, den Proceß Lafarge, Nordamerika, Peel und mehreres andere, dann unter der
Rubrik London das nämliche, und dann kamen die vermischten Nachrichten. Diese
ganze Reihe war dem Bürger mir darum bequem, weil sie ihm häufiger Gelegen¬
heit gab, den Kopf zu schütteln, als eine Zeitung, welche zusammenhängend re-
serirte. Der eigentliche Inhalt kam erst später: zuerst Rellstab mit den anmuthi-
gen Kritiken über das königliche Theater, die Concerte, einzelne ihm eingesandte
Romane und lyrische Gedichte, vorzüglich aber in der Winterzeit mit den liebens¬
würdigen Weihnachtswauderuugen, welche dem guten Berliner ein Leitstern wür¬
den für die Pflichten seiner Zerstreuung. Dann ging man zu den officiellen
Theateranzeigen, den metercologischen Notizen und dem Börsencours über, und
uun nahm der Bürger und Hausbesitzer rasch einen neuen Schluck Kaffee, und
rückte die Nachtmütze zurecht, den» jetzt trat „Berlin wie es ist" selbstredend aus
die Bühne, es kamen die Civis, die viens pro in»Ili8, die X. U. Z. und andere
Metamorphosen des Philisterthums mit ihren Bemerkungen über die Gasbeleuchtung,
die Religion, die Straßenrciuigung, die höhere Politik und die Mißbräuche des
Droschkenwesens. Durch Länge und Gelehrsamkeit zeichnete sich der Stadtrath Breda,
durch einen gewichtigen Lapidarstyl der Oberst v. Bülow aus. Welchem Berliner
schlug nicht das Herz vor Entzücken, wenn er folgenden Aphorismen las:


^Varna ist manelwr (Zeistlielie, der llocli alas lüllristentlnim nielit liloss teu-
ren, sonäern aucti snsüken sollte, nocll immer «o jntvieiimt?

v. vülov.

Das ist ein Manu! der hat es den Jesuiten „jut" gegeben! Und wir lebe»
eigentlich doch in einem aufgeklärten und ziemlich freisinnigen Staate, denn die


Srmzb-den. II. Is«S. 55
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[0433] Die Berliner Presse 1. Die Vossische. Es war eine gute Zeit, wo der Berliner sich noch damit begnügte, die Welt und ihre Wirren durch die graue Brille der guten alten Tante zu betrachten. In keiner Haushaltung fehlte das treffliche Löschpapier zum Morgenkaffee, und nur ein ganz abnormer Gesundheitszustand hätte es entschuldigen können, wenn man eine Seite der 2—3 Bogen schlechten Drucks überschlagen hätte. Zuerst kamen die amtlichen Ernennungen, die Orden, dann folgten unter der Rubrik Paris kurz gefaßte und ziemlich unverständliche Aphorismen über Thiers, Guizot, Spanien, die Börse, den Proceß Lafarge, Nordamerika, Peel und mehreres andere, dann unter der Rubrik London das nämliche, und dann kamen die vermischten Nachrichten. Diese ganze Reihe war dem Bürger mir darum bequem, weil sie ihm häufiger Gelegen¬ heit gab, den Kopf zu schütteln, als eine Zeitung, welche zusammenhängend re- serirte. Der eigentliche Inhalt kam erst später: zuerst Rellstab mit den anmuthi- gen Kritiken über das königliche Theater, die Concerte, einzelne ihm eingesandte Romane und lyrische Gedichte, vorzüglich aber in der Winterzeit mit den liebens¬ würdigen Weihnachtswauderuugen, welche dem guten Berliner ein Leitstern wür¬ den für die Pflichten seiner Zerstreuung. Dann ging man zu den officiellen Theateranzeigen, den metercologischen Notizen und dem Börsencours über, und uun nahm der Bürger und Hausbesitzer rasch einen neuen Schluck Kaffee, und rückte die Nachtmütze zurecht, den» jetzt trat „Berlin wie es ist" selbstredend aus die Bühne, es kamen die Civis, die viens pro in»Ili8, die X. U. Z. und andere Metamorphosen des Philisterthums mit ihren Bemerkungen über die Gasbeleuchtung, die Religion, die Straßenrciuigung, die höhere Politik und die Mißbräuche des Droschkenwesens. Durch Länge und Gelehrsamkeit zeichnete sich der Stadtrath Breda, durch einen gewichtigen Lapidarstyl der Oberst v. Bülow aus. Welchem Berliner schlug nicht das Herz vor Entzücken, wenn er folgenden Aphorismen las: ^Varna ist manelwr (Zeistlielie, der llocli alas lüllristentlnim nielit liloss teu- ren, sonäern aucti snsüken sollte, nocll immer «o jntvieiimt? v. vülov. Das ist ein Manu! der hat es den Jesuiten „jut" gegeben! Und wir lebe» eigentlich doch in einem aufgeklärten und ziemlich freisinnigen Staate, denn die Srmzb-den. II. Is«S. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/433>, abgerufen am 15.01.2025.