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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Bilder aus dem schlesischen Eulengebirge.



i.

Wir saßen zu dreien am runden Frnhstücktisch, schweigsamer als an einem
klaren Novembertage dem Waidmann erlaubt ist; ich, der Baron unser Wirth,
und Alfred, sein junger Vetter aus der Mark. Dicke Rauchwolken fuhren aus
den Cigarren und unsere Blicke folgten wehmüthig den Rehposten, die unruhig
zwischen den Kaffeetassen umherrollten. Wem je ein frisches Jägerherz im Busen
gepocht, der wird ohne Worte verstehen, daß unser Jägerkleeblatt trübselig an die
Jagdgesetze dachte, welche von Frankfurt aus einen tödlichen Angriff gegen diese
Freuden begonnen haben. Selbst die Hunde hatten eine Ahnung davon, daß sie
bald über dem Schweiß des letzten Hasen bellen würden, sie lagen traurig zu
unserm Füßen und schüttelten vorwurfsvoll ihre Ohren. "Bah!" sagte endlich
unser Wirth, "die Gelehrten Haben's beschlossen und wir gelten jetzt für reactionäre
Rebellen." Zornig stieß er die breite, weiß verhangene Balconthür auf und unsere
Köpfe drehten sich mechanisch nach der frischen Morgenluft. Vor uns im eichenen
Nahmen der Thür breitete die riesige Eule ihre dunkelen Flügel aus, die sie sich
mit frischem Schnee gepudert hatte. Tiefe Schluchten theilten die Berge an ihrem
Fuß und das frische Tannengrün stach erquicklich ab gegen das falbe Laub der
Eichen und Rüstern. Weithin am AbHange lagen längs der Chaussee die meilen¬
langen Dörfer mit den weißen Häusern, ihren Kirchen, den hohen Schornsteinen
der Dampfmühlen und Fabriken und den freundlichen Schlössern der Grundherren.
Rechts die kleine Kreisstadt, die durch einen Streifen leichtes Gebüsch mit den
Dörfern verbunden schien, links einige Scheuern deö Gutes, als Prosa des Bildes
zur Seite geschoben; im Vordergründe aber bis an die Mauer des kleinen Gar¬
tens, der Smaragdteppich junger Herbstsaat und des letzten Klee's, über welchen
der Schäfer langsam mit seiner Heerde trieb. Am Himmel jagte der Morgenwind
einige mattgraue Wolken und ihr neckischer Streit mit dem Sonnenstrahl gab dem
Bild wechselnde Lichter und Schatten.

Einige Augenblicke gaben wir uns stumm dem Eindruck hin, den dieses Ge¬
mälde von alter Meisterhand auf uns machte. "Ja," sagte der alte Herr, "was
mich wie einen Zauber an dieses Gut fesselt, das ist diese Ruhe, der Frieden!
Müßte man nicht glauben die Weit sei ein Eden, alle Zwietracht eingesargt und
die Menschen glückselige Kreaturen?" Er stützte sich auf den hohen Sessel und
drückte den Handschuh über seine Augen. Alfred sah mit bittrem Lächeln vor sich
nieder, vielleicht gingen die weniger harmlosen Genrebilder der Berliner Barrika¬
den an ihm vorüber, er empfand die Axtschläge, die daheim im märkischen Sand


G"n,b"ten. I. "84". 29
Bilder aus dem schlesischen Eulengebirge.



i.

Wir saßen zu dreien am runden Frnhstücktisch, schweigsamer als an einem
klaren Novembertage dem Waidmann erlaubt ist; ich, der Baron unser Wirth,
und Alfred, sein junger Vetter aus der Mark. Dicke Rauchwolken fuhren aus
den Cigarren und unsere Blicke folgten wehmüthig den Rehposten, die unruhig
zwischen den Kaffeetassen umherrollten. Wem je ein frisches Jägerherz im Busen
gepocht, der wird ohne Worte verstehen, daß unser Jägerkleeblatt trübselig an die
Jagdgesetze dachte, welche von Frankfurt aus einen tödlichen Angriff gegen diese
Freuden begonnen haben. Selbst die Hunde hatten eine Ahnung davon, daß sie
bald über dem Schweiß des letzten Hasen bellen würden, sie lagen traurig zu
unserm Füßen und schüttelten vorwurfsvoll ihre Ohren. „Bah!" sagte endlich
unser Wirth, „die Gelehrten Haben's beschlossen und wir gelten jetzt für reactionäre
Rebellen." Zornig stieß er die breite, weiß verhangene Balconthür auf und unsere
Köpfe drehten sich mechanisch nach der frischen Morgenluft. Vor uns im eichenen
Nahmen der Thür breitete die riesige Eule ihre dunkelen Flügel aus, die sie sich
mit frischem Schnee gepudert hatte. Tiefe Schluchten theilten die Berge an ihrem
Fuß und das frische Tannengrün stach erquicklich ab gegen das falbe Laub der
Eichen und Rüstern. Weithin am AbHange lagen längs der Chaussee die meilen¬
langen Dörfer mit den weißen Häusern, ihren Kirchen, den hohen Schornsteinen
der Dampfmühlen und Fabriken und den freundlichen Schlössern der Grundherren.
Rechts die kleine Kreisstadt, die durch einen Streifen leichtes Gebüsch mit den
Dörfern verbunden schien, links einige Scheuern deö Gutes, als Prosa des Bildes
zur Seite geschoben; im Vordergründe aber bis an die Mauer des kleinen Gar¬
tens, der Smaragdteppich junger Herbstsaat und des letzten Klee's, über welchen
der Schäfer langsam mit seiner Heerde trieb. Am Himmel jagte der Morgenwind
einige mattgraue Wolken und ihr neckischer Streit mit dem Sonnenstrahl gab dem
Bild wechselnde Lichter und Schatten.

Einige Augenblicke gaben wir uns stumm dem Eindruck hin, den dieses Ge¬
mälde von alter Meisterhand auf uns machte. „Ja," sagte der alte Herr, „was
mich wie einen Zauber an dieses Gut fesselt, das ist diese Ruhe, der Frieden!
Müßte man nicht glauben die Weit sei ein Eden, alle Zwietracht eingesargt und
die Menschen glückselige Kreaturen?" Er stützte sich auf den hohen Sessel und
drückte den Handschuh über seine Augen. Alfred sah mit bittrem Lächeln vor sich
nieder, vielleicht gingen die weniger harmlosen Genrebilder der Berliner Barrika¬
den an ihm vorüber, er empfand die Axtschläge, die daheim im märkischen Sand


G«n,b«ten. I. »84». 29
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/233>, abgerufen am 03.07.2024.