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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Wiener (Sindrücke



Ein lauter Schrei weckte mich ans dem unerquicklichen Schlummer, deu eine
lange Nachtfahrt aus der Nordbahn mit bleiernen Gewicht auf meine Augenlider
gesenkt hatte. Noch wirr von phantastischen Traumbildern fuhr ich empor. "Was
gibt es?" frug ich und bemerkte zugleich, daß der Zug anhielt, daß zwanzig
Stimmen zugleich mit mir diese Frage ausriefen und die Passagiere mit ängstlicher
Neugier sich aus den Wagenfenstern lehnten.

"Revolution gibt es!" lachten von draußen herein vorübereilende National¬
garten und Studenten -- und: "Ausgestiegen, wir können nicht weiter fahren!"
befahlen in besorgtem Ton die Coudnctenre.

In einem Nu befanden sämmtliche Reisende sich ans dem ebenen Boden, in
ängstlichen Gruppe" beriethen sie miteinander, lauschten in die Ferne. Ich aber,
meine fahrende Habe dein schützenden Genius der Eisenbahnen keck überlassend,
eilte so sehr ich konnte, vorwärts. Es war ja "Revolution" und so 'was darf
man nicht versäumen. Ich prieß mein Geschick, das mich an den Thoren Wiens
einem Krawall in die Arme warf. Mehr, wie das letztere, schien die beabsichtigte
"Revolution" nicht werden zu wonen. Zwar war der Doppeldrath des Telegra¬
phen zerhackt und zerrissen, zwar hinderten ausgehobene und quer über deu Damm
geworfene Schienen die Benutzung der letzten Bahnstrecke, aber die auf derselben
vertheilten Wache" versicherten mich, es sei uicht so gefährlich als es aussehe.
Ein uach Ungar" unter Jellachich's Fahnen bestimmtes deutsches Grenadierbataillon
weigere sich, zu ziehen und die akademische Legion im Verein mit den National¬
garten unterstütze dessen Widersetzlichkeit. DaS sei Alles und das Ganze werde
bald vorüber sein, natürlich mit dem Erfolg, den das souveräne Volk wünsche.

Ein rascher Gang M einer halben Meile brachte mich bis zur Eisenbahn¬
brücke und von da ans konnte man bequem die ganze Sachlage überschauen. Aus
der nicht weit oberhalb stehenden Taborbrücke stand das aufrührerische Grenadier¬
bataillon, schwenkte zuweilen die colossalen Bärenmützen und brüllte dem bewaff¬
neten Volk, das diesseits, also auf dem linken Donauufer, die Brücke sperrte, ein
Harnes zu; jenseits stand das Linienregiment Nassau, welches commandirt war,
um die Rebellen zur Raison zu bringen und die Ordnung wieder herzustellen.


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Wiener (Sindrücke



Ein lauter Schrei weckte mich ans dem unerquicklichen Schlummer, deu eine
lange Nachtfahrt aus der Nordbahn mit bleiernen Gewicht auf meine Augenlider
gesenkt hatte. Noch wirr von phantastischen Traumbildern fuhr ich empor. „Was
gibt es?" frug ich und bemerkte zugleich, daß der Zug anhielt, daß zwanzig
Stimmen zugleich mit mir diese Frage ausriefen und die Passagiere mit ängstlicher
Neugier sich aus den Wagenfenstern lehnten.

„Revolution gibt es!" lachten von draußen herein vorübereilende National¬
garten und Studenten — und: „Ausgestiegen, wir können nicht weiter fahren!"
befahlen in besorgtem Ton die Coudnctenre.

In einem Nu befanden sämmtliche Reisende sich ans dem ebenen Boden, in
ängstlichen Gruppe« beriethen sie miteinander, lauschten in die Ferne. Ich aber,
meine fahrende Habe dein schützenden Genius der Eisenbahnen keck überlassend,
eilte so sehr ich konnte, vorwärts. Es war ja „Revolution" und so 'was darf
man nicht versäumen. Ich prieß mein Geschick, das mich an den Thoren Wiens
einem Krawall in die Arme warf. Mehr, wie das letztere, schien die beabsichtigte
„Revolution" nicht werden zu wonen. Zwar war der Doppeldrath des Telegra¬
phen zerhackt und zerrissen, zwar hinderten ausgehobene und quer über deu Damm
geworfene Schienen die Benutzung der letzten Bahnstrecke, aber die auf derselben
vertheilten Wache» versicherten mich, es sei uicht so gefährlich als es aussehe.
Ein uach Ungar» unter Jellachich's Fahnen bestimmtes deutsches Grenadierbataillon
weigere sich, zu ziehen und die akademische Legion im Verein mit den National¬
garten unterstütze dessen Widersetzlichkeit. DaS sei Alles und das Ganze werde
bald vorüber sein, natürlich mit dem Erfolg, den das souveräne Volk wünsche.

Ein rascher Gang M einer halben Meile brachte mich bis zur Eisenbahn¬
brücke und von da ans konnte man bequem die ganze Sachlage überschauen. Aus
der nicht weit oberhalb stehenden Taborbrücke stand das aufrührerische Grenadier¬
bataillon, schwenkte zuweilen die colossalen Bärenmützen und brüllte dem bewaff¬
neten Volk, das diesseits, also auf dem linken Donauufer, die Brücke sperrte, ein
Harnes zu; jenseits stand das Linienregiment Nassau, welches commandirt war,
um die Rebellen zur Raison zu bringen und die Ordnung wieder herzustellen.


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[0137] Wiener (Sindrücke Ein lauter Schrei weckte mich ans dem unerquicklichen Schlummer, deu eine lange Nachtfahrt aus der Nordbahn mit bleiernen Gewicht auf meine Augenlider gesenkt hatte. Noch wirr von phantastischen Traumbildern fuhr ich empor. „Was gibt es?" frug ich und bemerkte zugleich, daß der Zug anhielt, daß zwanzig Stimmen zugleich mit mir diese Frage ausriefen und die Passagiere mit ängstlicher Neugier sich aus den Wagenfenstern lehnten. „Revolution gibt es!" lachten von draußen herein vorübereilende National¬ garten und Studenten — und: „Ausgestiegen, wir können nicht weiter fahren!" befahlen in besorgtem Ton die Coudnctenre. In einem Nu befanden sämmtliche Reisende sich ans dem ebenen Boden, in ängstlichen Gruppe« beriethen sie miteinander, lauschten in die Ferne. Ich aber, meine fahrende Habe dein schützenden Genius der Eisenbahnen keck überlassend, eilte so sehr ich konnte, vorwärts. Es war ja „Revolution" und so 'was darf man nicht versäumen. Ich prieß mein Geschick, das mich an den Thoren Wiens einem Krawall in die Arme warf. Mehr, wie das letztere, schien die beabsichtigte „Revolution" nicht werden zu wonen. Zwar war der Doppeldrath des Telegra¬ phen zerhackt und zerrissen, zwar hinderten ausgehobene und quer über deu Damm geworfene Schienen die Benutzung der letzten Bahnstrecke, aber die auf derselben vertheilten Wache» versicherten mich, es sei uicht so gefährlich als es aussehe. Ein uach Ungar» unter Jellachich's Fahnen bestimmtes deutsches Grenadierbataillon weigere sich, zu ziehen und die akademische Legion im Verein mit den National¬ garten unterstütze dessen Widersetzlichkeit. DaS sei Alles und das Ganze werde bald vorüber sein, natürlich mit dem Erfolg, den das souveräne Volk wünsche. Ein rascher Gang M einer halben Meile brachte mich bis zur Eisenbahn¬ brücke und von da ans konnte man bequem die ganze Sachlage überschauen. Aus der nicht weit oberhalb stehenden Taborbrücke stand das aufrührerische Grenadier¬ bataillon, schwenkte zuweilen die colossalen Bärenmützen und brüllte dem bewaff¬ neten Volk, das diesseits, also auf dem linken Donauufer, die Brücke sperrte, ein Harnes zu; jenseits stand das Linienregiment Nassau, welches commandirt war, um die Rebellen zur Raison zu bringen und die Ordnung wieder herzustellen. Sxenzlwten. lo. l»4». 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/137>, abgerufen am 24.12.2024.