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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Die Wahlen zu den preußischen Kammern.



Die Wahlen lassen sich jetzt ziemlich vollständig übersehen. Die Zeitungen
haben sie rubncirt, und ein Zahlenverhältniß zwischen der sogenannten conserva-
tiven und oppositionellen oder demokratischen Partei mit großer Sicherheit heraus-
gerechnet. Bei der Organisation der politischen Ansichten, für welche die Wahlen
eine merkenswerthe Probe gegeben haben, hat es sich so gemacht, daß mit wenig
Ausnahmen überall zwei Kandidaten sich entgegenstellten, von denen jeder sich auf
eine Partei stützte, die um einen Grad conservativer war, als die entgegengesetzte.
Es könnte aber wohl sein, daß die oppositionelle Partei des einen Wahlbezirks der
konservativen des andern näher stände, als der demokratischen, und so würde jene
Rechnung nicht überall die Probe halte". Noch gewagter erscheint die Classification
in die vier hergebrachten Nuancen -- Rechte, rechtes und linkes Centrum, Linke
-- wie sie z. B. die deutsche Zeitung versucht. Sie geht dabei aus die Antece-
dentien derjenigen Deputirten zurück, die irgend einmal an einer ständischen Ver¬
sammlung Theil genommen haben. Allein die gänzlich veränderten politischen Ver¬
hältnisse werden auch die Stellung der Einzelnen wesentlich modificiren.

Nach jener Berechnung stünden sich die beiden Parteien der Zahl nach unge¬
fähr gleich; das Uebergewicht, aber ein sehr geringes, möchte ans die conservative
Seite fallen. Man legt dabei vor Allem die letzten Schritte des Rumpfparlaments
zu Grunde, und stellt diejenigen, welche sie billigen, links, die sie mißbilligen,
rechts. Allein dies blos theoretische Verhältniß hält die practische Prüfung nicht
aus. Vielmehr wird eine unbefangene Anschauung der aufgelösten Constituante
zu dem Resultat führen müssen, daß die Gegensätze, um die es sich gegenwärtig
handelt, ganz anderer Natur sind, als die hänstg unerquicklichen und leeren Streit¬
fragen, die in jenem Abortus der Revolution die Tagesordnung bildeten.

Wir haben jene Versammlung nicht geliebt; mit Ernst und Spott sind wir
ihr entgegengetreten, so lange sie wenigstens dem Anschein nach die Macht besaß,
den Staat in seinen Grundvesten zu erschüttern. Sie gehört jetzt der Geschichte
an, und Haß und Liebe haben kein Recht mehr ans sie. Man kann sich über ihr
Wesen leichter verständigen, wenn man keinen Grund mehr hat, sich darüber zu
ärgern.

Als Kind der Revolution hatte sie einerseits die gute, naive Ansicht, Uner¬
hörtes und so Unmögliches als möglich zu leisten; andrerseits hatte sie aus dem¬
selben Grund nicht einmal zu dem Erträglichen die Mittel.

Eine constituirende Versammlung! eine Versammlung, die auf einer tnliula
xM" den neuen Staat aufrichten soll! also, wie es der schlichte Bauernverstand,


Die Wahlen zu den preußischen Kammern.



Die Wahlen lassen sich jetzt ziemlich vollständig übersehen. Die Zeitungen
haben sie rubncirt, und ein Zahlenverhältniß zwischen der sogenannten conserva-
tiven und oppositionellen oder demokratischen Partei mit großer Sicherheit heraus-
gerechnet. Bei der Organisation der politischen Ansichten, für welche die Wahlen
eine merkenswerthe Probe gegeben haben, hat es sich so gemacht, daß mit wenig
Ausnahmen überall zwei Kandidaten sich entgegenstellten, von denen jeder sich auf
eine Partei stützte, die um einen Grad conservativer war, als die entgegengesetzte.
Es könnte aber wohl sein, daß die oppositionelle Partei des einen Wahlbezirks der
konservativen des andern näher stände, als der demokratischen, und so würde jene
Rechnung nicht überall die Probe halte». Noch gewagter erscheint die Classification
in die vier hergebrachten Nuancen — Rechte, rechtes und linkes Centrum, Linke
— wie sie z. B. die deutsche Zeitung versucht. Sie geht dabei aus die Antece-
dentien derjenigen Deputirten zurück, die irgend einmal an einer ständischen Ver¬
sammlung Theil genommen haben. Allein die gänzlich veränderten politischen Ver¬
hältnisse werden auch die Stellung der Einzelnen wesentlich modificiren.

Nach jener Berechnung stünden sich die beiden Parteien der Zahl nach unge¬
fähr gleich; das Uebergewicht, aber ein sehr geringes, möchte ans die conservative
Seite fallen. Man legt dabei vor Allem die letzten Schritte des Rumpfparlaments
zu Grunde, und stellt diejenigen, welche sie billigen, links, die sie mißbilligen,
rechts. Allein dies blos theoretische Verhältniß hält die practische Prüfung nicht
aus. Vielmehr wird eine unbefangene Anschauung der aufgelösten Constituante
zu dem Resultat führen müssen, daß die Gegensätze, um die es sich gegenwärtig
handelt, ganz anderer Natur sind, als die hänstg unerquicklichen und leeren Streit¬
fragen, die in jenem Abortus der Revolution die Tagesordnung bildeten.

Wir haben jene Versammlung nicht geliebt; mit Ernst und Spott sind wir
ihr entgegengetreten, so lange sie wenigstens dem Anschein nach die Macht besaß,
den Staat in seinen Grundvesten zu erschüttern. Sie gehört jetzt der Geschichte
an, und Haß und Liebe haben kein Recht mehr ans sie. Man kann sich über ihr
Wesen leichter verständigen, wenn man keinen Grund mehr hat, sich darüber zu
ärgern.

Als Kind der Revolution hatte sie einerseits die gute, naive Ansicht, Uner¬
hörtes und so Unmögliches als möglich zu leisten; andrerseits hatte sie aus dem¬
selben Grund nicht einmal zu dem Erträglichen die Mittel.

Eine constituirende Versammlung! eine Versammlung, die auf einer tnliula
xM» den neuen Staat aufrichten soll! also, wie es der schlichte Bauernverstand,


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[0310] Die Wahlen zu den preußischen Kammern. Die Wahlen lassen sich jetzt ziemlich vollständig übersehen. Die Zeitungen haben sie rubncirt, und ein Zahlenverhältniß zwischen der sogenannten conserva- tiven und oppositionellen oder demokratischen Partei mit großer Sicherheit heraus- gerechnet. Bei der Organisation der politischen Ansichten, für welche die Wahlen eine merkenswerthe Probe gegeben haben, hat es sich so gemacht, daß mit wenig Ausnahmen überall zwei Kandidaten sich entgegenstellten, von denen jeder sich auf eine Partei stützte, die um einen Grad conservativer war, als die entgegengesetzte. Es könnte aber wohl sein, daß die oppositionelle Partei des einen Wahlbezirks der konservativen des andern näher stände, als der demokratischen, und so würde jene Rechnung nicht überall die Probe halte». Noch gewagter erscheint die Classification in die vier hergebrachten Nuancen — Rechte, rechtes und linkes Centrum, Linke — wie sie z. B. die deutsche Zeitung versucht. Sie geht dabei aus die Antece- dentien derjenigen Deputirten zurück, die irgend einmal an einer ständischen Ver¬ sammlung Theil genommen haben. Allein die gänzlich veränderten politischen Ver¬ hältnisse werden auch die Stellung der Einzelnen wesentlich modificiren. Nach jener Berechnung stünden sich die beiden Parteien der Zahl nach unge¬ fähr gleich; das Uebergewicht, aber ein sehr geringes, möchte ans die conservative Seite fallen. Man legt dabei vor Allem die letzten Schritte des Rumpfparlaments zu Grunde, und stellt diejenigen, welche sie billigen, links, die sie mißbilligen, rechts. Allein dies blos theoretische Verhältniß hält die practische Prüfung nicht aus. Vielmehr wird eine unbefangene Anschauung der aufgelösten Constituante zu dem Resultat führen müssen, daß die Gegensätze, um die es sich gegenwärtig handelt, ganz anderer Natur sind, als die hänstg unerquicklichen und leeren Streit¬ fragen, die in jenem Abortus der Revolution die Tagesordnung bildeten. Wir haben jene Versammlung nicht geliebt; mit Ernst und Spott sind wir ihr entgegengetreten, so lange sie wenigstens dem Anschein nach die Macht besaß, den Staat in seinen Grundvesten zu erschüttern. Sie gehört jetzt der Geschichte an, und Haß und Liebe haben kein Recht mehr ans sie. Man kann sich über ihr Wesen leichter verständigen, wenn man keinen Grund mehr hat, sich darüber zu ärgern. Als Kind der Revolution hatte sie einerseits die gute, naive Ansicht, Uner¬ hörtes und so Unmögliches als möglich zu leisten; andrerseits hatte sie aus dem¬ selben Grund nicht einmal zu dem Erträglichen die Mittel. Eine constituirende Versammlung! eine Versammlung, die auf einer tnliula xM» den neuen Staat aufrichten soll! also, wie es der schlichte Bauernverstand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/310>, abgerufen am 23.07.2024.