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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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zu sehen, wo man dämmerige Finsterniß zu finden gewohnt war; während die
Finsterniß heute in Regionen vorwaltet, welche uns ehedem mit Licht versorgten.
Doch mag immerhin mancher Finsterling jene Andächtelcicn zum Herze" Jesu, und
jenen Rosenbusch ungern missen, sich nach denselben, wie auch nach Wieder¬
einführung der Tortur, christlich sehnen, solche Rückschritte sind heute nicht mehr
möglich, und auch die Unmöglichkeit solcher Leute in höherer Stellung stellt sich
täglich deutlicher heraus und wird, wir hoffen es, nächstens zur Thatsache werden.

Der liebenswürdige Erzherzog Landeschcf ist seit Kurzem wieder in unsern
Mauern, um, wie es heißt, noch einige Monate für Böhmen zu wirken. Alle,
die es redlich mit Böhmen meinen, athmen freier seit des Herzogs Rückkehr, des¬
sen langes Wegbleiben in der Geschäftsstagnation bedeutend fühlbar wurde; wir
hoffen, es werde dem wohlmeinenden energischen Prinzen gelingen, feste Grundla¬
gen des Besserwerdens aufzurichten, ans welchen sein uns verheißener Nachfolger
wird fortbauen können; sind erst nur die tagblinden Fledermäuse verscheucht.


S. S.
VI.
Die Jesuiten in Tyrol.

Es gab eine Zeit in Oesterreich, wo die liebe Jugend durch volle sieben
Jahre mit Auswendiglernen lateinischer Worte, Redensarten, Verse und Regeln
ihr Gedächtniß martern, durch solchen Sprachkram allen Sinn sür geistige Auf¬
fassung abstumpfen, und selbst von den sogenannten alten Klassikern nicht dichte¬
rische Anschauung und Geschichte, sondern nur Latein lernen mußte; zu diesem
Ende wurden dann noch durch zwei fernere Jahre Ovid und Eurtius, Virgil und
Cicero in Küchenlatein aufgelöst. Dies nannte man damals das Gymnasium.
Um die Schüler nebstbei zu guten Dienern der Kirche zu bilden und lebelang
an ihre Führer zu knüpfen, nahm man sie beim Eintritt in die Studien in eine
geistliche Gesellschaft, die marianischc Kongregation, aus, und rechnete ihnen die
Werke der Frömmigkeit als Verdienste im Fortgang an, z. B. das Abbeten des
Rosenkranzes statt der Unterhaltuugsstundcn. Man liest es wohl am Rande, daß
die Lehrer, von denen unsere Vorältern solche Wissenschaft und Religion einsogen,
die Jesuiten waren. Kaiser Joseph II., unser großer unsterblicher Joseph, ver-^
besserte -- und bei welcher Einrichtung in Oesterreich verdanken wir nicht ihm
das Beste? -- den alten Schulplan, verwarf jene Lehrweise und ihre Bücher,
und schrieb für die Gymnasien Natur- und Weltgeschichte, Erdkunde und Mathe¬
matik vor. Auch in die dunkeln Schulstuben brach Licht, es sollten darin nicht
mehr Mönche und Kanzleisklavcn, sondern Menschen und denkende Beamte erzogen
werden. Allein der edle Kaiser starb zu früh für sein Oesterreich, die tonsurir-
ten Herren, die in der Erziehung der Jugend stets die Wurzel ihrer Macht er¬
kannten, ließen nicht ab, vorzustellen, wie nur sie die treuesten Diener der Krone
und des Vertrauens würdig wären, die Jugend zu lenken; sie blieben am Ruder
und sorgten fort und fort, daß das heranwachsende Geschlecht nicht koste vom
Giftbaum des Wissens, nicht ahne, daß es noch treffliche Dichter, Geschichtschrei¬
ber, Denker gebe, die nicht die Sprache von Rom führen. Was lag solchen Be-


zu sehen, wo man dämmerige Finsterniß zu finden gewohnt war; während die
Finsterniß heute in Regionen vorwaltet, welche uns ehedem mit Licht versorgten.
Doch mag immerhin mancher Finsterling jene Andächtelcicn zum Herze» Jesu, und
jenen Rosenbusch ungern missen, sich nach denselben, wie auch nach Wieder¬
einführung der Tortur, christlich sehnen, solche Rückschritte sind heute nicht mehr
möglich, und auch die Unmöglichkeit solcher Leute in höherer Stellung stellt sich
täglich deutlicher heraus und wird, wir hoffen es, nächstens zur Thatsache werden.

Der liebenswürdige Erzherzog Landeschcf ist seit Kurzem wieder in unsern
Mauern, um, wie es heißt, noch einige Monate für Böhmen zu wirken. Alle,
die es redlich mit Böhmen meinen, athmen freier seit des Herzogs Rückkehr, des¬
sen langes Wegbleiben in der Geschäftsstagnation bedeutend fühlbar wurde; wir
hoffen, es werde dem wohlmeinenden energischen Prinzen gelingen, feste Grundla¬
gen des Besserwerdens aufzurichten, ans welchen sein uns verheißener Nachfolger
wird fortbauen können; sind erst nur die tagblinden Fledermäuse verscheucht.


S. S.
VI.
Die Jesuiten in Tyrol.

Es gab eine Zeit in Oesterreich, wo die liebe Jugend durch volle sieben
Jahre mit Auswendiglernen lateinischer Worte, Redensarten, Verse und Regeln
ihr Gedächtniß martern, durch solchen Sprachkram allen Sinn sür geistige Auf¬
fassung abstumpfen, und selbst von den sogenannten alten Klassikern nicht dichte¬
rische Anschauung und Geschichte, sondern nur Latein lernen mußte; zu diesem
Ende wurden dann noch durch zwei fernere Jahre Ovid und Eurtius, Virgil und
Cicero in Küchenlatein aufgelöst. Dies nannte man damals das Gymnasium.
Um die Schüler nebstbei zu guten Dienern der Kirche zu bilden und lebelang
an ihre Führer zu knüpfen, nahm man sie beim Eintritt in die Studien in eine
geistliche Gesellschaft, die marianischc Kongregation, aus, und rechnete ihnen die
Werke der Frömmigkeit als Verdienste im Fortgang an, z. B. das Abbeten des
Rosenkranzes statt der Unterhaltuugsstundcn. Man liest es wohl am Rande, daß
die Lehrer, von denen unsere Vorältern solche Wissenschaft und Religion einsogen,
die Jesuiten waren. Kaiser Joseph II., unser großer unsterblicher Joseph, ver-^
besserte — und bei welcher Einrichtung in Oesterreich verdanken wir nicht ihm
das Beste? — den alten Schulplan, verwarf jene Lehrweise und ihre Bücher,
und schrieb für die Gymnasien Natur- und Weltgeschichte, Erdkunde und Mathe¬
matik vor. Auch in die dunkeln Schulstuben brach Licht, es sollten darin nicht
mehr Mönche und Kanzleisklavcn, sondern Menschen und denkende Beamte erzogen
werden. Allein der edle Kaiser starb zu früh für sein Oesterreich, die tonsurir-
ten Herren, die in der Erziehung der Jugend stets die Wurzel ihrer Macht er¬
kannten, ließen nicht ab, vorzustellen, wie nur sie die treuesten Diener der Krone
und des Vertrauens würdig wären, die Jugend zu lenken; sie blieben am Ruder
und sorgten fort und fort, daß das heranwachsende Geschlecht nicht koste vom
Giftbaum des Wissens, nicht ahne, daß es noch treffliche Dichter, Geschichtschrei¬
ber, Denker gebe, die nicht die Sprache von Rom führen. Was lag solchen Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/52>, abgerufen am 29.06.2024.