Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welche beim gegenseitigen Umtausch der Orden betheiligt waren, freuten sich über
ihr Meisterstück; das Ausland sah aber mit Staunen und nicht ohne Schaden¬
freude, daß das System des Zollvereins uicht einmal stark genug, um portugiesi¬
schen Orden Widerstand leisten zu können!


w.
VI.
Aus Prag.
1.

Die Bäckcrcmeute. -- Die Juden als Sündenbock. -- Verfälschung der Lebensmittel. --
Die Mi'lchvcrkciufer. -- Graf Wallis, -- Die Dampfmühle. -- Böhmisches und vairi-
sches Bier. -- Die Bierbrauer und die Finanzwachc.

Sie werden bereits gehört haben, daß auch wir unsern Bäckerladen-Krawall
gehabt habe", der dieses Jahr wie eine Epidemie die deutschen Städte durchzieht.
Scenen dieser Art sind übrigens seit einigen Jahren etwas häufiger Natur bei
uns. Die Druckcremcutc vor drei Jahren hat man den Juden in die Schuhe ge¬
schoben. Unter unsern Bäckern, Müllern und Bierbrauern befinden sich aber
keine Juden, d.h. keine Israeliten, denn Juden im Ncbcnsinne gibt es da mehr
als im fünften Hauptvicrtcl! Eigentlich müßte sich die hiesige Judenschaft be¬
danken, daß man sie von den "ehrsamen" Bäckern, Müllern und ähnlichen Zünften
ausschließt, denn wäre uur ein Jude darunter, so hätte die ganze Zunft alle
ihre Missethaten diesem Einzigen in die Schuhe geschoben und der löbl. Magistrat
als "Vertreter der Bürgerschaft" hätte um der Popularität willen Chorus ge¬
macht, und "ach ewige" herkömmlichen Judendnrchprügelungcn, Fenstereinwerfcn,
Hep-Hepmarscillaiseu wären die Mißbräuche beim Alten geblieben. So aber
kann dem abrahamitischen Sündenbock dieses Mal die Schuld nicht aufgeladen wer¬
den und wir müssen schon in christlicher Liebe und Demuth in unserer eigenen
Mitte nach den Wurzeln der Uebelstände graben und sie auszurotten suchen, so
gut oder vielmehr so schlecht es geht.

Der Verkauf von Lebensmitteln wird leider bei uns bei weitem nicht mit
der Umsicht und Strenge überwacht, um vor dem täglich sich wiederholen¬
den Betrug zu schützen. Die bestehenden Marktvorschriften beurkunden zwar
die besten Absichten, aber sie werden nicht excqnirt, die dafür bestellten Or¬
gane nehmen die Sache ans begreiflichen Gründen ans die leichte Achsel,
und so ist der Unfug empörend, der von den Verkäufer" getrieben wird.
Es ist schauerlich, wenn man weiß wie die Qualität und Quantität der Na¬
turprodukte durch die raffinirtcste Verfälschung und Verkürzung im Maaß und
Gewicht für Gesundheit und Tasche unerträglich gemacht werden. Kein Mittel
wird unversucht gelassen, um die Käufer zu hintergehen, und den größtmöglichen
Gewinn zu erzielen. Das ganze Viergespann der Elemente Erde, Lust, Feuer
und Wasser, im Geleite der Kunst, werden angewendet, um den verschiedenen
Gegenständen des Marktes dasjenige Aussehen und Volumen zu geben, welches die


welche beim gegenseitigen Umtausch der Orden betheiligt waren, freuten sich über
ihr Meisterstück; das Ausland sah aber mit Staunen und nicht ohne Schaden¬
freude, daß das System des Zollvereins uicht einmal stark genug, um portugiesi¬
schen Orden Widerstand leisten zu können!


w.
VI.
Aus Prag.
1.

Die Bäckcrcmeute. — Die Juden als Sündenbock. — Verfälschung der Lebensmittel. —
Die Mi'lchvcrkciufer. — Graf Wallis, — Die Dampfmühle. — Böhmisches und vairi-
sches Bier. — Die Bierbrauer und die Finanzwachc.

Sie werden bereits gehört haben, daß auch wir unsern Bäckerladen-Krawall
gehabt habe», der dieses Jahr wie eine Epidemie die deutschen Städte durchzieht.
Scenen dieser Art sind übrigens seit einigen Jahren etwas häufiger Natur bei
uns. Die Druckcremcutc vor drei Jahren hat man den Juden in die Schuhe ge¬
schoben. Unter unsern Bäckern, Müllern und Bierbrauern befinden sich aber
keine Juden, d.h. keine Israeliten, denn Juden im Ncbcnsinne gibt es da mehr
als im fünften Hauptvicrtcl! Eigentlich müßte sich die hiesige Judenschaft be¬
danken, daß man sie von den „ehrsamen" Bäckern, Müllern und ähnlichen Zünften
ausschließt, denn wäre uur ein Jude darunter, so hätte die ganze Zunft alle
ihre Missethaten diesem Einzigen in die Schuhe geschoben und der löbl. Magistrat
als „Vertreter der Bürgerschaft" hätte um der Popularität willen Chorus ge¬
macht, und »ach ewige» herkömmlichen Judendnrchprügelungcn, Fenstereinwerfcn,
Hep-Hepmarscillaiseu wären die Mißbräuche beim Alten geblieben. So aber
kann dem abrahamitischen Sündenbock dieses Mal die Schuld nicht aufgeladen wer¬
den und wir müssen schon in christlicher Liebe und Demuth in unserer eigenen
Mitte nach den Wurzeln der Uebelstände graben und sie auszurotten suchen, so
gut oder vielmehr so schlecht es geht.

Der Verkauf von Lebensmitteln wird leider bei uns bei weitem nicht mit
der Umsicht und Strenge überwacht, um vor dem täglich sich wiederholen¬
den Betrug zu schützen. Die bestehenden Marktvorschriften beurkunden zwar
die besten Absichten, aber sie werden nicht excqnirt, die dafür bestellten Or¬
gane nehmen die Sache ans begreiflichen Gründen ans die leichte Achsel,
und so ist der Unfug empörend, der von den Verkäufer» getrieben wird.
Es ist schauerlich, wenn man weiß wie die Qualität und Quantität der Na¬
turprodukte durch die raffinirtcste Verfälschung und Verkürzung im Maaß und
Gewicht für Gesundheit und Tasche unerträglich gemacht werden. Kein Mittel
wird unversucht gelassen, um die Käufer zu hintergehen, und den größtmöglichen
Gewinn zu erzielen. Das ganze Viergespann der Elemente Erde, Lust, Feuer
und Wasser, im Geleite der Kunst, werden angewendet, um den verschiedenen
Gegenständen des Marktes dasjenige Aussehen und Volumen zu geben, welches die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272401"/>
            <p xml:id="ID_1613" prev="#ID_1612"> welche beim gegenseitigen Umtausch der Orden betheiligt waren, freuten sich über<lb/>
ihr Meisterstück; das Ausland sah aber mit Staunen und nicht ohne Schaden¬<lb/>
freude, daß das System des Zollvereins uicht einmal stark genug, um portugiesi¬<lb/>
schen Orden Widerstand leisten zu können!</p><lb/>
            <note type="byline"> w.</note><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> VI.<lb/>
Aus Prag.</head><lb/>
            <div n="3">
              <head> 1.</head><lb/>
              <note type="argument"> Die Bäckcrcmeute. &#x2014; Die Juden als Sündenbock. &#x2014; Verfälschung der Lebensmittel. &#x2014;<lb/>
Die Mi'lchvcrkciufer. &#x2014; Graf Wallis, &#x2014; Die Dampfmühle. &#x2014; Böhmisches und vairi-<lb/>
sches Bier. &#x2014; Die Bierbrauer und die Finanzwachc.</note><lb/>
              <p xml:id="ID_1614"> Sie werden bereits gehört haben, daß auch wir unsern Bäckerladen-Krawall<lb/>
gehabt habe», der dieses Jahr wie eine Epidemie die deutschen Städte durchzieht.<lb/>
Scenen dieser Art sind übrigens seit einigen Jahren etwas häufiger Natur bei<lb/>
uns. Die Druckcremcutc vor drei Jahren hat man den Juden in die Schuhe ge¬<lb/>
schoben. Unter unsern Bäckern, Müllern und Bierbrauern befinden sich aber<lb/>
keine Juden, d.h. keine Israeliten, denn Juden im Ncbcnsinne gibt es da mehr<lb/>
als im fünften Hauptvicrtcl! Eigentlich müßte sich die hiesige Judenschaft be¬<lb/>
danken, daß man sie von den &#x201E;ehrsamen" Bäckern, Müllern und ähnlichen Zünften<lb/>
ausschließt, denn wäre uur ein Jude darunter, so hätte die ganze Zunft alle<lb/>
ihre Missethaten diesem Einzigen in die Schuhe geschoben und der löbl. Magistrat<lb/>
als &#x201E;Vertreter der Bürgerschaft" hätte um der Popularität willen Chorus ge¬<lb/>
macht, und »ach ewige» herkömmlichen Judendnrchprügelungcn, Fenstereinwerfcn,<lb/>
Hep-Hepmarscillaiseu wären die Mißbräuche beim Alten geblieben. So aber<lb/>
kann dem abrahamitischen Sündenbock dieses Mal die Schuld nicht aufgeladen wer¬<lb/>
den und wir müssen schon in christlicher Liebe und Demuth in unserer eigenen<lb/>
Mitte nach den Wurzeln der Uebelstände graben und sie auszurotten suchen, so<lb/>
gut oder vielmehr so schlecht es geht.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1615" next="#ID_1616"> Der Verkauf von Lebensmitteln wird leider bei uns bei weitem nicht mit<lb/>
der Umsicht und Strenge überwacht, um vor dem täglich sich wiederholen¬<lb/>
den Betrug zu schützen. Die bestehenden Marktvorschriften beurkunden zwar<lb/>
die besten Absichten, aber sie werden nicht excqnirt, die dafür bestellten Or¬<lb/>
gane nehmen die Sache ans begreiflichen Gründen ans die leichte Achsel,<lb/>
und so ist der Unfug empörend, der von den Verkäufer» getrieben wird.<lb/>
Es ist schauerlich, wenn man weiß wie die Qualität und Quantität der Na¬<lb/>
turprodukte durch die raffinirtcste Verfälschung und Verkürzung im Maaß und<lb/>
Gewicht für Gesundheit und Tasche unerträglich gemacht werden. Kein Mittel<lb/>
wird unversucht gelassen, um die Käufer zu hintergehen, und den größtmöglichen<lb/>
Gewinn zu erzielen. Das ganze Viergespann der Elemente Erde, Lust, Feuer<lb/>
und Wasser, im Geleite der Kunst, werden angewendet, um den verschiedenen<lb/>
Gegenständen des Marktes dasjenige Aussehen und Volumen zu geben, welches die</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] welche beim gegenseitigen Umtausch der Orden betheiligt waren, freuten sich über ihr Meisterstück; das Ausland sah aber mit Staunen und nicht ohne Schaden¬ freude, daß das System des Zollvereins uicht einmal stark genug, um portugiesi¬ schen Orden Widerstand leisten zu können! w. VI. Aus Prag. 1. Die Bäckcrcmeute. — Die Juden als Sündenbock. — Verfälschung der Lebensmittel. — Die Mi'lchvcrkciufer. — Graf Wallis, — Die Dampfmühle. — Böhmisches und vairi- sches Bier. — Die Bierbrauer und die Finanzwachc. Sie werden bereits gehört haben, daß auch wir unsern Bäckerladen-Krawall gehabt habe», der dieses Jahr wie eine Epidemie die deutschen Städte durchzieht. Scenen dieser Art sind übrigens seit einigen Jahren etwas häufiger Natur bei uns. Die Druckcremcutc vor drei Jahren hat man den Juden in die Schuhe ge¬ schoben. Unter unsern Bäckern, Müllern und Bierbrauern befinden sich aber keine Juden, d.h. keine Israeliten, denn Juden im Ncbcnsinne gibt es da mehr als im fünften Hauptvicrtcl! Eigentlich müßte sich die hiesige Judenschaft be¬ danken, daß man sie von den „ehrsamen" Bäckern, Müllern und ähnlichen Zünften ausschließt, denn wäre uur ein Jude darunter, so hätte die ganze Zunft alle ihre Missethaten diesem Einzigen in die Schuhe geschoben und der löbl. Magistrat als „Vertreter der Bürgerschaft" hätte um der Popularität willen Chorus ge¬ macht, und »ach ewige» herkömmlichen Judendnrchprügelungcn, Fenstereinwerfcn, Hep-Hepmarscillaiseu wären die Mißbräuche beim Alten geblieben. So aber kann dem abrahamitischen Sündenbock dieses Mal die Schuld nicht aufgeladen wer¬ den und wir müssen schon in christlicher Liebe und Demuth in unserer eigenen Mitte nach den Wurzeln der Uebelstände graben und sie auszurotten suchen, so gut oder vielmehr so schlecht es geht. Der Verkauf von Lebensmitteln wird leider bei uns bei weitem nicht mit der Umsicht und Strenge überwacht, um vor dem täglich sich wiederholen¬ den Betrug zu schützen. Die bestehenden Marktvorschriften beurkunden zwar die besten Absichten, aber sie werden nicht excqnirt, die dafür bestellten Or¬ gane nehmen die Sache ans begreiflichen Gründen ans die leichte Achsel, und so ist der Unfug empörend, der von den Verkäufer» getrieben wird. Es ist schauerlich, wenn man weiß wie die Qualität und Quantität der Na¬ turprodukte durch die raffinirtcste Verfälschung und Verkürzung im Maaß und Gewicht für Gesundheit und Tasche unerträglich gemacht werden. Kein Mittel wird unversucht gelassen, um die Käufer zu hintergehen, und den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Das ganze Viergespann der Elemente Erde, Lust, Feuer und Wasser, im Geleite der Kunst, werden angewendet, um den verschiedenen Gegenständen des Marktes dasjenige Aussehen und Volumen zu geben, welches die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/502>, abgerufen am 28.09.2024.