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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Briefe eines deutschen Reifenden.

Beiträge zur Krankengeschichte Oestreichs zu' schreibe", ist eine gehässige Auf¬
gabe für deu harmlose" Touristen, der seine traurigen Bemerkungen nicht mit heil-
künstlerischen Rathschlägen begleiten kann. Indessen, auf die Symptome deuten
darf auch der Laie. Die viele" Doctore", welche de" Leidende" bearbeiten, "lo¬
gen am Besten wissen, was z" thun ist; wenn sie es ehrlich nieinen, werde" sie
die Aussagen des theilnehmenden Zuschauers über die nächtlichen Fieberphantasien
des Patienten dankbar anhören und beachten; wo nicht, werde" sie ihm das Re¬
de", verbieten, weil "besser machen schwerer sei als tadeln."

Die Rückkehr des jungen Kaisers in seine Residenz- und Vaterstadt war kein
Ereigniß, und das ist ein böses Zeichen. An dem unbedeutende Eindruck, den sie
hervorbrachte, ersah man, wie sehr das Volk in diesem Jahre vom Baum der
Erkenntniß gegessen hatte. Diese "egative Errungenschaft ist die einzige, welche
kein starkes Ministerium zurücknehmen kann. Sonnabend erfuhr die Stadt, Franz
Joseph sei in Schönbrunn. Eine doppelte Reihe Equipagen rollte hinaus, eine
Masse vo" Proletariern sah neugierig zu, wie die Herrschaften ihre Aufwartung
machte"; der ehrbare Mittelstand war bei dieser Huldigung fast gar nicht vertreten.
Der Kaiser soll mürrisch oder verlege" dreingcblickt habe". Abends obligate Illu¬
mination. Selbst "Hans Jörgel" war solid genug, den Talgkerzenpatriotismus
für das zu nehmen was er ist, den" wenn der Gemcindercith für Franz Joseph
dreimal alle Hausmeister in Bewegung setzte, so hätte er, salls Kossuth kam, i"
löblicher Feigheit dieselbe" Hausmeister sechsmal zu alle" Insassen geschickt und
wo möglich um Wachskerzen bitte" lassen. Sonntags fuhr man den jungen Mo¬
narchen sogar "ach Wie", zum Schottenthor herein, durch die Herrengasse, und
sogleich wieder zum Burgthor hinaus, daß er die Nevvlutiousnarben am Haus
seiner Väter nicht gewahrte. Bei der Revue auf dem Glacis, im A"blick der
wahrste" und treuesten Oestreicher, seiner Soldaten, zeigte er sich tief gerührt , und
kehrte nach Schönbrunn zurück. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und
hörte das Volk reden. Die einzige Aeußerung echter Loyalität, welche mir auf¬
fiel, kam vou den Lippe" eines Steinalten Mütterchens. Wir standen vor einem
Zuckerbäckerladeu und am Schaufenster prangte in halb erhabener Arbeit aus süßem
Stoff das Konterfei des Kaisers aus einem von guten Genien gezogenen Triumph¬
wagen. Das Portrait war merkwürdiger Weise ähnlicher als viele kunstvolle Stiche
und Lithographien von beliebten Meistern. Die Alte erkannte die alten Habsbur¬
gischen Züge aus der guten alten Zeit, und indem sie die neumodischen Gesichter und


Briefe eines deutschen Reifenden.

Beiträge zur Krankengeschichte Oestreichs zu' schreibe», ist eine gehässige Auf¬
gabe für deu harmlose» Touristen, der seine traurigen Bemerkungen nicht mit heil-
künstlerischen Rathschlägen begleiten kann. Indessen, auf die Symptome deuten
darf auch der Laie. Die viele» Doctore», welche de» Leidende» bearbeiten, »lo¬
gen am Besten wissen, was z» thun ist; wenn sie es ehrlich nieinen, werde» sie
die Aussagen des theilnehmenden Zuschauers über die nächtlichen Fieberphantasien
des Patienten dankbar anhören und beachten; wo nicht, werde» sie ihm das Re¬
de», verbieten, weil „besser machen schwerer sei als tadeln."

Die Rückkehr des jungen Kaisers in seine Residenz- und Vaterstadt war kein
Ereigniß, und das ist ein böses Zeichen. An dem unbedeutende Eindruck, den sie
hervorbrachte, ersah man, wie sehr das Volk in diesem Jahre vom Baum der
Erkenntniß gegessen hatte. Diese »egative Errungenschaft ist die einzige, welche
kein starkes Ministerium zurücknehmen kann. Sonnabend erfuhr die Stadt, Franz
Joseph sei in Schönbrunn. Eine doppelte Reihe Equipagen rollte hinaus, eine
Masse vo» Proletariern sah neugierig zu, wie die Herrschaften ihre Aufwartung
machte»; der ehrbare Mittelstand war bei dieser Huldigung fast gar nicht vertreten.
Der Kaiser soll mürrisch oder verlege» dreingcblickt habe». Abends obligate Illu¬
mination. Selbst „Hans Jörgel" war solid genug, den Talgkerzenpatriotismus
für das zu nehmen was er ist, den» wenn der Gemcindercith für Franz Joseph
dreimal alle Hausmeister in Bewegung setzte, so hätte er, salls Kossuth kam, i»
löblicher Feigheit dieselbe» Hausmeister sechsmal zu alle» Insassen geschickt und
wo möglich um Wachskerzen bitte» lassen. Sonntags fuhr man den jungen Mo¬
narchen sogar »ach Wie», zum Schottenthor herein, durch die Herrengasse, und
sogleich wieder zum Burgthor hinaus, daß er die Nevvlutiousnarben am Haus
seiner Väter nicht gewahrte. Bei der Revue auf dem Glacis, im A»blick der
wahrste» und treuesten Oestreicher, seiner Soldaten, zeigte er sich tief gerührt , und
kehrte nach Schönbrunn zurück. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und
hörte das Volk reden. Die einzige Aeußerung echter Loyalität, welche mir auf¬
fiel, kam vou den Lippe» eines Steinalten Mütterchens. Wir standen vor einem
Zuckerbäckerladeu und am Schaufenster prangte in halb erhabener Arbeit aus süßem
Stoff das Konterfei des Kaisers aus einem von guten Genien gezogenen Triumph¬
wagen. Das Portrait war merkwürdiger Weise ähnlicher als viele kunstvolle Stiche
und Lithographien von beliebten Meistern. Die Alte erkannte die alten Habsbur¬
gischen Züge aus der guten alten Zeit, und indem sie die neumodischen Gesichter und


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[0376] Briefe eines deutschen Reifenden. Beiträge zur Krankengeschichte Oestreichs zu' schreibe», ist eine gehässige Auf¬ gabe für deu harmlose» Touristen, der seine traurigen Bemerkungen nicht mit heil- künstlerischen Rathschlägen begleiten kann. Indessen, auf die Symptome deuten darf auch der Laie. Die viele» Doctore», welche de» Leidende» bearbeiten, »lo¬ gen am Besten wissen, was z» thun ist; wenn sie es ehrlich nieinen, werde» sie die Aussagen des theilnehmenden Zuschauers über die nächtlichen Fieberphantasien des Patienten dankbar anhören und beachten; wo nicht, werde» sie ihm das Re¬ de», verbieten, weil „besser machen schwerer sei als tadeln." Die Rückkehr des jungen Kaisers in seine Residenz- und Vaterstadt war kein Ereigniß, und das ist ein böses Zeichen. An dem unbedeutende Eindruck, den sie hervorbrachte, ersah man, wie sehr das Volk in diesem Jahre vom Baum der Erkenntniß gegessen hatte. Diese »egative Errungenschaft ist die einzige, welche kein starkes Ministerium zurücknehmen kann. Sonnabend erfuhr die Stadt, Franz Joseph sei in Schönbrunn. Eine doppelte Reihe Equipagen rollte hinaus, eine Masse vo» Proletariern sah neugierig zu, wie die Herrschaften ihre Aufwartung machte»; der ehrbare Mittelstand war bei dieser Huldigung fast gar nicht vertreten. Der Kaiser soll mürrisch oder verlege» dreingcblickt habe». Abends obligate Illu¬ mination. Selbst „Hans Jörgel" war solid genug, den Talgkerzenpatriotismus für das zu nehmen was er ist, den» wenn der Gemcindercith für Franz Joseph dreimal alle Hausmeister in Bewegung setzte, so hätte er, salls Kossuth kam, i» löblicher Feigheit dieselbe» Hausmeister sechsmal zu alle» Insassen geschickt und wo möglich um Wachskerzen bitte» lassen. Sonntags fuhr man den jungen Mo¬ narchen sogar »ach Wie», zum Schottenthor herein, durch die Herrengasse, und sogleich wieder zum Burgthor hinaus, daß er die Nevvlutiousnarben am Haus seiner Väter nicht gewahrte. Bei der Revue auf dem Glacis, im A»blick der wahrste» und treuesten Oestreicher, seiner Soldaten, zeigte er sich tief gerührt , und kehrte nach Schönbrunn zurück. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und hörte das Volk reden. Die einzige Aeußerung echter Loyalität, welche mir auf¬ fiel, kam vou den Lippe» eines Steinalten Mütterchens. Wir standen vor einem Zuckerbäckerladeu und am Schaufenster prangte in halb erhabener Arbeit aus süßem Stoff das Konterfei des Kaisers aus einem von guten Genien gezogenen Triumph¬ wagen. Das Portrait war merkwürdiger Weise ähnlicher als viele kunstvolle Stiche und Lithographien von beliebten Meistern. Die Alte erkannte die alten Habsbur¬ gischen Züge aus der guten alten Zeit, und indem sie die neumodischen Gesichter und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/376>, abgerufen am 15.01.2025.