Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußische Briefe.



Dreizehnter Vries.
Aristoteles und das octroyirte Wahlgesetz.

Die Partei des guten alten christlichen Staats, welche bisher meistens nur
auf populäre Weise das Volk aufgefordert hatte, die "infamen Jndenbengel,"
die es gegen seinen allergnädigsten König und Herrn aufwiegelten, tüchtig
durchzuprügeln, fängt plötzlich an, sich auf das Gebiet der heidnischen Gelehr¬
samkeit zu verirren. Die "Deutsche Reform" erklärte in einem Artikel, der mit
"Land! Land!" austug, die Gutgesinnten könnten sich jetzt einem ungetrübten Ent¬
zücken überlassen, da die Regierung entschlossen sei, die Urwahleu, die sie octroyirt,
durch eine neue Octroyirung wieder aufzuheben, und motivirte die NechtSgiltigkeit
c>ues solchen Staatsstreichs aus dem grimmen Heiden Aristoteles. Selbst dieser
Gott verlassene Mensch, der von den Wahrheiten des christlichen Staats und
der in demselben begründeten Ungleichheit der Meuscheu noch nichts wissen konnte,
hat durch eine gewisse Vorahnung des himmlischen Lichts, wie es der barmherzige
^vel von Zeit zu Zeit auch in die Brust Ungläubiger fallen läßt, die Entdeckung
^Macht, daß es drei Klassen vou Meuscheu gebe, die hochbesteuerten, die mittel-
besteuertei; und die niedrigbesteuerten. Auf diese Grundregel fordert die Deutsche
Reform das Publikum auf, seine gespannte Aufmerksamkeit zu richten, und dedncirt
""u folgendermaßen. Die Gerechtigkeit verlangt, daß im Repräsentativstaat Alle
^treten sein sollen, da es um aber drei verschiedene Menschenklassen gibt, so
U'äre es eine himmelschreiende Bevorzugung Eines Standes, sämmtliche Klassen
dei der Wahl durcheinander zu mischen; dem könne man dadurch abhelfen, daß
"'an jede Klasse für sich wählen lasse.

So innig ich nun auch von der Nichtigkeit dieser Beweistheorie durchdrungen
so glaube ich doch, daß die Deutsche Reform nicht weit genug geht. Es
M nämlich nicht drei Menschenklassen, sondern sechs. Die Deutsche Reform
sich an eine falsche Autorität gewendet. Aristoteles war eigentlich eine gemeine
Seele; zwar hatte er seinen plebejischen Ursprung anscheinend durch seinen Hof-
dienst bei dem gesalbten Monarchen Alexander dem Großen in Vergessenheit ge-
""


boten. II. I8is.
Preußische Briefe.



Dreizehnter Vries.
Aristoteles und das octroyirte Wahlgesetz.

Die Partei des guten alten christlichen Staats, welche bisher meistens nur
auf populäre Weise das Volk aufgefordert hatte, die „infamen Jndenbengel,"
die es gegen seinen allergnädigsten König und Herrn aufwiegelten, tüchtig
durchzuprügeln, fängt plötzlich an, sich auf das Gebiet der heidnischen Gelehr¬
samkeit zu verirren. Die „Deutsche Reform" erklärte in einem Artikel, der mit
"Land! Land!" austug, die Gutgesinnten könnten sich jetzt einem ungetrübten Ent¬
zücken überlassen, da die Regierung entschlossen sei, die Urwahleu, die sie octroyirt,
durch eine neue Octroyirung wieder aufzuheben, und motivirte die NechtSgiltigkeit
c>ues solchen Staatsstreichs aus dem grimmen Heiden Aristoteles. Selbst dieser
Gott verlassene Mensch, der von den Wahrheiten des christlichen Staats und
der in demselben begründeten Ungleichheit der Meuscheu noch nichts wissen konnte,
hat durch eine gewisse Vorahnung des himmlischen Lichts, wie es der barmherzige
^vel von Zeit zu Zeit auch in die Brust Ungläubiger fallen läßt, die Entdeckung
^Macht, daß es drei Klassen vou Meuscheu gebe, die hochbesteuerten, die mittel-
besteuertei; und die niedrigbesteuerten. Auf diese Grundregel fordert die Deutsche
Reform das Publikum auf, seine gespannte Aufmerksamkeit zu richten, und dedncirt
""u folgendermaßen. Die Gerechtigkeit verlangt, daß im Repräsentativstaat Alle
^treten sein sollen, da es um aber drei verschiedene Menschenklassen gibt, so
U'äre es eine himmelschreiende Bevorzugung Eines Standes, sämmtliche Klassen
dei der Wahl durcheinander zu mischen; dem könne man dadurch abhelfen, daß
"'an jede Klasse für sich wählen lasse.

So innig ich nun auch von der Nichtigkeit dieser Beweistheorie durchdrungen
so glaube ich doch, daß die Deutsche Reform nicht weit genug geht. Es
M nämlich nicht drei Menschenklassen, sondern sechs. Die Deutsche Reform
sich an eine falsche Autorität gewendet. Aristoteles war eigentlich eine gemeine
Seele; zwar hatte er seinen plebejischen Ursprung anscheinend durch seinen Hof-
dienst bei dem gesalbten Monarchen Alexander dem Großen in Vergessenheit ge-
""


boten. II. I8is.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278783"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Preußische Briefe.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Dreizehnter Vries.<lb/>
Aristoteles und das octroyirte Wahlgesetz.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_857"> Die Partei des guten alten christlichen Staats, welche bisher meistens nur<lb/>
auf populäre Weise das Volk aufgefordert hatte, die &#x201E;infamen Jndenbengel,"<lb/>
die es gegen seinen allergnädigsten König und Herrn aufwiegelten, tüchtig<lb/>
durchzuprügeln, fängt plötzlich an, sich auf das Gebiet der heidnischen Gelehr¬<lb/>
samkeit zu verirren. Die &#x201E;Deutsche Reform" erklärte in einem Artikel, der mit<lb/>
"Land! Land!" austug, die Gutgesinnten könnten sich jetzt einem ungetrübten Ent¬<lb/>
zücken überlassen, da die Regierung entschlossen sei, die Urwahleu, die sie octroyirt,<lb/>
durch eine neue Octroyirung wieder aufzuheben, und motivirte die NechtSgiltigkeit<lb/>
c&gt;ues solchen Staatsstreichs aus dem grimmen Heiden Aristoteles. Selbst dieser<lb/>
Gott verlassene Mensch, der von den Wahrheiten des christlichen Staats und<lb/>
der in demselben begründeten Ungleichheit der Meuscheu noch nichts wissen konnte,<lb/>
hat durch eine gewisse Vorahnung des himmlischen Lichts, wie es der barmherzige<lb/>
^vel von Zeit zu Zeit auch in die Brust Ungläubiger fallen läßt, die Entdeckung<lb/>
^Macht, daß es drei Klassen vou Meuscheu gebe, die hochbesteuerten, die mittel-<lb/>
besteuertei; und die niedrigbesteuerten. Auf diese Grundregel fordert die Deutsche<lb/>
Reform das Publikum auf, seine gespannte Aufmerksamkeit zu richten, und dedncirt<lb/>
""u folgendermaßen. Die Gerechtigkeit verlangt, daß im Repräsentativstaat Alle<lb/>
^treten sein sollen, da es um aber drei verschiedene Menschenklassen gibt, so<lb/>
U'äre es eine himmelschreiende Bevorzugung Eines Standes, sämmtliche Klassen<lb/>
dei der Wahl durcheinander zu mischen; dem könne man dadurch abhelfen, daß<lb/>
"'an jede Klasse für sich wählen lasse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_858" next="#ID_859"> So innig ich nun auch von der Nichtigkeit dieser Beweistheorie durchdrungen<lb/>
so glaube ich doch, daß die Deutsche Reform nicht weit genug geht. Es<lb/>
M nämlich nicht drei Menschenklassen, sondern sechs. Die Deutsche Reform<lb/>
sich an eine falsche Autorität gewendet. Aristoteles war eigentlich eine gemeine<lb/>
Seele; zwar hatte er seinen plebejischen Ursprung anscheinend durch seinen Hof-<lb/>
dienst bei dem gesalbten Monarchen Alexander dem Großen in Vergessenheit ge-<lb/>
""</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> boten. II. I8is.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Preußische Briefe. Dreizehnter Vries. Aristoteles und das octroyirte Wahlgesetz. Die Partei des guten alten christlichen Staats, welche bisher meistens nur auf populäre Weise das Volk aufgefordert hatte, die „infamen Jndenbengel," die es gegen seinen allergnädigsten König und Herrn aufwiegelten, tüchtig durchzuprügeln, fängt plötzlich an, sich auf das Gebiet der heidnischen Gelehr¬ samkeit zu verirren. Die „Deutsche Reform" erklärte in einem Artikel, der mit "Land! Land!" austug, die Gutgesinnten könnten sich jetzt einem ungetrübten Ent¬ zücken überlassen, da die Regierung entschlossen sei, die Urwahleu, die sie octroyirt, durch eine neue Octroyirung wieder aufzuheben, und motivirte die NechtSgiltigkeit c>ues solchen Staatsstreichs aus dem grimmen Heiden Aristoteles. Selbst dieser Gott verlassene Mensch, der von den Wahrheiten des christlichen Staats und der in demselben begründeten Ungleichheit der Meuscheu noch nichts wissen konnte, hat durch eine gewisse Vorahnung des himmlischen Lichts, wie es der barmherzige ^vel von Zeit zu Zeit auch in die Brust Ungläubiger fallen läßt, die Entdeckung ^Macht, daß es drei Klassen vou Meuscheu gebe, die hochbesteuerten, die mittel- besteuertei; und die niedrigbesteuerten. Auf diese Grundregel fordert die Deutsche Reform das Publikum auf, seine gespannte Aufmerksamkeit zu richten, und dedncirt ""u folgendermaßen. Die Gerechtigkeit verlangt, daß im Repräsentativstaat Alle ^treten sein sollen, da es um aber drei verschiedene Menschenklassen gibt, so U'äre es eine himmelschreiende Bevorzugung Eines Standes, sämmtliche Klassen dei der Wahl durcheinander zu mischen; dem könne man dadurch abhelfen, daß "'an jede Klasse für sich wählen lasse. So innig ich nun auch von der Nichtigkeit dieser Beweistheorie durchdrungen so glaube ich doch, daß die Deutsche Reform nicht weit genug geht. Es M nämlich nicht drei Menschenklassen, sondern sechs. Die Deutsche Reform sich an eine falsche Autorität gewendet. Aristoteles war eigentlich eine gemeine Seele; zwar hatte er seinen plebejischen Ursprung anscheinend durch seinen Hof- dienst bei dem gesalbten Monarchen Alexander dem Großen in Vergessenheit ge- "" boten. II. I8is.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/273>, abgerufen am 15.01.2025.