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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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-- In Posen hat das zweideutige oder mißverstandene Versprechen einer Reorga¬
nisation eben so viel Unheil angerichtet, wie in Italien die Wiener Pacification.
Ein Bürgerkrieg ist dort entbrannt, in welchem die Polen, vielleicht durch Bcamtcn-
mißgriffe und Soldatcnwillkür zuerst gereizt, so unmenschlich gegen Deutsche und Juden
hausten, daß die deutschen Sympathien ihnen verscherzt sind. Aber die polnische Frage
ist damit nicht gelöst; sie wird noch lange ein Dorn in unserer Seite bleiben, wenn
wir uns nicht zu einem kühnen Wurf entschließen. Eine große diplomatische Partei
scheint die Vermeidung eines Krieges mit Rußland für die Hauptaufgabe Deutschlands
zu halten, ohne bedenken oder aussprechen zu wollen, daß wir dann auch die
bisherige Politik gegen Polen hartnäckig fortsetzen müßten. Ist dies noch möglich?
Haben wir dazu Spielberge, Mnnkacze und Kufsteins genug? Oder können wir unsern
polnischen Besitz herausgeben, ohne die Feindschaft Rußlands herauszufordern? Rußland,
meinen wir, ist schon jetzt herausgefordert und erklärt den Krieg nur uicht, weil es
noch lauert und rüstet- Rußland war der Nebenbuhler und Erbschleicher selbst der
absolutistischen Großmächte, es ist der natürliche und principielle Feind eines freien
Deutschland und wird es bleiben. Es ist wohl eine Phrase, daß wir Polen als Bollwerk
gegen diesen Feind brauchen, um nicht unterzugehen, aber unklug wäre es, die polni¬
sche Barrikade von Nußland besetzen zu lassen und einen verstockten Gegner durch einen
rachsüchtigen Vasallen zu verstärken. Die Ucbcrklugen haben gegen Polen schon ein¬
gewendet, daß es, einmal wieder hergestellt, sich mit dem slavischen Nachbar gegen uns
verbünden könnte, ohne zu berechnen, daß es, nicht wieder hergestellt, mit dem Mos¬
kowiter, früher oder später, sich vereinen müßte. .. . Ohne einen Krieg mit Ru߬
land werden wir Polens nur zu unserem Schaden ledig und doch ist uns, aus andern
Gründen, jener Krieg gewiß. Es handelt sich nur darum, ob wir oder der Russe
die Wahl der günstigsten Stunde haben sollen. Fast möchten wir behaupten, daß uns
nur die Wahl zwischen einem Kampf mit der Republik oder den Kosaken bleibt. Su¬
chen wir, im Vertrauen auf altdiplomatischc Künste, zu laviren, so fallen uns beide
Kriege zugleich auf den Nacken. Sobald wir im Westen angegriffen sind, wird uns
der Russe so lange im Rücken beschäftigen, sei's durch offenen Angriff, sei's durch pan-
slavistische Wühlereien, bis wir am Ende wieder seine Hülfe gegen Frankreich brauchen.
Es hat also die doppelte Aussicht, uns als Feind, wie als Freund eine Grube zu graben.
Ein gesundes, einiges Deutschland kann freilich dem Osten, wie dem Westen zugleich
trotzen -- wir sind aber noch lange nicht einig und gesund. Gegen den thonfüßigen
Koloß allein dagegen sind wir stark genug, ja wir würden an ihm erst recht erstarken
und vielleicht gesunder werden, als den Diplomaten lieb ist.




M^^^ Sämmtliche geehrte Korrespondenten der Grenzvoten werden dringend
ersucht, uns künstig ihre Berichte spätestens Mittwoch Morgens zukommen zu
lassen. D. Red.




Verlag von Fr. Ludw. Herdig. -- Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

— In Posen hat das zweideutige oder mißverstandene Versprechen einer Reorga¬
nisation eben so viel Unheil angerichtet, wie in Italien die Wiener Pacification.
Ein Bürgerkrieg ist dort entbrannt, in welchem die Polen, vielleicht durch Bcamtcn-
mißgriffe und Soldatcnwillkür zuerst gereizt, so unmenschlich gegen Deutsche und Juden
hausten, daß die deutschen Sympathien ihnen verscherzt sind. Aber die polnische Frage
ist damit nicht gelöst; sie wird noch lange ein Dorn in unserer Seite bleiben, wenn
wir uns nicht zu einem kühnen Wurf entschließen. Eine große diplomatische Partei
scheint die Vermeidung eines Krieges mit Rußland für die Hauptaufgabe Deutschlands
zu halten, ohne bedenken oder aussprechen zu wollen, daß wir dann auch die
bisherige Politik gegen Polen hartnäckig fortsetzen müßten. Ist dies noch möglich?
Haben wir dazu Spielberge, Mnnkacze und Kufsteins genug? Oder können wir unsern
polnischen Besitz herausgeben, ohne die Feindschaft Rußlands herauszufordern? Rußland,
meinen wir, ist schon jetzt herausgefordert und erklärt den Krieg nur uicht, weil es
noch lauert und rüstet- Rußland war der Nebenbuhler und Erbschleicher selbst der
absolutistischen Großmächte, es ist der natürliche und principielle Feind eines freien
Deutschland und wird es bleiben. Es ist wohl eine Phrase, daß wir Polen als Bollwerk
gegen diesen Feind brauchen, um nicht unterzugehen, aber unklug wäre es, die polni¬
sche Barrikade von Nußland besetzen zu lassen und einen verstockten Gegner durch einen
rachsüchtigen Vasallen zu verstärken. Die Ucbcrklugen haben gegen Polen schon ein¬
gewendet, daß es, einmal wieder hergestellt, sich mit dem slavischen Nachbar gegen uns
verbünden könnte, ohne zu berechnen, daß es, nicht wieder hergestellt, mit dem Mos¬
kowiter, früher oder später, sich vereinen müßte. .. . Ohne einen Krieg mit Ru߬
land werden wir Polens nur zu unserem Schaden ledig und doch ist uns, aus andern
Gründen, jener Krieg gewiß. Es handelt sich nur darum, ob wir oder der Russe
die Wahl der günstigsten Stunde haben sollen. Fast möchten wir behaupten, daß uns
nur die Wahl zwischen einem Kampf mit der Republik oder den Kosaken bleibt. Su¬
chen wir, im Vertrauen auf altdiplomatischc Künste, zu laviren, so fallen uns beide
Kriege zugleich auf den Nacken. Sobald wir im Westen angegriffen sind, wird uns
der Russe so lange im Rücken beschäftigen, sei's durch offenen Angriff, sei's durch pan-
slavistische Wühlereien, bis wir am Ende wieder seine Hülfe gegen Frankreich brauchen.
Es hat also die doppelte Aussicht, uns als Feind, wie als Freund eine Grube zu graben.
Ein gesundes, einiges Deutschland kann freilich dem Osten, wie dem Westen zugleich
trotzen — wir sind aber noch lange nicht einig und gesund. Gegen den thonfüßigen
Koloß allein dagegen sind wir stark genug, ja wir würden an ihm erst recht erstarken
und vielleicht gesunder werden, als den Diplomaten lieb ist.




M^^^ Sämmtliche geehrte Korrespondenten der Grenzvoten werden dringend
ersucht, uns künstig ihre Berichte spätestens Mittwoch Morgens zukommen zu
lassen. D. Red.




Verlag von Fr. Ludw. Herdig. — Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0126] — In Posen hat das zweideutige oder mißverstandene Versprechen einer Reorga¬ nisation eben so viel Unheil angerichtet, wie in Italien die Wiener Pacification. Ein Bürgerkrieg ist dort entbrannt, in welchem die Polen, vielleicht durch Bcamtcn- mißgriffe und Soldatcnwillkür zuerst gereizt, so unmenschlich gegen Deutsche und Juden hausten, daß die deutschen Sympathien ihnen verscherzt sind. Aber die polnische Frage ist damit nicht gelöst; sie wird noch lange ein Dorn in unserer Seite bleiben, wenn wir uns nicht zu einem kühnen Wurf entschließen. Eine große diplomatische Partei scheint die Vermeidung eines Krieges mit Rußland für die Hauptaufgabe Deutschlands zu halten, ohne bedenken oder aussprechen zu wollen, daß wir dann auch die bisherige Politik gegen Polen hartnäckig fortsetzen müßten. Ist dies noch möglich? Haben wir dazu Spielberge, Mnnkacze und Kufsteins genug? Oder können wir unsern polnischen Besitz herausgeben, ohne die Feindschaft Rußlands herauszufordern? Rußland, meinen wir, ist schon jetzt herausgefordert und erklärt den Krieg nur uicht, weil es noch lauert und rüstet- Rußland war der Nebenbuhler und Erbschleicher selbst der absolutistischen Großmächte, es ist der natürliche und principielle Feind eines freien Deutschland und wird es bleiben. Es ist wohl eine Phrase, daß wir Polen als Bollwerk gegen diesen Feind brauchen, um nicht unterzugehen, aber unklug wäre es, die polni¬ sche Barrikade von Nußland besetzen zu lassen und einen verstockten Gegner durch einen rachsüchtigen Vasallen zu verstärken. Die Ucbcrklugen haben gegen Polen schon ein¬ gewendet, daß es, einmal wieder hergestellt, sich mit dem slavischen Nachbar gegen uns verbünden könnte, ohne zu berechnen, daß es, nicht wieder hergestellt, mit dem Mos¬ kowiter, früher oder später, sich vereinen müßte. .. . Ohne einen Krieg mit Ru߬ land werden wir Polens nur zu unserem Schaden ledig und doch ist uns, aus andern Gründen, jener Krieg gewiß. Es handelt sich nur darum, ob wir oder der Russe die Wahl der günstigsten Stunde haben sollen. Fast möchten wir behaupten, daß uns nur die Wahl zwischen einem Kampf mit der Republik oder den Kosaken bleibt. Su¬ chen wir, im Vertrauen auf altdiplomatischc Künste, zu laviren, so fallen uns beide Kriege zugleich auf den Nacken. Sobald wir im Westen angegriffen sind, wird uns der Russe so lange im Rücken beschäftigen, sei's durch offenen Angriff, sei's durch pan- slavistische Wühlereien, bis wir am Ende wieder seine Hülfe gegen Frankreich brauchen. Es hat also die doppelte Aussicht, uns als Feind, wie als Freund eine Grube zu graben. Ein gesundes, einiges Deutschland kann freilich dem Osten, wie dem Westen zugleich trotzen — wir sind aber noch lange nicht einig und gesund. Gegen den thonfüßigen Koloß allein dagegen sind wir stark genug, ja wir würden an ihm erst recht erstarken und vielleicht gesunder werden, als den Diplomaten lieb ist. M^^^ Sämmtliche geehrte Korrespondenten der Grenzvoten werden dringend ersucht, uns künstig ihre Berichte spätestens Mittwoch Morgens zukommen zu lassen. D. Red. Verlag von Fr. Ludw. Herdig. — Redacteur: I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/126>, abgerufen am 29.06.2024.