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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ist, hinter der einfachsten plumpsten Dummheit eine äußerst schlaue und gefährliche
Perfidie zu wittern, gegen die mau nicht vorsichtig und sein genug operiren könne.
Wird man in Deutschland und namentlich in Preußen nicht endlich eürsehen, daß
auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, und daß Unverschämtheit nicht
immer ein Zeichen von Kraft ist?

I'. 8. Die Grenzboten sind doch ausgegeben morden, nachdem sie eine Woche
auf der Stadthanptmannschaft, krumm geschlossen, gelegen hatten.




Preußische Briefe.



Zehnter Vries.
Berliner Genrebilder.

Als ich kurze Zeit nach den Barrikaden einem Freunde, der gemeinschaftlich
mit mir in einem Club zuhörte, wie "die Fürsten, was leicht zu entscheiden war,
in wechselndem Gespräch beriethen," die Absicht äußerte, das Theater zu besuchen,
sah er mich mit einem bedenklichen Blick an, als ob er besorgte, ich werde über¬
schnappen. So war damals die Stimmung ziemlich allgemein. Seit dem Bela¬
gerungszustand ist das anders geworden. Zerstreuung muß der Berliner haben,
und kann er sich nicht mehr an den Staatsgesprächen des souveränen Lindenclubs
oder irgend eines Vereins zum Besten deS notleidenden Europa amüstren, so
flüchtet er aus der bittern Realität der Constablerherrschaft in die freie, heitere
Welt des Scheins. So ist denn unter den Märzerrungenschaften auch die verloren
^gangen, ohne erhebliche Kontusionen zu allen Zeiten ein Billet erwerben zu
können. Berlin hat sich zwar durch Ausweisungen verkleinert, aber das trifft mei¬
stens nur die kleinen Leute; die Aristokratie hat ihre alte Stätte wieder aufgesucht.

Mau kann für den Communismus i" "dstr-lLto schwärme", in dem Opern¬
haus läßt man sich die Existenz von Privatcapitalien gefallen. Es ist zu ange¬
nehm, auf deu bequemen Lehnstüylen zu sitzen, umgeben von allem Luxus einer
Hofbühne, vor sich eine vortreffliche Musik, glänzende Toiletten, hübsche Ge¬
mälde und aller sonstige Aufwand, durch welchen unsern Nebenmenschen das Brot
^utzogen wird. Für ein communistischcs Herz sind diese Sitze viel zu breit, wenn
wan sich etwas zusammendrückte, hätten bedeutend mehr Brüder Platz. Die Lo¬
yalität wirkt übrigens auf die Gcstnuuug ein; ich habe bemerkt, daß das Publi¬
kum des Schauspielhauses entschieden demokratisch ist, während das Opernhaus
steh fast der äußersten Rechten zuneigt. Als im Don Juan bei der berühmten
stelle, wo die Soli mit dem ganzen Chor vorwärts treten, und singen: Es
lebe die Freiheit! -- eine Stelle, die in dem alten Polizeistaat stets mit donnern-


ist, hinter der einfachsten plumpsten Dummheit eine äußerst schlaue und gefährliche
Perfidie zu wittern, gegen die mau nicht vorsichtig und sein genug operiren könne.
Wird man in Deutschland und namentlich in Preußen nicht endlich eürsehen, daß
auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, und daß Unverschämtheit nicht
immer ein Zeichen von Kraft ist?

I'. 8. Die Grenzboten sind doch ausgegeben morden, nachdem sie eine Woche
auf der Stadthanptmannschaft, krumm geschlossen, gelegen hatten.




Preußische Briefe.



Zehnter Vries.
Berliner Genrebilder.

Als ich kurze Zeit nach den Barrikaden einem Freunde, der gemeinschaftlich
mit mir in einem Club zuhörte, wie „die Fürsten, was leicht zu entscheiden war,
in wechselndem Gespräch beriethen," die Absicht äußerte, das Theater zu besuchen,
sah er mich mit einem bedenklichen Blick an, als ob er besorgte, ich werde über¬
schnappen. So war damals die Stimmung ziemlich allgemein. Seit dem Bela¬
gerungszustand ist das anders geworden. Zerstreuung muß der Berliner haben,
und kann er sich nicht mehr an den Staatsgesprächen des souveränen Lindenclubs
oder irgend eines Vereins zum Besten deS notleidenden Europa amüstren, so
flüchtet er aus der bittern Realität der Constablerherrschaft in die freie, heitere
Welt des Scheins. So ist denn unter den Märzerrungenschaften auch die verloren
^gangen, ohne erhebliche Kontusionen zu allen Zeiten ein Billet erwerben zu
können. Berlin hat sich zwar durch Ausweisungen verkleinert, aber das trifft mei¬
stens nur die kleinen Leute; die Aristokratie hat ihre alte Stätte wieder aufgesucht.

Mau kann für den Communismus i» »dstr-lLto schwärme», in dem Opern¬
haus läßt man sich die Existenz von Privatcapitalien gefallen. Es ist zu ange¬
nehm, auf deu bequemen Lehnstüylen zu sitzen, umgeben von allem Luxus einer
Hofbühne, vor sich eine vortreffliche Musik, glänzende Toiletten, hübsche Ge¬
mälde und aller sonstige Aufwand, durch welchen unsern Nebenmenschen das Brot
^utzogen wird. Für ein communistischcs Herz sind diese Sitze viel zu breit, wenn
wan sich etwas zusammendrückte, hätten bedeutend mehr Brüder Platz. Die Lo¬
yalität wirkt übrigens auf die Gcstnuuug ein; ich habe bemerkt, daß das Publi¬
kum des Schauspielhauses entschieden demokratisch ist, während das Opernhaus
steh fast der äußersten Rechten zuneigt. Als im Don Juan bei der berühmten
stelle, wo die Soli mit dem ganzen Chor vorwärts treten, und singen: Es
lebe die Freiheit! — eine Stelle, die in dem alten Polizeistaat stets mit donnern-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/149>, abgerufen am 15.01.2025.