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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Konversation ein Ende, indem er mit der Meldung hereintrat, Horsa sei be¬
reit, und nach kurzem Abschiede stieg das Pärchen in die Britschka. Die
Frau Wvtipka sah ihnen mit einem vielsagenden Blicke nach und wiegte
pfiffig das Haupt hin und her - eine böhmische Wirthin sieht dnrch die
Wände!


Der erste Abend.

Als Theodor und Betel, die mittlerweile Zeit genug gehabt hatten, sich
auszusprechen, Liebe und-ewige Treue zu schwören, und sich hinter dem Rük-
ken des Horsa, der vollauf beschäftigt war, die ungeduldigen Braunen un
Schritt zu halten, feurig zu küssen, in den Schloßhof hineinfuhren, war es
ganz finster geworden. Die Hunde bellten im Dorfe, im Schlosse schimmerte
eine Reihe Fenster, und der rauhe Novemberwind pfiff durch die hohen Ul¬
men nud Linden, die im Hofe standen. Am Thore standen Karl und der
Gärtner mit einer Laterne -- die Beiden stiegen ans und der Gärtner be-
lud sich mit ihrem Gepäck. Karl rührte keine Hand -- seine Augen stückel¬
ten wie die eines Raubthieres dnrch die Nacht. Als Betel die Treppe hin¬
aufstieg, ging er neben ihr her, sie sprach kein Wort mit ihm. An der Thüre
ihres Zimmers sagte er halblaut: "Schon gut so! wir werden sehen!"
-- Betel maß ihn von oben bis unter mit majestätischem Blick und antwor¬
tete : "Mit Ihnen habe ich nichts mehr zu reden!" -- worauf sie die Thüre
zuwarf. Karl stieß ein rauhes Gelächter aus und ging in den Speisesaal,
denn der Baron hatte befohlen, daß gleich nach der Ankunft des Hofmeisters
angerichtet werden solle. Seine Hände zitterten, er hätte am liebsten unter
die Teller und Gläser geschlagen und seinem eben eintretenden Nebenbuhler
die große Suppenschüssel an den Kopf geworfen, die er in die Küche tragen
sollte, um sie füllen zu lassen.

Der Speisesaal war hell erleuchtet, die Baronin saß am obern Ende
in einem Lehnstuhl, rechts und links neben ihr der Gemahl nud der Pfarrer,
deu man eilends hatte einladen lassen, um ihm den neuen Hofmeister vorzu¬
stellen. Er war eine behäbige Figur, roth und ausgefüttert, trug einen langen
blauen Rock mit schmierigen Kragen, auf den die laugen, aber spärlichen
Haare herunterfielen. Er war früher Kapelan an der Kirche und der Ajo
des alten Barons gewesen, der ihm dann anch die einträgliche Pfründe ver¬
liehen hatte. Im Hanse galt er sehr viel, war fügsam gegen den Baron,
erlaubte, daß am Sonntage geschnitten und eingeführt werden durfte, und
fing das Hochamt nie früher an, bis die Patronatsherrschaft von ihren roth¬
gepolsterten Kirchstühlen mit allem Gepränge Besitz genommen hatte. Zudem


Greiizhoten. it. 1,847. 8

Konversation ein Ende, indem er mit der Meldung hereintrat, Horsa sei be¬
reit, und nach kurzem Abschiede stieg das Pärchen in die Britschka. Die
Frau Wvtipka sah ihnen mit einem vielsagenden Blicke nach und wiegte
pfiffig das Haupt hin und her - eine böhmische Wirthin sieht dnrch die
Wände!


Der erste Abend.

Als Theodor und Betel, die mittlerweile Zeit genug gehabt hatten, sich
auszusprechen, Liebe und-ewige Treue zu schwören, und sich hinter dem Rük-
ken des Horsa, der vollauf beschäftigt war, die ungeduldigen Braunen un
Schritt zu halten, feurig zu küssen, in den Schloßhof hineinfuhren, war es
ganz finster geworden. Die Hunde bellten im Dorfe, im Schlosse schimmerte
eine Reihe Fenster, und der rauhe Novemberwind pfiff durch die hohen Ul¬
men nud Linden, die im Hofe standen. Am Thore standen Karl und der
Gärtner mit einer Laterne — die Beiden stiegen ans und der Gärtner be-
lud sich mit ihrem Gepäck. Karl rührte keine Hand — seine Augen stückel¬
ten wie die eines Raubthieres dnrch die Nacht. Als Betel die Treppe hin¬
aufstieg, ging er neben ihr her, sie sprach kein Wort mit ihm. An der Thüre
ihres Zimmers sagte er halblaut: „Schon gut so! wir werden sehen!"
— Betel maß ihn von oben bis unter mit majestätischem Blick und antwor¬
tete : „Mit Ihnen habe ich nichts mehr zu reden!" — worauf sie die Thüre
zuwarf. Karl stieß ein rauhes Gelächter aus und ging in den Speisesaal,
denn der Baron hatte befohlen, daß gleich nach der Ankunft des Hofmeisters
angerichtet werden solle. Seine Hände zitterten, er hätte am liebsten unter
die Teller und Gläser geschlagen und seinem eben eintretenden Nebenbuhler
die große Suppenschüssel an den Kopf geworfen, die er in die Küche tragen
sollte, um sie füllen zu lassen.

Der Speisesaal war hell erleuchtet, die Baronin saß am obern Ende
in einem Lehnstuhl, rechts und links neben ihr der Gemahl nud der Pfarrer,
deu man eilends hatte einladen lassen, um ihm den neuen Hofmeister vorzu¬
stellen. Er war eine behäbige Figur, roth und ausgefüttert, trug einen langen
blauen Rock mit schmierigen Kragen, auf den die laugen, aber spärlichen
Haare herunterfielen. Er war früher Kapelan an der Kirche und der Ajo
des alten Barons gewesen, der ihm dann anch die einträgliche Pfründe ver¬
liehen hatte. Im Hanse galt er sehr viel, war fügsam gegen den Baron,
erlaubte, daß am Sonntage geschnitten und eingeführt werden durfte, und
fing das Hochamt nie früher an, bis die Patronatsherrschaft von ihren roth¬
gepolsterten Kirchstühlen mit allem Gepränge Besitz genommen hatte. Zudem


Greiizhoten. it. 1,847. 8
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[0065] Konversation ein Ende, indem er mit der Meldung hereintrat, Horsa sei be¬ reit, und nach kurzem Abschiede stieg das Pärchen in die Britschka. Die Frau Wvtipka sah ihnen mit einem vielsagenden Blicke nach und wiegte pfiffig das Haupt hin und her - eine böhmische Wirthin sieht dnrch die Wände! Der erste Abend. Als Theodor und Betel, die mittlerweile Zeit genug gehabt hatten, sich auszusprechen, Liebe und-ewige Treue zu schwören, und sich hinter dem Rük- ken des Horsa, der vollauf beschäftigt war, die ungeduldigen Braunen un Schritt zu halten, feurig zu küssen, in den Schloßhof hineinfuhren, war es ganz finster geworden. Die Hunde bellten im Dorfe, im Schlosse schimmerte eine Reihe Fenster, und der rauhe Novemberwind pfiff durch die hohen Ul¬ men nud Linden, die im Hofe standen. Am Thore standen Karl und der Gärtner mit einer Laterne — die Beiden stiegen ans und der Gärtner be- lud sich mit ihrem Gepäck. Karl rührte keine Hand — seine Augen stückel¬ ten wie die eines Raubthieres dnrch die Nacht. Als Betel die Treppe hin¬ aufstieg, ging er neben ihr her, sie sprach kein Wort mit ihm. An der Thüre ihres Zimmers sagte er halblaut: „Schon gut so! wir werden sehen!" — Betel maß ihn von oben bis unter mit majestätischem Blick und antwor¬ tete : „Mit Ihnen habe ich nichts mehr zu reden!" — worauf sie die Thüre zuwarf. Karl stieß ein rauhes Gelächter aus und ging in den Speisesaal, denn der Baron hatte befohlen, daß gleich nach der Ankunft des Hofmeisters angerichtet werden solle. Seine Hände zitterten, er hätte am liebsten unter die Teller und Gläser geschlagen und seinem eben eintretenden Nebenbuhler die große Suppenschüssel an den Kopf geworfen, die er in die Küche tragen sollte, um sie füllen zu lassen. Der Speisesaal war hell erleuchtet, die Baronin saß am obern Ende in einem Lehnstuhl, rechts und links neben ihr der Gemahl nud der Pfarrer, deu man eilends hatte einladen lassen, um ihm den neuen Hofmeister vorzu¬ stellen. Er war eine behäbige Figur, roth und ausgefüttert, trug einen langen blauen Rock mit schmierigen Kragen, auf den die laugen, aber spärlichen Haare herunterfielen. Er war früher Kapelan an der Kirche und der Ajo des alten Barons gewesen, der ihm dann anch die einträgliche Pfründe ver¬ liehen hatte. Im Hanse galt er sehr viel, war fügsam gegen den Baron, erlaubte, daß am Sonntage geschnitten und eingeführt werden durfte, und fing das Hochamt nie früher an, bis die Patronatsherrschaft von ihren roth¬ gepolsterten Kirchstühlen mit allem Gepränge Besitz genommen hatte. Zudem Greiizhoten. it. 1,847. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/65>, abgerufen am 22.07.2024.