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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Das Ministerium von der Wfordten.



Die Grenzboten haben es bis jetzt für angemessen gehalten, auf die innern
Verhältnisse des Königreich Sachsen, das sie gastlich aufgenommen hat, nicht näher
einzugehen. Wenn sie mit der gegenwärtigen Ministerkrisis eine Ausnahme machen,
so geschieht das nicht um localer Interessen willen, sondern weil sich ein für un¬
sere ganze Entwickelung wichtiges Princip daran knüpft. Es handelt sich nämlich
um zwei Fragen: Wie steh" die Regierungen und Stände der ein-
zelnenStaaten zu dem Verfassungsentwurf des Reichs? und: Wie
ist das Rechtsverhältniß der liberalen Regierungen zu den mit
oder ohne Absicht auf die Republik zu steuernden Kammern?

Was den ersten Punkt betrifft, so hat die königl. sächsische Staatsregierung
von zwei Seiten her Vorwürfe vernehmen müssen. Bereits vor den nach dem
alten Wahlgesetz zusammengetretenen Kammern gab der Minister v. d. Pfordten
die Erklärung ab, die Negierung würde, ihrer eidlichen Verpflichtung eingedenk,
nach welcher sie keine Umänderung der Verfassung ohne ständische Zustimmung
eintreten lassen dürfe, die desfallsigen Frankfurter Beschlüsse jedesmal den Kam¬
mern vorlegen. Eine unbedingte Annahme der Reichsverfassung war damit aus¬
geschlossen , dagegen auf die deutsche Gesinnung der Krone und des Volks hinge¬
wiesen, welche vor keinem Opfer zurückschrecken werde, wenn sich daraus eine
Förderung der deutschen Einheit absehen ließe.

Gegen diese Erklärung erhob sich in der Paulskirche der Abgeordnete Bie-
dermann, und forderte die Nationalversammlung auf, zufolge ihres häufig und
laut genng ausgesprochenen Princips, daß die Feststellung der deutschen Verfassung
ihr allein zukäme, jene Aeußerung des "Partikularismus" für null und nichtig
zu erklären. Er entschuldigte übrigens die Regierung, soweit es ihre Absicht an¬
ging, und suchte den Grund ihres Verfahrens lediglich in der "Pedanterie" des
sächsischen Volksstammes, der sich auch in Zeiten, wo es einen großen Entschluß
gilt, von dem Buchstaben nicht loszumachen versteht. Sonderbarer Weise trat Herr
Schaffrath als Anwald der Negierung auf, ein Mitglied jener Linken, welche
früher alle Kräfte daran gesetzt hatte, jedes Lebenszeichen des Partikularismus,
wie berechtigt er auch sein mochte, durch die Wucht der revolutionären Gewalt


Grenzboten. ". Isi". 2ö
Das Ministerium von der Wfordten.



Die Grenzboten haben es bis jetzt für angemessen gehalten, auf die innern
Verhältnisse des Königreich Sachsen, das sie gastlich aufgenommen hat, nicht näher
einzugehen. Wenn sie mit der gegenwärtigen Ministerkrisis eine Ausnahme machen,
so geschieht das nicht um localer Interessen willen, sondern weil sich ein für un¬
sere ganze Entwickelung wichtiges Princip daran knüpft. Es handelt sich nämlich
um zwei Fragen: Wie steh» die Regierungen und Stände der ein-
zelnenStaaten zu dem Verfassungsentwurf des Reichs? und: Wie
ist das Rechtsverhältniß der liberalen Regierungen zu den mit
oder ohne Absicht auf die Republik zu steuernden Kammern?

Was den ersten Punkt betrifft, so hat die königl. sächsische Staatsregierung
von zwei Seiten her Vorwürfe vernehmen müssen. Bereits vor den nach dem
alten Wahlgesetz zusammengetretenen Kammern gab der Minister v. d. Pfordten
die Erklärung ab, die Negierung würde, ihrer eidlichen Verpflichtung eingedenk,
nach welcher sie keine Umänderung der Verfassung ohne ständische Zustimmung
eintreten lassen dürfe, die desfallsigen Frankfurter Beschlüsse jedesmal den Kam¬
mern vorlegen. Eine unbedingte Annahme der Reichsverfassung war damit aus¬
geschlossen , dagegen auf die deutsche Gesinnung der Krone und des Volks hinge¬
wiesen, welche vor keinem Opfer zurückschrecken werde, wenn sich daraus eine
Förderung der deutschen Einheit absehen ließe.

Gegen diese Erklärung erhob sich in der Paulskirche der Abgeordnete Bie-
dermann, und forderte die Nationalversammlung auf, zufolge ihres häufig und
laut genng ausgesprochenen Princips, daß die Feststellung der deutschen Verfassung
ihr allein zukäme, jene Aeußerung des „Partikularismus" für null und nichtig
zu erklären. Er entschuldigte übrigens die Regierung, soweit es ihre Absicht an¬
ging, und suchte den Grund ihres Verfahrens lediglich in der „Pedanterie" des
sächsischen Volksstammes, der sich auch in Zeiten, wo es einen großen Entschluß
gilt, von dem Buchstaben nicht loszumachen versteht. Sonderbarer Weise trat Herr
Schaffrath als Anwald der Negierung auf, ein Mitglied jener Linken, welche
früher alle Kräfte daran gesetzt hatte, jedes Lebenszeichen des Partikularismus,
wie berechtigt er auch sein mochte, durch die Wucht der revolutionären Gewalt


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[0209] Das Ministerium von der Wfordten. Die Grenzboten haben es bis jetzt für angemessen gehalten, auf die innern Verhältnisse des Königreich Sachsen, das sie gastlich aufgenommen hat, nicht näher einzugehen. Wenn sie mit der gegenwärtigen Ministerkrisis eine Ausnahme machen, so geschieht das nicht um localer Interessen willen, sondern weil sich ein für un¬ sere ganze Entwickelung wichtiges Princip daran knüpft. Es handelt sich nämlich um zwei Fragen: Wie steh» die Regierungen und Stände der ein- zelnenStaaten zu dem Verfassungsentwurf des Reichs? und: Wie ist das Rechtsverhältniß der liberalen Regierungen zu den mit oder ohne Absicht auf die Republik zu steuernden Kammern? Was den ersten Punkt betrifft, so hat die königl. sächsische Staatsregierung von zwei Seiten her Vorwürfe vernehmen müssen. Bereits vor den nach dem alten Wahlgesetz zusammengetretenen Kammern gab der Minister v. d. Pfordten die Erklärung ab, die Negierung würde, ihrer eidlichen Verpflichtung eingedenk, nach welcher sie keine Umänderung der Verfassung ohne ständische Zustimmung eintreten lassen dürfe, die desfallsigen Frankfurter Beschlüsse jedesmal den Kam¬ mern vorlegen. Eine unbedingte Annahme der Reichsverfassung war damit aus¬ geschlossen , dagegen auf die deutsche Gesinnung der Krone und des Volks hinge¬ wiesen, welche vor keinem Opfer zurückschrecken werde, wenn sich daraus eine Förderung der deutschen Einheit absehen ließe. Gegen diese Erklärung erhob sich in der Paulskirche der Abgeordnete Bie- dermann, und forderte die Nationalversammlung auf, zufolge ihres häufig und laut genng ausgesprochenen Princips, daß die Feststellung der deutschen Verfassung ihr allein zukäme, jene Aeußerung des „Partikularismus" für null und nichtig zu erklären. Er entschuldigte übrigens die Regierung, soweit es ihre Absicht an¬ ging, und suchte den Grund ihres Verfahrens lediglich in der „Pedanterie" des sächsischen Volksstammes, der sich auch in Zeiten, wo es einen großen Entschluß gilt, von dem Buchstaben nicht loszumachen versteht. Sonderbarer Weise trat Herr Schaffrath als Anwald der Negierung auf, ein Mitglied jener Linken, welche früher alle Kräfte daran gesetzt hatte, jedes Lebenszeichen des Partikularismus, wie berechtigt er auch sein mochte, durch die Wucht der revolutionären Gewalt Grenzboten. ». Isi». 2ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/209>, abgerufen am 22.12.2024.