Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Publikum, wie bei der Kritik, einer Werthschätzung, die nicht Wohl einstimmiger
sein kann. -- Einstimmig war auch das Urtheil über Nnschütz, der im Stadt¬
theater sechs Rollen vorführte. "Zur rechten Zeit aufhören" scheint eine
schwierige Anforderung bei Künstlern, die einst groß und gefeiert dastanden. Ich
will diese weise Regel Herrn Anschütz, wenigstens was das Gastspielen betrifft,
dringend in die Erinnerung rufen; und meine ihn betreffenden Notizen mit dem
Hervorheben seines "Lear" schließen, durch dessen letzten Act er für ein Schwa¬
ches, greisenhaft Marklvses und eintönig Breites seiner anderen Rollen zu ent¬
schädi ^ ^ gen wußte.


VM.
Notizen.

Ralle über Friedrich I>. -- Herwegh und die Drudscha Allg. Zeitung.

-- "Neun Bücher preußischer Geschichte", ein werthvolles Buch von Ranke,
ist so eben in seinen drei ersten Büchern (>r. Band) erschienen.

In der Darstellung von Friedrichs des Großen Jugendleben macht uns das
Ranke'sche Buch keinen besonders günstigen Eindruck. ES gemahnt nicht undeutlich
an einen Hofgcschichtschrcibcr, welcher mit Höflichkeit die scharfen Ecken, an denen
man sich verletzen könnte, abschleift mit einem Neibstcine, der mehr ist oder we¬
niger als Kritik. Diese scharfen Ecken stehen in folgenden Fragen: hat der junge
Friedrich bei seinem Aufenthalte in Dresden sinnlicher Liebe gepflegt und eine
Liebespasston gehegt? Ist er ferner von seinem Vater körperlich gemißhandelt
worden? Hat seine Mutter directe Schuld an der Steigerung des Zwiespaltes
zwischen ihrem Sohne und ihrem Gatten? Ans die erste Frage sagt er in Betreff
sinnlicher Genüsse so beiher und halb versteckt: o ja; in Betreff einer speziellen
Passion sagt er abschmeckend: Kaum. Und was hat er zu letzterem Kaum für
einen Beleg? Friedrich'S jüngerer Bruder August Wilhelm hat in einer späteren
Aufzeichnung niedergeschrieben: ^minni" it "':>, en <ni i>euctm!it, pour "exe
et eiionrv moins zwnr lV> in-u-iiiAi?, und dies ist ihm niederschlagendes Gegen¬
gewicht für die Mittheilungen der älteren Schwester Wilhelmine. Das ist weni¬
ger als Kritik. Angust Wilhelm war ein Knabe zur Zeit des Dresdner Be-
suches, er ist gar nicht von Bedeutung in der Frage: wie Friedrich damals ge¬
sinnt gewesen. Die ältere Schwester, Friedrichs Vertraute, und andere Zeugen
sind unvergleichlich wichtiger. Für Friedrichs späteres Leben ist aber diese Notiz
des Bruders gar nicht nöthig: Niemand hat bezweifelt, daß sich Friedrich später
"in Frauenliebe gar nicht bekümmert. Die körperlichen Mißhandlungen ferner,
mit welchen der König so schnell bei der Hand gewesen, nach allen Quellen, die
bekannt sind, verwischt Ranke mit wässrigem Schwämme. Das ist mehr als Kritik,
und führt uns ans den Uebelstand: ans Archiven vorzugsweise Geschichte zu schrei¬
ben. In diesen Archiven mag sich wenig vorfinden von solchen körperlichen Excessen;
ist dies eilt Grund, das zu ignoriren, was gleichzeitige Memvircnschreibcr und
Augenzeugen ausführlich und wiederholt schildern? Dies ist Verwischung, nicht
Sichtung. Und nicht blos Verwischung der Thatsachen, sondern auch der Cha-


Publikum, wie bei der Kritik, einer Werthschätzung, die nicht Wohl einstimmiger
sein kann. — Einstimmig war auch das Urtheil über Nnschütz, der im Stadt¬
theater sechs Rollen vorführte. „Zur rechten Zeit aufhören" scheint eine
schwierige Anforderung bei Künstlern, die einst groß und gefeiert dastanden. Ich
will diese weise Regel Herrn Anschütz, wenigstens was das Gastspielen betrifft,
dringend in die Erinnerung rufen; und meine ihn betreffenden Notizen mit dem
Hervorheben seines „Lear" schließen, durch dessen letzten Act er für ein Schwa¬
ches, greisenhaft Marklvses und eintönig Breites seiner anderen Rollen zu ent¬
schädi ^ ^ gen wußte.


VM.
Notizen.

Ralle über Friedrich I>. — Herwegh und die Drudscha Allg. Zeitung.

— „Neun Bücher preußischer Geschichte", ein werthvolles Buch von Ranke,
ist so eben in seinen drei ersten Büchern (>r. Band) erschienen.

In der Darstellung von Friedrichs des Großen Jugendleben macht uns das
Ranke'sche Buch keinen besonders günstigen Eindruck. ES gemahnt nicht undeutlich
an einen Hofgcschichtschrcibcr, welcher mit Höflichkeit die scharfen Ecken, an denen
man sich verletzen könnte, abschleift mit einem Neibstcine, der mehr ist oder we¬
niger als Kritik. Diese scharfen Ecken stehen in folgenden Fragen: hat der junge
Friedrich bei seinem Aufenthalte in Dresden sinnlicher Liebe gepflegt und eine
Liebespasston gehegt? Ist er ferner von seinem Vater körperlich gemißhandelt
worden? Hat seine Mutter directe Schuld an der Steigerung des Zwiespaltes
zwischen ihrem Sohne und ihrem Gatten? Ans die erste Frage sagt er in Betreff
sinnlicher Genüsse so beiher und halb versteckt: o ja; in Betreff einer speziellen
Passion sagt er abschmeckend: Kaum. Und was hat er zu letzterem Kaum für
einen Beleg? Friedrich'S jüngerer Bruder August Wilhelm hat in einer späteren
Aufzeichnung niedergeschrieben: ^minni« it »':>, en <ni i>euctm!it, pour «exe
et eiionrv moins zwnr lV> in-u-iiiAi?, und dies ist ihm niederschlagendes Gegen¬
gewicht für die Mittheilungen der älteren Schwester Wilhelmine. Das ist weni¬
ger als Kritik. Angust Wilhelm war ein Knabe zur Zeit des Dresdner Be-
suches, er ist gar nicht von Bedeutung in der Frage: wie Friedrich damals ge¬
sinnt gewesen. Die ältere Schwester, Friedrichs Vertraute, und andere Zeugen
sind unvergleichlich wichtiger. Für Friedrichs späteres Leben ist aber diese Notiz
des Bruders gar nicht nöthig: Niemand hat bezweifelt, daß sich Friedrich später
„in Frauenliebe gar nicht bekümmert. Die körperlichen Mißhandlungen ferner,
mit welchen der König so schnell bei der Hand gewesen, nach allen Quellen, die
bekannt sind, verwischt Ranke mit wässrigem Schwämme. Das ist mehr als Kritik,
und führt uns ans den Uebelstand: ans Archiven vorzugsweise Geschichte zu schrei¬
ben. In diesen Archiven mag sich wenig vorfinden von solchen körperlichen Excessen;
ist dies eilt Grund, das zu ignoriren, was gleichzeitige Memvircnschreibcr und
Augenzeugen ausführlich und wiederholt schildern? Dies ist Verwischung, nicht
Sichtung. Und nicht blos Verwischung der Thatsachen, sondern auch der Cha-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184473"/>
            <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> Publikum, wie bei der Kritik, einer Werthschätzung, die nicht Wohl einstimmiger<lb/>
sein kann. &#x2014; Einstimmig war auch das Urtheil über Nnschütz, der im Stadt¬<lb/>
theater sechs Rollen vorführte. &#x201E;Zur rechten Zeit aufhören" scheint eine<lb/>
schwierige Anforderung bei Künstlern, die einst groß und gefeiert dastanden. Ich<lb/>
will diese weise Regel Herrn Anschütz, wenigstens was das Gastspielen betrifft,<lb/>
dringend in die Erinnerung rufen; und meine ihn betreffenden Notizen mit dem<lb/>
Hervorheben seines &#x201E;Lear" schließen, durch dessen letzten Act er für ein Schwa¬<lb/>
ches, greisenhaft Marklvses und eintönig Breites seiner anderen Rollen zu ent¬<lb/>
schädi<note type="byline"> ^ ^</note> gen wußte. </p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> VM.<lb/>
Notizen.</head><lb/>
            <note type="argument"> Ralle über Friedrich I&gt;. &#x2014; Herwegh und die Drudscha Allg. Zeitung.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1039"> &#x2014; &#x201E;Neun Bücher preußischer Geschichte", ein werthvolles Buch von Ranke,<lb/>
ist so eben in seinen drei ersten Büchern (&gt;r. Band) erschienen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> In der Darstellung von Friedrichs des Großen Jugendleben macht uns das<lb/>
Ranke'sche Buch keinen besonders günstigen Eindruck. ES gemahnt nicht undeutlich<lb/>
an einen Hofgcschichtschrcibcr, welcher mit Höflichkeit die scharfen Ecken, an denen<lb/>
man sich verletzen könnte, abschleift mit einem Neibstcine, der mehr ist oder we¬<lb/>
niger als Kritik. Diese scharfen Ecken stehen in folgenden Fragen: hat der junge<lb/>
Friedrich bei seinem Aufenthalte in Dresden sinnlicher Liebe gepflegt und eine<lb/>
Liebespasston gehegt? Ist er ferner von seinem Vater körperlich gemißhandelt<lb/>
worden? Hat seine Mutter directe Schuld an der Steigerung des Zwiespaltes<lb/>
zwischen ihrem Sohne und ihrem Gatten? Ans die erste Frage sagt er in Betreff<lb/>
sinnlicher Genüsse so beiher und halb versteckt: o ja; in Betreff einer speziellen<lb/>
Passion sagt er abschmeckend: Kaum. Und was hat er zu letzterem Kaum für<lb/>
einen Beleg? Friedrich'S jüngerer Bruder August Wilhelm hat in einer späteren<lb/>
Aufzeichnung niedergeschrieben: ^minni« it »':&gt;, en &lt;ni i&gt;euctm!it, pour «exe<lb/>
et eiionrv moins zwnr lV&gt; in-u-iiiAi?, und dies ist ihm niederschlagendes Gegen¬<lb/>
gewicht für die Mittheilungen der älteren Schwester Wilhelmine. Das ist weni¬<lb/>
ger als Kritik. Angust Wilhelm war ein Knabe zur Zeit des Dresdner Be-<lb/>
suches, er ist gar nicht von Bedeutung in der Frage: wie Friedrich damals ge¬<lb/>
sinnt gewesen. Die ältere Schwester, Friedrichs Vertraute, und andere Zeugen<lb/>
sind unvergleichlich wichtiger. Für Friedrichs späteres Leben ist aber diese Notiz<lb/>
des Bruders gar nicht nöthig: Niemand hat bezweifelt, daß sich Friedrich später<lb/>
&#x201E;in Frauenliebe gar nicht bekümmert. Die körperlichen Mißhandlungen ferner,<lb/>
mit welchen der König so schnell bei der Hand gewesen, nach allen Quellen, die<lb/>
bekannt sind, verwischt Ranke mit wässrigem Schwämme. Das ist mehr als Kritik,<lb/>
und führt uns ans den Uebelstand: ans Archiven vorzugsweise Geschichte zu schrei¬<lb/>
ben. In diesen Archiven mag sich wenig vorfinden von solchen körperlichen Excessen;<lb/>
ist dies eilt Grund, das zu ignoriren, was gleichzeitige Memvircnschreibcr und<lb/>
Augenzeugen ausführlich und wiederholt schildern? Dies ist Verwischung, nicht<lb/>
Sichtung. Und nicht blos Verwischung der Thatsachen, sondern auch der Cha-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] Publikum, wie bei der Kritik, einer Werthschätzung, die nicht Wohl einstimmiger sein kann. — Einstimmig war auch das Urtheil über Nnschütz, der im Stadt¬ theater sechs Rollen vorführte. „Zur rechten Zeit aufhören" scheint eine schwierige Anforderung bei Künstlern, die einst groß und gefeiert dastanden. Ich will diese weise Regel Herrn Anschütz, wenigstens was das Gastspielen betrifft, dringend in die Erinnerung rufen; und meine ihn betreffenden Notizen mit dem Hervorheben seines „Lear" schließen, durch dessen letzten Act er für ein Schwa¬ ches, greisenhaft Marklvses und eintönig Breites seiner anderen Rollen zu ent¬ schädi ^ ^ gen wußte. VM. Notizen. Ralle über Friedrich I>. — Herwegh und die Drudscha Allg. Zeitung. — „Neun Bücher preußischer Geschichte", ein werthvolles Buch von Ranke, ist so eben in seinen drei ersten Büchern (>r. Band) erschienen. In der Darstellung von Friedrichs des Großen Jugendleben macht uns das Ranke'sche Buch keinen besonders günstigen Eindruck. ES gemahnt nicht undeutlich an einen Hofgcschichtschrcibcr, welcher mit Höflichkeit die scharfen Ecken, an denen man sich verletzen könnte, abschleift mit einem Neibstcine, der mehr ist oder we¬ niger als Kritik. Diese scharfen Ecken stehen in folgenden Fragen: hat der junge Friedrich bei seinem Aufenthalte in Dresden sinnlicher Liebe gepflegt und eine Liebespasston gehegt? Ist er ferner von seinem Vater körperlich gemißhandelt worden? Hat seine Mutter directe Schuld an der Steigerung des Zwiespaltes zwischen ihrem Sohne und ihrem Gatten? Ans die erste Frage sagt er in Betreff sinnlicher Genüsse so beiher und halb versteckt: o ja; in Betreff einer speziellen Passion sagt er abschmeckend: Kaum. Und was hat er zu letzterem Kaum für einen Beleg? Friedrich'S jüngerer Bruder August Wilhelm hat in einer späteren Aufzeichnung niedergeschrieben: ^minni« it »':>, en <ni i>euctm!it, pour «exe et eiionrv moins zwnr lV> in-u-iiiAi?, und dies ist ihm niederschlagendes Gegen¬ gewicht für die Mittheilungen der älteren Schwester Wilhelmine. Das ist weni¬ ger als Kritik. Angust Wilhelm war ein Knabe zur Zeit des Dresdner Be- suches, er ist gar nicht von Bedeutung in der Frage: wie Friedrich damals ge¬ sinnt gewesen. Die ältere Schwester, Friedrichs Vertraute, und andere Zeugen sind unvergleichlich wichtiger. Für Friedrichs späteres Leben ist aber diese Notiz des Bruders gar nicht nöthig: Niemand hat bezweifelt, daß sich Friedrich später „in Frauenliebe gar nicht bekümmert. Die körperlichen Mißhandlungen ferner, mit welchen der König so schnell bei der Hand gewesen, nach allen Quellen, die bekannt sind, verwischt Ranke mit wässrigem Schwämme. Das ist mehr als Kritik, und führt uns ans den Uebelstand: ans Archiven vorzugsweise Geschichte zu schrei¬ ben. In diesen Archiven mag sich wenig vorfinden von solchen körperlichen Excessen; ist dies eilt Grund, das zu ignoriren, was gleichzeitige Memvircnschreibcr und Augenzeugen ausführlich und wiederholt schildern? Dies ist Verwischung, nicht Sichtung. Und nicht blos Verwischung der Thatsachen, sondern auch der Cha-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/313>, abgerufen am 01.09.2024.