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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Neupolitifcher Katechismus.



Zur Einleitung die Definition einiger technischen Ausdrücke.

Friedrich Wilhelm IV. Pflegte zu sagen, er liebe eine gesinnungsvolle
Opposition. Unter Gesinnung versteht man den Vorrath von Vorstellungen,
den man in einem gewissen Alter aufgespeichert hat. Deu Inhalt derselben darf
man nicht weiter motiviren, er ist der Discussion entzogen und ein Zweifel an
demselben ist Sacrileg. Wessen Grundvorstellungen mit den meinigen ungefähr
übereinkommen, von dem sage ich, er habe eine gute Gesinnung; wer dagegen
Meinungen hegt, die mir nicht geläufig sind, der ist ein Uebelgesinnter. Eine
gefinnnngsvvlle Opposition heißt also diejenige, die von currenten Ideen ausgeht
und wer von diesen currenten Ideen nichts hält, der ist gesinnungslos. Das
preußische Gesetz erlaubte eine "wohlmeinende," d. h. gesinnungsvolle Besprechung
der öffentlichen Angelegenheiten, bestrafte dagegen "frechen" und "unehrerbietigem"
Tadel des Bestehenden mit so und so langem Gefängniß, bisweilen mit Verlust
der schwarz- und weißen Nativnalcocarde.

Der Unterschied zwischen wohlmeinenden und frechem Tadel läßt sich freilich
mehr fühlen als beschreiben, wenigstens würde es schwer sein, ihn allgemein zu
formuliren. Im einzelnen Falle geht es eher. Wenn z. B. Johann Jacobs
sagte: "durch deu einseitigen Entschluß des Königs wird das Recht des Volks
an eine repräsentative Verfassung nicht aufgehoben," so war das frecher und nn-
ehrerbietiger Tadel der bestehenden Landesgesetze, und Jacoby war ein Uebelge-
finnter, denn die officielle königlich preußische Gesinnung wurde durch solch brüskes
Wesen verletzt. Wen" es dagegen hieß: "Wir sind unbedingt von dem Recht,
der Redlichkeit und der Einsicht des Gouvernements überzeugt, wagen aber im
eignen Interesse der Krone die Frage, ob es nicht edelmüthiger und zweckmäßiger
wäre, die Ansprüche des Volks auf eine repräsentative Verfassung als ein Recht
anzuerkennen," so war das eine wohlmeinende und gefinnuugsvolle Opposition.

Die Opposition selbst hatte statt "gesinnnngsvoll" ein anderes Stichwort,
das schon durch seine Derbheit den demokratischen Ursprung verrieth: "gesümnngs-
tüchtig." Namentlich Königsberg wurde gern die "gesinnungstüchtige" Stadt ge¬
nannt, weil in ihr die Dogmen der Partei am massenhaftesten aufgespeichert waren.


Grenzbotc". in. zzz,
Neupolitifcher Katechismus.



Zur Einleitung die Definition einiger technischen Ausdrücke.

Friedrich Wilhelm IV. Pflegte zu sagen, er liebe eine gesinnungsvolle
Opposition. Unter Gesinnung versteht man den Vorrath von Vorstellungen,
den man in einem gewissen Alter aufgespeichert hat. Deu Inhalt derselben darf
man nicht weiter motiviren, er ist der Discussion entzogen und ein Zweifel an
demselben ist Sacrileg. Wessen Grundvorstellungen mit den meinigen ungefähr
übereinkommen, von dem sage ich, er habe eine gute Gesinnung; wer dagegen
Meinungen hegt, die mir nicht geläufig sind, der ist ein Uebelgesinnter. Eine
gefinnnngsvvlle Opposition heißt also diejenige, die von currenten Ideen ausgeht
und wer von diesen currenten Ideen nichts hält, der ist gesinnungslos. Das
preußische Gesetz erlaubte eine „wohlmeinende," d. h. gesinnungsvolle Besprechung
der öffentlichen Angelegenheiten, bestrafte dagegen „frechen" und „unehrerbietigem"
Tadel des Bestehenden mit so und so langem Gefängniß, bisweilen mit Verlust
der schwarz- und weißen Nativnalcocarde.

Der Unterschied zwischen wohlmeinenden und frechem Tadel läßt sich freilich
mehr fühlen als beschreiben, wenigstens würde es schwer sein, ihn allgemein zu
formuliren. Im einzelnen Falle geht es eher. Wenn z. B. Johann Jacobs
sagte: „durch deu einseitigen Entschluß des Königs wird das Recht des Volks
an eine repräsentative Verfassung nicht aufgehoben," so war das frecher und nn-
ehrerbietiger Tadel der bestehenden Landesgesetze, und Jacoby war ein Uebelge-
finnter, denn die officielle königlich preußische Gesinnung wurde durch solch brüskes
Wesen verletzt. Wen» es dagegen hieß: „Wir sind unbedingt von dem Recht,
der Redlichkeit und der Einsicht des Gouvernements überzeugt, wagen aber im
eignen Interesse der Krone die Frage, ob es nicht edelmüthiger und zweckmäßiger
wäre, die Ansprüche des Volks auf eine repräsentative Verfassung als ein Recht
anzuerkennen," so war das eine wohlmeinende und gefinnuugsvolle Opposition.

Die Opposition selbst hatte statt „gesinnnngsvoll" ein anderes Stichwort,
das schon durch seine Derbheit den demokratischen Ursprung verrieth: „gesümnngs-
tüchtig." Namentlich Königsberg wurde gern die „gesinnungstüchtige" Stadt ge¬
nannt, weil in ihr die Dogmen der Partei am massenhaftesten aufgespeichert waren.


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[0269] Neupolitifcher Katechismus. Zur Einleitung die Definition einiger technischen Ausdrücke. Friedrich Wilhelm IV. Pflegte zu sagen, er liebe eine gesinnungsvolle Opposition. Unter Gesinnung versteht man den Vorrath von Vorstellungen, den man in einem gewissen Alter aufgespeichert hat. Deu Inhalt derselben darf man nicht weiter motiviren, er ist der Discussion entzogen und ein Zweifel an demselben ist Sacrileg. Wessen Grundvorstellungen mit den meinigen ungefähr übereinkommen, von dem sage ich, er habe eine gute Gesinnung; wer dagegen Meinungen hegt, die mir nicht geläufig sind, der ist ein Uebelgesinnter. Eine gefinnnngsvvlle Opposition heißt also diejenige, die von currenten Ideen ausgeht und wer von diesen currenten Ideen nichts hält, der ist gesinnungslos. Das preußische Gesetz erlaubte eine „wohlmeinende," d. h. gesinnungsvolle Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten, bestrafte dagegen „frechen" und „unehrerbietigem" Tadel des Bestehenden mit so und so langem Gefängniß, bisweilen mit Verlust der schwarz- und weißen Nativnalcocarde. Der Unterschied zwischen wohlmeinenden und frechem Tadel läßt sich freilich mehr fühlen als beschreiben, wenigstens würde es schwer sein, ihn allgemein zu formuliren. Im einzelnen Falle geht es eher. Wenn z. B. Johann Jacobs sagte: „durch deu einseitigen Entschluß des Königs wird das Recht des Volks an eine repräsentative Verfassung nicht aufgehoben," so war das frecher und nn- ehrerbietiger Tadel der bestehenden Landesgesetze, und Jacoby war ein Uebelge- finnter, denn die officielle königlich preußische Gesinnung wurde durch solch brüskes Wesen verletzt. Wen» es dagegen hieß: „Wir sind unbedingt von dem Recht, der Redlichkeit und der Einsicht des Gouvernements überzeugt, wagen aber im eignen Interesse der Krone die Frage, ob es nicht edelmüthiger und zweckmäßiger wäre, die Ansprüche des Volks auf eine repräsentative Verfassung als ein Recht anzuerkennen," so war das eine wohlmeinende und gefinnuugsvolle Opposition. Die Opposition selbst hatte statt „gesinnnngsvoll" ein anderes Stichwort, das schon durch seine Derbheit den demokratischen Ursprung verrieth: „gesümnngs- tüchtig." Namentlich Königsberg wurde gern die „gesinnungstüchtige" Stadt ge¬ nannt, weil in ihr die Dogmen der Partei am massenhaftesten aufgespeichert waren. Grenzbotc». in. zzz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/269>, abgerufen am 03.07.2024.