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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Oestreichs nationale Politik.



i.
Altöstreich und die östreichische Nation.

Die Grenzboten haben meinen östreichischen Patriotismus herausgefordert.
In der Antwort auf meinen SendartikcN) heißt es: "Sie täuschen sich und bre¬
chen nun über Oestreich den Stab. Ein Volk stirbt nicht so rasch, Sie Klein¬
gläubiger!" Wohl, ich habe über Oestreich den Stab gebrochen, aber, wie ich
ausdrücklich sagte, über das Reich der Habsburger, über die dynastische Politik
Altöstrcichs, welche sich neuerdings mit Hilfe des lllvids et imnor-r und einer
ergebenen Armee in die alte Hausmacht und Weltstellung einzurücken versucht.
Wen" ich dieser vormärzlichen Politik Oestreichs zum Heile Deutschlands und zum
Besten einer raschen Kulturentwicklung in den östlichen und südlichen Ländern den
Tod wünsche, so wollt' ich damit eben die neu erwachte Existenz des östreichischen
Volkes vor fernerer Unterdrückung oder revolutionärer Zerrüttung retten. Also
mein Glaube an das Fortleben eines Volkes ist nicht erschüttert, wenn ich wünsche,
daß selbst "der jugendlich schöne Anflug der ersten Begeisterung," in welchem die
Blüthen der Freiheit an diesem Volksstamme erschienen sind, nicht von plumpen
Reactivnshänden verwischt werde. Nicht die Poesie in der äußern Erscheinung ist
es, welche mich an das östreichische Volk in der Revolution fesselte, sondern das
volle freudige Hingeben an die Idee der Freiheit, welche sich im innersten Ge-
müthsleben der Oestreicher eingenistet hat. Der nüchterne Verstand, die männ¬
liche Ueberlegung liegt weder in der Natur, noch in der Geschichte der östreichi¬
schen Völker. Reißt man daher jetzt jene zarten Wurzeln ans dem Herzen meines
Volkes, oder läßt man sie langsam verdorren, wie es in der Absicht der Herren
Windischgrätz, Melden und Konsorten liegt -- dann wird die Weltgeschichte ver¬
gebens ein zweites Mal an die Thore Oestreichs klopfen, wenn Europa gegen den
entfesselten Wahnsinn im Westen oder gegen den erstarrten Eiskoloß, der sich vom
Nord und Osten gegen uns herauwälzt, die Begeisterung der Nationen wach rufen
wollte. Nur den Fluch gegen Altöstrcich, der den europäischen Völkern vor dem
März 1848 so schwer auf den Lippen gelegen, hab' ich erneuert und ein War¬
nungszeichen wollt' ich geben, daß sich die glatte Schlange der östreichischen Diplo¬
matie nicht abermals um den Leib der erwachten Nationen ringle und unser bestes
Leben, unsere jugendliche Entwicklung mit ihrem Hauche verpeste.



*) Heft 6, "das specifische Preußenthum und das sser. kaiserl. Bewußtsein."
Oestreichs nationale Politik.



i.
Altöstreich und die östreichische Nation.

Die Grenzboten haben meinen östreichischen Patriotismus herausgefordert.
In der Antwort auf meinen SendartikcN) heißt es: „Sie täuschen sich und bre¬
chen nun über Oestreich den Stab. Ein Volk stirbt nicht so rasch, Sie Klein¬
gläubiger!" Wohl, ich habe über Oestreich den Stab gebrochen, aber, wie ich
ausdrücklich sagte, über das Reich der Habsburger, über die dynastische Politik
Altöstrcichs, welche sich neuerdings mit Hilfe des lllvids et imnor-r und einer
ergebenen Armee in die alte Hausmacht und Weltstellung einzurücken versucht.
Wen» ich dieser vormärzlichen Politik Oestreichs zum Heile Deutschlands und zum
Besten einer raschen Kulturentwicklung in den östlichen und südlichen Ländern den
Tod wünsche, so wollt' ich damit eben die neu erwachte Existenz des östreichischen
Volkes vor fernerer Unterdrückung oder revolutionärer Zerrüttung retten. Also
mein Glaube an das Fortleben eines Volkes ist nicht erschüttert, wenn ich wünsche,
daß selbst „der jugendlich schöne Anflug der ersten Begeisterung," in welchem die
Blüthen der Freiheit an diesem Volksstamme erschienen sind, nicht von plumpen
Reactivnshänden verwischt werde. Nicht die Poesie in der äußern Erscheinung ist
es, welche mich an das östreichische Volk in der Revolution fesselte, sondern das
volle freudige Hingeben an die Idee der Freiheit, welche sich im innersten Ge-
müthsleben der Oestreicher eingenistet hat. Der nüchterne Verstand, die männ¬
liche Ueberlegung liegt weder in der Natur, noch in der Geschichte der östreichi¬
schen Völker. Reißt man daher jetzt jene zarten Wurzeln ans dem Herzen meines
Volkes, oder läßt man sie langsam verdorren, wie es in der Absicht der Herren
Windischgrätz, Melden und Konsorten liegt — dann wird die Weltgeschichte ver¬
gebens ein zweites Mal an die Thore Oestreichs klopfen, wenn Europa gegen den
entfesselten Wahnsinn im Westen oder gegen den erstarrten Eiskoloß, der sich vom
Nord und Osten gegen uns herauwälzt, die Begeisterung der Nationen wach rufen
wollte. Nur den Fluch gegen Altöstrcich, der den europäischen Völkern vor dem
März 1848 so schwer auf den Lippen gelegen, hab' ich erneuert und ein War¬
nungszeichen wollt' ich geben, daß sich die glatte Schlange der östreichischen Diplo¬
matie nicht abermals um den Leib der erwachten Nationen ringle und unser bestes
Leben, unsere jugendliche Entwicklung mit ihrem Hauche verpeste.



*) Heft 6, „das specifische Preußenthum und das sser. kaiserl. Bewußtsein."
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[0304] Oestreichs nationale Politik. i. Altöstreich und die östreichische Nation. Die Grenzboten haben meinen östreichischen Patriotismus herausgefordert. In der Antwort auf meinen SendartikcN) heißt es: „Sie täuschen sich und bre¬ chen nun über Oestreich den Stab. Ein Volk stirbt nicht so rasch, Sie Klein¬ gläubiger!" Wohl, ich habe über Oestreich den Stab gebrochen, aber, wie ich ausdrücklich sagte, über das Reich der Habsburger, über die dynastische Politik Altöstrcichs, welche sich neuerdings mit Hilfe des lllvids et imnor-r und einer ergebenen Armee in die alte Hausmacht und Weltstellung einzurücken versucht. Wen» ich dieser vormärzlichen Politik Oestreichs zum Heile Deutschlands und zum Besten einer raschen Kulturentwicklung in den östlichen und südlichen Ländern den Tod wünsche, so wollt' ich damit eben die neu erwachte Existenz des östreichischen Volkes vor fernerer Unterdrückung oder revolutionärer Zerrüttung retten. Also mein Glaube an das Fortleben eines Volkes ist nicht erschüttert, wenn ich wünsche, daß selbst „der jugendlich schöne Anflug der ersten Begeisterung," in welchem die Blüthen der Freiheit an diesem Volksstamme erschienen sind, nicht von plumpen Reactivnshänden verwischt werde. Nicht die Poesie in der äußern Erscheinung ist es, welche mich an das östreichische Volk in der Revolution fesselte, sondern das volle freudige Hingeben an die Idee der Freiheit, welche sich im innersten Ge- müthsleben der Oestreicher eingenistet hat. Der nüchterne Verstand, die männ¬ liche Ueberlegung liegt weder in der Natur, noch in der Geschichte der östreichi¬ schen Völker. Reißt man daher jetzt jene zarten Wurzeln ans dem Herzen meines Volkes, oder läßt man sie langsam verdorren, wie es in der Absicht der Herren Windischgrätz, Melden und Konsorten liegt — dann wird die Weltgeschichte ver¬ gebens ein zweites Mal an die Thore Oestreichs klopfen, wenn Europa gegen den entfesselten Wahnsinn im Westen oder gegen den erstarrten Eiskoloß, der sich vom Nord und Osten gegen uns herauwälzt, die Begeisterung der Nationen wach rufen wollte. Nur den Fluch gegen Altöstrcich, der den europäischen Völkern vor dem März 1848 so schwer auf den Lippen gelegen, hab' ich erneuert und ein War¬ nungszeichen wollt' ich geben, daß sich die glatte Schlange der östreichischen Diplo¬ matie nicht abermals um den Leib der erwachten Nationen ringle und unser bestes Leben, unsere jugendliche Entwicklung mit ihrem Hauche verpeste. *) Heft 6, „das specifische Preußenthum und das sser. kaiserl. Bewußtsein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/304>, abgerufen am 03.07.2024.