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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Die sporadischen Zuckungen revolutionärer Zustände, von denen wir fortwährend
in den Zeitungen lesen, haben uns in den letzten Tagen unmittelbar berührt. Ich
erzähle Ihnen diese Vorgänge, weil ich glaube, daß eine richtige Darstellung derselben
im Interesse der Partei der Ordnung liegt. 1) Damit man sich von den Gefahren
der thüringischen Verhältnisse keine übertriebene Vorstellung mache; 2) um den
Heuchlern der Gesetzlichkeit entgegen zu treten, welche auch bei dieser Gelegenheit
behaupten werden, die militärischen Maßregeln des Reichsministeriums seien un¬
nöthig und willkürlich; 3) habe ich auch den Gesichtspunkt, daß die Grenzboten
unter Ihren Lesern ängstliche Väter zählen, die in dem Fall sind, ihre Söhne
nächstes Semester auf die Universität zu senden. Diese möchte ich beruhigen, da¬
mit sie sich nicht etwa veranlaßt fühlen, ihre Söhne von dem Besuche unserer mit
Recht beliebten Universität abzuhalten.

Das liebe Thüringen steht in dem Rufe, nächst Baden und Altenburg das
am meisten unterwühlte Laud zu sein. Das Hauptquartier der Wühler war unser
Jena, als die Residenz ihrer Führer, eines Dr. Lafaurie und zweier cui nun,-
mir Pentium, Beide Kandidaten der Theologie. Lafaurie, geborner Hamburger,
von französischen Eltern stammend, communistischer Literat, ließ sich vor zwei Jah¬
ren nach mancherlei Kreuz - und Querzügen, auch durch Frankreich in Jena nieder.
Ein höchst einseitiges Naturell, abstracten dogmatischen Vorstellungen unbedingt
verfallen. Die einzige Idee, die ihn früher mit der Rohheit des blindesten Dog¬
matismus beherrschte, war die sociale. Sie äußerte sich bei ihm, wie bei den
meisten Geistern dieser Art, blos negativ als Haß gegen die Wirklichkeit. Diese
sterile, einer positiven Untersuchung und Analyse überall unfähige Negation nannte
er Kritik. Er wollte keinen Staat, sondern etwas Fnnkelncigelnenes; denn der
Staat sei nur ein Mittel zur Herrschaft einer unterdrückenden Klasse über eine unter¬
drückte. Der ganze Inhalt dieser Kritik war das Wort der fliegenden Blätter:
"'s muß annerscht währe." Von einer organisirenden Idee keine Spur. Seit der
Revolution wurde Lafaurie, wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen, Republi¬
kaner. Die Republik ist zwar auch ein Staat, aber das war nicht zu vermeiden,
wenn man nicht völlig überflüssig werden wollte. Er machte nun Propaganda für
die Republik zunächst durch Stiftung eines sogenannten demokratischen Vereins in


Sr"nz""den. >V. 11
Aus Jena



Die sporadischen Zuckungen revolutionärer Zustände, von denen wir fortwährend
in den Zeitungen lesen, haben uns in den letzten Tagen unmittelbar berührt. Ich
erzähle Ihnen diese Vorgänge, weil ich glaube, daß eine richtige Darstellung derselben
im Interesse der Partei der Ordnung liegt. 1) Damit man sich von den Gefahren
der thüringischen Verhältnisse keine übertriebene Vorstellung mache; 2) um den
Heuchlern der Gesetzlichkeit entgegen zu treten, welche auch bei dieser Gelegenheit
behaupten werden, die militärischen Maßregeln des Reichsministeriums seien un¬
nöthig und willkürlich; 3) habe ich auch den Gesichtspunkt, daß die Grenzboten
unter Ihren Lesern ängstliche Väter zählen, die in dem Fall sind, ihre Söhne
nächstes Semester auf die Universität zu senden. Diese möchte ich beruhigen, da¬
mit sie sich nicht etwa veranlaßt fühlen, ihre Söhne von dem Besuche unserer mit
Recht beliebten Universität abzuhalten.

Das liebe Thüringen steht in dem Rufe, nächst Baden und Altenburg das
am meisten unterwühlte Laud zu sein. Das Hauptquartier der Wühler war unser
Jena, als die Residenz ihrer Führer, eines Dr. Lafaurie und zweier cui nun,-
mir Pentium, Beide Kandidaten der Theologie. Lafaurie, geborner Hamburger,
von französischen Eltern stammend, communistischer Literat, ließ sich vor zwei Jah¬
ren nach mancherlei Kreuz - und Querzügen, auch durch Frankreich in Jena nieder.
Ein höchst einseitiges Naturell, abstracten dogmatischen Vorstellungen unbedingt
verfallen. Die einzige Idee, die ihn früher mit der Rohheit des blindesten Dog¬
matismus beherrschte, war die sociale. Sie äußerte sich bei ihm, wie bei den
meisten Geistern dieser Art, blos negativ als Haß gegen die Wirklichkeit. Diese
sterile, einer positiven Untersuchung und Analyse überall unfähige Negation nannte
er Kritik. Er wollte keinen Staat, sondern etwas Fnnkelncigelnenes; denn der
Staat sei nur ein Mittel zur Herrschaft einer unterdrückenden Klasse über eine unter¬
drückte. Der ganze Inhalt dieser Kritik war das Wort der fliegenden Blätter:
„'s muß annerscht währe." Von einer organisirenden Idee keine Spur. Seit der
Revolution wurde Lafaurie, wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen, Republi¬
kaner. Die Republik ist zwar auch ein Staat, aber das war nicht zu vermeiden,
wenn man nicht völlig überflüssig werden wollte. Er machte nun Propaganda für
die Republik zunächst durch Stiftung eines sogenannten demokratischen Vereins in


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[0089] Aus Jena Die sporadischen Zuckungen revolutionärer Zustände, von denen wir fortwährend in den Zeitungen lesen, haben uns in den letzten Tagen unmittelbar berührt. Ich erzähle Ihnen diese Vorgänge, weil ich glaube, daß eine richtige Darstellung derselben im Interesse der Partei der Ordnung liegt. 1) Damit man sich von den Gefahren der thüringischen Verhältnisse keine übertriebene Vorstellung mache; 2) um den Heuchlern der Gesetzlichkeit entgegen zu treten, welche auch bei dieser Gelegenheit behaupten werden, die militärischen Maßregeln des Reichsministeriums seien un¬ nöthig und willkürlich; 3) habe ich auch den Gesichtspunkt, daß die Grenzboten unter Ihren Lesern ängstliche Väter zählen, die in dem Fall sind, ihre Söhne nächstes Semester auf die Universität zu senden. Diese möchte ich beruhigen, da¬ mit sie sich nicht etwa veranlaßt fühlen, ihre Söhne von dem Besuche unserer mit Recht beliebten Universität abzuhalten. Das liebe Thüringen steht in dem Rufe, nächst Baden und Altenburg das am meisten unterwühlte Laud zu sein. Das Hauptquartier der Wühler war unser Jena, als die Residenz ihrer Führer, eines Dr. Lafaurie und zweier cui nun,- mir Pentium, Beide Kandidaten der Theologie. Lafaurie, geborner Hamburger, von französischen Eltern stammend, communistischer Literat, ließ sich vor zwei Jah¬ ren nach mancherlei Kreuz - und Querzügen, auch durch Frankreich in Jena nieder. Ein höchst einseitiges Naturell, abstracten dogmatischen Vorstellungen unbedingt verfallen. Die einzige Idee, die ihn früher mit der Rohheit des blindesten Dog¬ matismus beherrschte, war die sociale. Sie äußerte sich bei ihm, wie bei den meisten Geistern dieser Art, blos negativ als Haß gegen die Wirklichkeit. Diese sterile, einer positiven Untersuchung und Analyse überall unfähige Negation nannte er Kritik. Er wollte keinen Staat, sondern etwas Fnnkelncigelnenes; denn der Staat sei nur ein Mittel zur Herrschaft einer unterdrückenden Klasse über eine unter¬ drückte. Der ganze Inhalt dieser Kritik war das Wort der fliegenden Blätter: „'s muß annerscht währe." Von einer organisirenden Idee keine Spur. Seit der Revolution wurde Lafaurie, wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen, Republi¬ kaner. Die Republik ist zwar auch ein Staat, aber das war nicht zu vermeiden, wenn man nicht völlig überflüssig werden wollte. Er machte nun Propaganda für die Republik zunächst durch Stiftung eines sogenannten demokratischen Vereins in Sr«nz»»den. >V. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/89>, abgerufen am 24.12.2024.