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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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"is Abzeichen jener fremden Wühler, "deren Aufgabe es ist, nach dem
demokratischen Princip Unruhen zu stiften und zu verbreiten,
und dem Communismus und der Anarchie neuerdings die Bahn
zu brechen." Professor Hye, der vom 13. März 1848 Punkt 5 Uhr Nach¬
mittags bis zum l. April desselben Jahres zu den entschieden Freisinnigen zählte,
soll die Weisheit dieses russischen Gcsctzplagiats in einer salbungsvollen Rede ge¬
feiert haben.

Armes Oestreich, wenn du glaubst, daß ein Meißner Pfeifenkopf dir gefährlicher
werden kann als die Kopflosigkeit deiner verantwortlichen Regenten. -- Von einem
schwachsinnigen Greis erzählt man, daß während der Donauüberschwemmung von
1830 der Sturm das Dach seines Hauses abgetragen, der Eisstvß eine Mauer
eingestürzt, die Fluth seine Treppen bis zum > . Stock erklommen hatte; er aber
arbeitete rastlos, die Ritzen der alten Zimmerthür, das Schlüsselloch und die Luft¬
löcher unterm Fensterrahmen mit Moos zu verstopfen! -- O Hye, o Oestreich! --




Briefe aus Prag.



I.
Die Metamorphosen des Czechenthums.

Unser Prag wird also anch seit einer Woche belagert. Erwarten Sie von
mir keinen naiven Brief mit Ausrufungszeichen -- die Belagerung ist in Oestreich
kein Auöuahmszustand mehr. Khevenhüllcr hat uus eine gemüthliche militärische
Verfassung in wenig Pharagraphen für unbestimmte Dauer octroyirt, weil wir
uus mit dem großen Octroi vom März uoch immer nicht zufrieden stellen, und
die Revolution nicht als geschlossen betrachten wollen. Ich verspreche Ihnen näch¬
stens auf die Freudenjagd auszugehen, um die kleinen ergötzlichen Details unseres
Belagerungszustandes zu sammeln; aber für heute lasse" Sie uns einige Rückblicke
w die Vergangenheit werfen, um darin wo möglich die näher oder serner liegen¬
den Motive jener hohen Maßregel zu finden, über die das militärische Orakel
bis jetzt noch stumm ist, und in den Plataeer, die wir demnächst zu erwarten
haben, sich wahrscheinlich in einer solchen Prosa offenbaren wird, die an Unklar¬
heit den Versen der Pythia nichts nachgeben soll. --

Man thut gewaltig Unrecht, wenn man die phantastische Exaltation der
Juugczechcn mit dem Naturwuchs der Slovaken, Kroaten und Serben in Eins
zusammen wirft, und so die slavische Bewegung in Oestreich mit einem Male ab-


Trenzbottn. II. 1840. 66

"is Abzeichen jener fremden Wühler, „deren Aufgabe es ist, nach dem
demokratischen Princip Unruhen zu stiften und zu verbreiten,
und dem Communismus und der Anarchie neuerdings die Bahn
zu brechen." Professor Hye, der vom 13. März 1848 Punkt 5 Uhr Nach¬
mittags bis zum l. April desselben Jahres zu den entschieden Freisinnigen zählte,
soll die Weisheit dieses russischen Gcsctzplagiats in einer salbungsvollen Rede ge¬
feiert haben.

Armes Oestreich, wenn du glaubst, daß ein Meißner Pfeifenkopf dir gefährlicher
werden kann als die Kopflosigkeit deiner verantwortlichen Regenten. — Von einem
schwachsinnigen Greis erzählt man, daß während der Donauüberschwemmung von
1830 der Sturm das Dach seines Hauses abgetragen, der Eisstvß eine Mauer
eingestürzt, die Fluth seine Treppen bis zum > . Stock erklommen hatte; er aber
arbeitete rastlos, die Ritzen der alten Zimmerthür, das Schlüsselloch und die Luft¬
löcher unterm Fensterrahmen mit Moos zu verstopfen! — O Hye, o Oestreich! —




Briefe aus Prag.



I.
Die Metamorphosen des Czechenthums.

Unser Prag wird also anch seit einer Woche belagert. Erwarten Sie von
mir keinen naiven Brief mit Ausrufungszeichen — die Belagerung ist in Oestreich
kein Auöuahmszustand mehr. Khevenhüllcr hat uus eine gemüthliche militärische
Verfassung in wenig Pharagraphen für unbestimmte Dauer octroyirt, weil wir
uus mit dem großen Octroi vom März uoch immer nicht zufrieden stellen, und
die Revolution nicht als geschlossen betrachten wollen. Ich verspreche Ihnen näch¬
stens auf die Freudenjagd auszugehen, um die kleinen ergötzlichen Details unseres
Belagerungszustandes zu sammeln; aber für heute lasse» Sie uns einige Rückblicke
w die Vergangenheit werfen, um darin wo möglich die näher oder serner liegen¬
den Motive jener hohen Maßregel zu finden, über die das militärische Orakel
bis jetzt noch stumm ist, und in den Plataeer, die wir demnächst zu erwarten
haben, sich wahrscheinlich in einer solchen Prosa offenbaren wird, die an Unklar¬
heit den Versen der Pythia nichts nachgeben soll. —

Man thut gewaltig Unrecht, wenn man die phantastische Exaltation der
Juugczechcn mit dem Naturwuchs der Slovaken, Kroaten und Serben in Eins
zusammen wirft, und so die slavische Bewegung in Oestreich mit einem Male ab-


Trenzbottn. II. 1840. 66
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[0345] "is Abzeichen jener fremden Wühler, „deren Aufgabe es ist, nach dem demokratischen Princip Unruhen zu stiften und zu verbreiten, und dem Communismus und der Anarchie neuerdings die Bahn zu brechen." Professor Hye, der vom 13. März 1848 Punkt 5 Uhr Nach¬ mittags bis zum l. April desselben Jahres zu den entschieden Freisinnigen zählte, soll die Weisheit dieses russischen Gcsctzplagiats in einer salbungsvollen Rede ge¬ feiert haben. Armes Oestreich, wenn du glaubst, daß ein Meißner Pfeifenkopf dir gefährlicher werden kann als die Kopflosigkeit deiner verantwortlichen Regenten. — Von einem schwachsinnigen Greis erzählt man, daß während der Donauüberschwemmung von 1830 der Sturm das Dach seines Hauses abgetragen, der Eisstvß eine Mauer eingestürzt, die Fluth seine Treppen bis zum > . Stock erklommen hatte; er aber arbeitete rastlos, die Ritzen der alten Zimmerthür, das Schlüsselloch und die Luft¬ löcher unterm Fensterrahmen mit Moos zu verstopfen! — O Hye, o Oestreich! — Briefe aus Prag. I. Die Metamorphosen des Czechenthums. Unser Prag wird also anch seit einer Woche belagert. Erwarten Sie von mir keinen naiven Brief mit Ausrufungszeichen — die Belagerung ist in Oestreich kein Auöuahmszustand mehr. Khevenhüllcr hat uus eine gemüthliche militärische Verfassung in wenig Pharagraphen für unbestimmte Dauer octroyirt, weil wir uus mit dem großen Octroi vom März uoch immer nicht zufrieden stellen, und die Revolution nicht als geschlossen betrachten wollen. Ich verspreche Ihnen näch¬ stens auf die Freudenjagd auszugehen, um die kleinen ergötzlichen Details unseres Belagerungszustandes zu sammeln; aber für heute lasse» Sie uns einige Rückblicke w die Vergangenheit werfen, um darin wo möglich die näher oder serner liegen¬ den Motive jener hohen Maßregel zu finden, über die das militärische Orakel bis jetzt noch stumm ist, und in den Plataeer, die wir demnächst zu erwarten haben, sich wahrscheinlich in einer solchen Prosa offenbaren wird, die an Unklar¬ heit den Versen der Pythia nichts nachgeben soll. — Man thut gewaltig Unrecht, wenn man die phantastische Exaltation der Juugczechcn mit dem Naturwuchs der Slovaken, Kroaten und Serben in Eins zusammen wirft, und so die slavische Bewegung in Oestreich mit einem Male ab- Trenzbottn. II. 1840. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/345>, abgerufen am 15.01.2025.