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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Wirthschaft. Ob es wohl zu Zeiten Ludwigs des Vielgeliebten so arg gewesen
sein mag?

Die Tugend wohnt in Paris jetzt im drei?iizme. Und so führte mich denn
mein würdiger Oberst hinauf in das höchste Gemach eines thurmhohen Hauses uno
lies t?rimcs Lourxvois un N-n uis. Hier, wo zierliche Grisetten, die letzten einer nun
ebenfalls bald gänzlich ausgerotteten Species, im reinlichsten Stübchen fröhlich und
wohlgemut!) von ihrer Hände Arbeit leben, hier ist noch das alte Paris und die
gemüthlichste Plauderei von den entschwundenen Seligkeiten des dimteau ni-ouxs
und des ?pro Nabille zaubern auch die alte schöne Zeit wieder herauf. Aber
Madame Pivot, die Längere nebenan, welche sprechen gehört hat, zerstört alle
Illusion, indem sie den Kopf zur Thüre hereinsteckt und fragt: KI" bien, Ur.
I-.vlvvbrv, "se ce or"i, Pie les ^n^Jais vivnnent nous rapportei' te Vieux "occ
Alfr. 'ö. "oll zmrsflluie?




Kleinstaatelei und thüringische Träume.



Kennt Ihr die Kleinstaatelei? -- Sie ist eine kleine verzwickte Weibs¬
person, welche in Thüringen und daherum wohnt, und mit einem großen Strick¬
beutel voll Thränen und "Vaterlandsliebe" händeringend umherläuft, und droht
und jammert, die Herren in Frankfurt wollten ihr das Aergste anthun, ihre harm¬
lose Unschuld umändern, ihre jungfräuliche Freiheit an den Bettfuß eines Mäch¬
tigen anschmieden u. s. w. -- Fragt in Coburg, in Gotha, in Meiningen, Greiz
und Schleiz nach, dort liebt man die kleine widerliche Dame recht zärtlich. --
Noch lebt sie, noch schreit sie und erfreut sich besserer Gesundheit als je. Unter-
deß zanken sich bereits die Herren von der Feder über die Inschrift ihres Leichen¬
steins, die einen wollen sie kurz und bündig "Hier liegt der Stein des Anstoßes,
in der Bahn der deutsche" Einheit," die andern wenigstens lang und salbungsreich,
es soll darin viel von Augusten und Mäcenen, -- wir haben sie bekanntlich oft zu
gleicher Zeit schockweise gehabt, während die ganze Römerwelt sich mit einem Exem¬
plar begnügen mußte -- etwas weniges von Schiller und Göthe, Weimar, Jena
und der deutschen Philosophie, zuletzt auch uoch und wie könnte das fehlen? von
dem alsbaldigen oder schon erfolgten Untergange der Gemüthlichkeit im lieben
Vaterland die Rede sein.

Indeß noch athmet die bewußte Dame, ja es ist ihr sogar wieder ein Schim¬
mer von Nöthe auf den runzeligen Wangen angeflogen. Möglich, daß das blos
eine Nachwirkung des Schreckens ist, der ihr durch die Glieder fuhr, als man sie
neulich in Frankfurt einmal lebendig begraben wollte. -- Doch die Angst war


Wirthschaft. Ob es wohl zu Zeiten Ludwigs des Vielgeliebten so arg gewesen
sein mag?

Die Tugend wohnt in Paris jetzt im drei?iizme. Und so führte mich denn
mein würdiger Oberst hinauf in das höchste Gemach eines thurmhohen Hauses uno
lies t?rimcs Lourxvois un N-n uis. Hier, wo zierliche Grisetten, die letzten einer nun
ebenfalls bald gänzlich ausgerotteten Species, im reinlichsten Stübchen fröhlich und
wohlgemut!) von ihrer Hände Arbeit leben, hier ist noch das alte Paris und die
gemüthlichste Plauderei von den entschwundenen Seligkeiten des dimteau ni-ouxs
und des ?pro Nabille zaubern auch die alte schöne Zeit wieder herauf. Aber
Madame Pivot, die Längere nebenan, welche sprechen gehört hat, zerstört alle
Illusion, indem sie den Kopf zur Thüre hereinsteckt und fragt: KI» bien, Ur.
I-.vlvvbrv, «se ce or»i, Pie les ^n^Jais vivnnent nous rapportei' te Vieux »occ
Alfr. 'ö. «oll zmrsflluie?




Kleinstaatelei und thüringische Träume.



Kennt Ihr die Kleinstaatelei? — Sie ist eine kleine verzwickte Weibs¬
person, welche in Thüringen und daherum wohnt, und mit einem großen Strick¬
beutel voll Thränen und „Vaterlandsliebe" händeringend umherläuft, und droht
und jammert, die Herren in Frankfurt wollten ihr das Aergste anthun, ihre harm¬
lose Unschuld umändern, ihre jungfräuliche Freiheit an den Bettfuß eines Mäch¬
tigen anschmieden u. s. w. — Fragt in Coburg, in Gotha, in Meiningen, Greiz
und Schleiz nach, dort liebt man die kleine widerliche Dame recht zärtlich. —
Noch lebt sie, noch schreit sie und erfreut sich besserer Gesundheit als je. Unter-
deß zanken sich bereits die Herren von der Feder über die Inschrift ihres Leichen¬
steins, die einen wollen sie kurz und bündig „Hier liegt der Stein des Anstoßes,
in der Bahn der deutsche» Einheit," die andern wenigstens lang und salbungsreich,
es soll darin viel von Augusten und Mäcenen, — wir haben sie bekanntlich oft zu
gleicher Zeit schockweise gehabt, während die ganze Römerwelt sich mit einem Exem¬
plar begnügen mußte — etwas weniges von Schiller und Göthe, Weimar, Jena
und der deutschen Philosophie, zuletzt auch uoch und wie könnte das fehlen? von
dem alsbaldigen oder schon erfolgten Untergange der Gemüthlichkeit im lieben
Vaterland die Rede sein.

Indeß noch athmet die bewußte Dame, ja es ist ihr sogar wieder ein Schim¬
mer von Nöthe auf den runzeligen Wangen angeflogen. Möglich, daß das blos
eine Nachwirkung des Schreckens ist, der ihr durch die Glieder fuhr, als man sie
neulich in Frankfurt einmal lebendig begraben wollte. — Doch die Angst war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/187>, abgerufen am 22.12.2024.