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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Graf Stadion.



i.

Sie wünschen von mir Portraits der vielgenannten Männer zu haben, welche
nach der Octoberrevolution die Schicksalsfaden Oestreichs in ihre Hand nahmen
und, nachdem sie ihr eigenes Land um die Freiheit betrogen, jetzt auch aus
Deutschland einen unheilvollen Einfluß zu üben beginnen.

Ehe ich versuche Ihrem Wunsche nachzukommen, muß ich bevorworten, daß
diese Zeilen keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen sollen; ich werde mich
darauf beschränken nur das zu sagen, was entweder selbsteigner Anschauung und
Erfahrung entnommen ist, oder aus Quellen fließt, deren Lauterkeit ich verbür¬
gen kann.

Ich beginne meine Skizzen mit der Zeichnung desjenigen Mannes, der ge¬
wöhnlich die Seele des Olmützer Cabinets genannt wird, während man den fürst¬
lichen Namen Felix Schwarzeubergs nur als Aushängeschild betrachtet.

Graf Stadion, dessen Alter etwa der laufenden Jahreszahl dieses Jahrhun¬
derts entsprechen dürfte, ist ein Mann von hohem Wuchs, regelmäßigen, scharf
ausgeprägten Gesichtszügen und einfachen, gewinnenden Manieren. Der spärliche
Haarwuchs zu beiden Seiten des Kopfes, welcher oben in gänzliche Kahlheit aus¬
läuft, läßt die Stirn weit höher und großartiger erscheinen, als sie ursprünglich
ist. Ueberhaupt würde das ganze Gesicht einen bedeutenden Eindruck machen,
wenn nicht der leblose, schwerfällige Mund und ein seltsames'Gemisch von Mat¬
tigkeit und Kälte die Züge entseelten. Derselbe Mangel an Leben und Frische
offenbart sich am ganzen BeHaben des langausgestrecktem Körpers. Gang und
Haltung, besonders aber die,beim Gehen fast unbeweglich herabhängenden Arme,
deuten auf Verschlossenheit des Charakters.

Graf Station wurde einem größern Publikum zuerst bekannt in seiner Ei¬
genschaft als Gouverneur des Küstenlandes, wo er sich durch langjähriges Wirken
den Ruhm eines freisinnigen Mannes, eines geschickten Administrators und vor
Allem eines fleißigen, unermüdlichen Arbeiters erwarb. Eine etwas zweideutige
Rolle spielte er später als Gouverneur von Galizien, wo er durch seine vielgetadelte
und vielgepriesene "Entdeckung der Nutheuen," dem damals ohnehin schon überall auf¬
flammenden Nationalitäts- und Sprachenkampfe noch ein neues Element zuführte.


Grenzboten. II. Is4V. 21
Graf Stadion.



i.

Sie wünschen von mir Portraits der vielgenannten Männer zu haben, welche
nach der Octoberrevolution die Schicksalsfaden Oestreichs in ihre Hand nahmen
und, nachdem sie ihr eigenes Land um die Freiheit betrogen, jetzt auch aus
Deutschland einen unheilvollen Einfluß zu üben beginnen.

Ehe ich versuche Ihrem Wunsche nachzukommen, muß ich bevorworten, daß
diese Zeilen keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen sollen; ich werde mich
darauf beschränken nur das zu sagen, was entweder selbsteigner Anschauung und
Erfahrung entnommen ist, oder aus Quellen fließt, deren Lauterkeit ich verbür¬
gen kann.

Ich beginne meine Skizzen mit der Zeichnung desjenigen Mannes, der ge¬
wöhnlich die Seele des Olmützer Cabinets genannt wird, während man den fürst¬
lichen Namen Felix Schwarzeubergs nur als Aushängeschild betrachtet.

Graf Stadion, dessen Alter etwa der laufenden Jahreszahl dieses Jahrhun¬
derts entsprechen dürfte, ist ein Mann von hohem Wuchs, regelmäßigen, scharf
ausgeprägten Gesichtszügen und einfachen, gewinnenden Manieren. Der spärliche
Haarwuchs zu beiden Seiten des Kopfes, welcher oben in gänzliche Kahlheit aus¬
läuft, läßt die Stirn weit höher und großartiger erscheinen, als sie ursprünglich
ist. Ueberhaupt würde das ganze Gesicht einen bedeutenden Eindruck machen,
wenn nicht der leblose, schwerfällige Mund und ein seltsames'Gemisch von Mat¬
tigkeit und Kälte die Züge entseelten. Derselbe Mangel an Leben und Frische
offenbart sich am ganzen BeHaben des langausgestrecktem Körpers. Gang und
Haltung, besonders aber die,beim Gehen fast unbeweglich herabhängenden Arme,
deuten auf Verschlossenheit des Charakters.

Graf Station wurde einem größern Publikum zuerst bekannt in seiner Ei¬
genschaft als Gouverneur des Küstenlandes, wo er sich durch langjähriges Wirken
den Ruhm eines freisinnigen Mannes, eines geschickten Administrators und vor
Allem eines fleißigen, unermüdlichen Arbeiters erwarb. Eine etwas zweideutige
Rolle spielte er später als Gouverneur von Galizien, wo er durch seine vielgetadelte
und vielgepriesene „Entdeckung der Nutheuen," dem damals ohnehin schon überall auf¬
flammenden Nationalitäts- und Sprachenkampfe noch ein neues Element zuführte.


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[0161] Graf Stadion. i. Sie wünschen von mir Portraits der vielgenannten Männer zu haben, welche nach der Octoberrevolution die Schicksalsfaden Oestreichs in ihre Hand nahmen und, nachdem sie ihr eigenes Land um die Freiheit betrogen, jetzt auch aus Deutschland einen unheilvollen Einfluß zu üben beginnen. Ehe ich versuche Ihrem Wunsche nachzukommen, muß ich bevorworten, daß diese Zeilen keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen sollen; ich werde mich darauf beschränken nur das zu sagen, was entweder selbsteigner Anschauung und Erfahrung entnommen ist, oder aus Quellen fließt, deren Lauterkeit ich verbür¬ gen kann. Ich beginne meine Skizzen mit der Zeichnung desjenigen Mannes, der ge¬ wöhnlich die Seele des Olmützer Cabinets genannt wird, während man den fürst¬ lichen Namen Felix Schwarzeubergs nur als Aushängeschild betrachtet. Graf Stadion, dessen Alter etwa der laufenden Jahreszahl dieses Jahrhun¬ derts entsprechen dürfte, ist ein Mann von hohem Wuchs, regelmäßigen, scharf ausgeprägten Gesichtszügen und einfachen, gewinnenden Manieren. Der spärliche Haarwuchs zu beiden Seiten des Kopfes, welcher oben in gänzliche Kahlheit aus¬ läuft, läßt die Stirn weit höher und großartiger erscheinen, als sie ursprünglich ist. Ueberhaupt würde das ganze Gesicht einen bedeutenden Eindruck machen, wenn nicht der leblose, schwerfällige Mund und ein seltsames'Gemisch von Mat¬ tigkeit und Kälte die Züge entseelten. Derselbe Mangel an Leben und Frische offenbart sich am ganzen BeHaben des langausgestrecktem Körpers. Gang und Haltung, besonders aber die,beim Gehen fast unbeweglich herabhängenden Arme, deuten auf Verschlossenheit des Charakters. Graf Station wurde einem größern Publikum zuerst bekannt in seiner Ei¬ genschaft als Gouverneur des Küstenlandes, wo er sich durch langjähriges Wirken den Ruhm eines freisinnigen Mannes, eines geschickten Administrators und vor Allem eines fleißigen, unermüdlichen Arbeiters erwarb. Eine etwas zweideutige Rolle spielte er später als Gouverneur von Galizien, wo er durch seine vielgetadelte und vielgepriesene „Entdeckung der Nutheuen," dem damals ohnehin schon überall auf¬ flammenden Nationalitäts- und Sprachenkampfe noch ein neues Element zuführte. Grenzboten. II. Is4V. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/161>, abgerufen am 15.01.2025.