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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Brust. Und horchen Sie nur, da singt schon der Nachtwächter: Hört, ihr
Herren und laßt euch sagen, die Glocke hat zwölf geschlagen, bewahrt das Feuer
und das Licht, daß dem Staat kein Schaden geschieht, und lobet Gott den
Herrn! -- Gute Nacht!




Der Ministerwechsel in Frankfurt.
Vom Reich.



Wenn man die Verhandlungen der Nationalversammlung verfolgt, so gewinnt
es zuweilen den Anschein, als bewege sie sich in einem gelinden Taumel; heute
scheint sie einen klaren Blick in ihre Lage gewonnen zu haben, morgen sichert sie
wieder in Voraussetzungen, deren Unmöglichkeit sich längst erwiesen hat. An
Haltung, Regelmäßigkeit und was sonst die Zierde eines ständischen Körpers in
gewöhnlichen Verhältnissen wäre, hat sie außerordentlich gewonnen, sie kann darin
geradezu als Muster aufgestellt werden; was aber ihre unmittelbare Wirksamkeit
betrifft, so schwindet ihr mit jedem Tage mehr der Boden uuter den Füßen. Der
Austritt Schmerling's aus dem Ministerium und seine Ersetzung durch Hein¬
rich von Gagern lassen hoffen, daß, wie die Centralgewalt, so auch die Ver¬
sammlung, endlich den Muth fassen werden, zu wissen was sie wollen.

Die sogenannte östreichische, eigentlich aber bairische Partei, sucht zwar in
ihren Organen zu verbreiten, jener Ministerwechsel habe weiter nichts auf sich,
er sei nur der Schicklichkeit wegen geschehen, weil es nicht wohl angehe, daß Herr
von Schmerling, selber ein Oestreicher, die Verhandlungen mit der östreichischen
Regierung leite über die Bedingungen, unter denen sie sich zum Eintritt in den
neuen deutschen Föderativftaat verstehen wolle. Da aber die Herrn v. Andrian
und v. Würth, die gleichzeitig ihre Stellen niedergelegt haben, bei diesen Un¬
terhandlungen sich in keiner Weise betheiligen durften, so scheint doch eine wesentliche
Umgestaltung in dem politischen System, wenigstens Oestreich gegeuüber, vorzuliegen.

Wir freuen uns dieser Umgestaltung, obgleich wir in keiner Weise in die
Vorwürfe einstimmen können, die man von verschiedenen Seiten gegen die politische
Wirksamkeit des Herrn v. Schmerling erhoben hat. Unter allen Reichsministern
hatte er entschieden am meisten staatsmännische Haltung. Freilich hatte von ihrem
Standpunkt die Linke vollkommen Recht, gegen ihn aufgebracht zu sein, denn er
war ihr consequcntester Gegner. Wenn wir ihn in seiner Thätigkeit als Ver¬
trauensmann, als Bundespräfldialgesandten und als Reichsminister verfolgen, so
erkennen wir überall die Herrschaft eines leitenden Gedankens. Ueberall hat er
-- und es fällt uns nicht ein, ihm das zum Vorwurf zu machen -- im Interesse
Oestreichs gehandelt und im Geist der alten östreichischen Politik: nicht der roman-


der Brust. Und horchen Sie nur, da singt schon der Nachtwächter: Hört, ihr
Herren und laßt euch sagen, die Glocke hat zwölf geschlagen, bewahrt das Feuer
und das Licht, daß dem Staat kein Schaden geschieht, und lobet Gott den
Herrn! — Gute Nacht!




Der Ministerwechsel in Frankfurt.
Vom Reich.



Wenn man die Verhandlungen der Nationalversammlung verfolgt, so gewinnt
es zuweilen den Anschein, als bewege sie sich in einem gelinden Taumel; heute
scheint sie einen klaren Blick in ihre Lage gewonnen zu haben, morgen sichert sie
wieder in Voraussetzungen, deren Unmöglichkeit sich längst erwiesen hat. An
Haltung, Regelmäßigkeit und was sonst die Zierde eines ständischen Körpers in
gewöhnlichen Verhältnissen wäre, hat sie außerordentlich gewonnen, sie kann darin
geradezu als Muster aufgestellt werden; was aber ihre unmittelbare Wirksamkeit
betrifft, so schwindet ihr mit jedem Tage mehr der Boden uuter den Füßen. Der
Austritt Schmerling's aus dem Ministerium und seine Ersetzung durch Hein¬
rich von Gagern lassen hoffen, daß, wie die Centralgewalt, so auch die Ver¬
sammlung, endlich den Muth fassen werden, zu wissen was sie wollen.

Die sogenannte östreichische, eigentlich aber bairische Partei, sucht zwar in
ihren Organen zu verbreiten, jener Ministerwechsel habe weiter nichts auf sich,
er sei nur der Schicklichkeit wegen geschehen, weil es nicht wohl angehe, daß Herr
von Schmerling, selber ein Oestreicher, die Verhandlungen mit der östreichischen
Regierung leite über die Bedingungen, unter denen sie sich zum Eintritt in den
neuen deutschen Föderativftaat verstehen wolle. Da aber die Herrn v. Andrian
und v. Würth, die gleichzeitig ihre Stellen niedergelegt haben, bei diesen Un¬
terhandlungen sich in keiner Weise betheiligen durften, so scheint doch eine wesentliche
Umgestaltung in dem politischen System, wenigstens Oestreich gegeuüber, vorzuliegen.

Wir freuen uns dieser Umgestaltung, obgleich wir in keiner Weise in die
Vorwürfe einstimmen können, die man von verschiedenen Seiten gegen die politische
Wirksamkeit des Herrn v. Schmerling erhoben hat. Unter allen Reichsministern
hatte er entschieden am meisten staatsmännische Haltung. Freilich hatte von ihrem
Standpunkt die Linke vollkommen Recht, gegen ihn aufgebracht zu sein, denn er
war ihr consequcntester Gegner. Wenn wir ihn in seiner Thätigkeit als Ver¬
trauensmann, als Bundespräfldialgesandten und als Reichsminister verfolgen, so
erkennen wir überall die Herrschaft eines leitenden Gedankens. Ueberall hat er
— und es fällt uns nicht ein, ihm das zum Vorwurf zu machen — im Interesse
Oestreichs gehandelt und im Geist der alten östreichischen Politik: nicht der roman-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/494>, abgerufen am 22.07.2024.