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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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III.
Die Deutschen in Galizien.

Dem Deutschen fehlt, weil es keine einige deutsche Nation gibt, das stolze
Selbstbewußtsein, das ihn nie und nirgends sollte aufhören lassen, ein ächter
Deutscher mit Leib und Seele zu sein; dem Deutschen fehlt den Fremden gegenüber
das Bewußtsein einer nationalen Macht; dem Deutschen fehlt die begeisterte Liebe
für seine Heimath, seine Sitte, seine Sprache und darum schmiegt er sich so leicht
der Fremde an. Doch darüber wurde schon viel und -kräftig geschrieben; daß aber
alle die trefflichen Reden und Schriften, die seit den letzten S0 Jahren den Deut¬
schen über sein dumpfes Dahinleben aufzuklären und zu überheben strebten, so
ganz ohne Wirkung blieben, so daß uns heute nichts übrig bleibt als das Längst¬
gesagte zu wiederholen, das muß den Vaterlandssrennd wehmüthig stimmen, darf
ihn aber nicht verzagt machen zu wirken so lang es Tag ist.

Ich möchte hier gerne eine Erscheinung besprechen, die mir schwer am Herzen
liegt, nirgends noch beleuchtet zu sein scheint und die in der Frage besteht: Woher
kommt es, daß so Viele deutscher Abstammung hier im Lande ihre Herkunft ver¬
leugnen und hänfig die Begeistertsten in den Reihen der polnischen Freiheitskämpfer
sind? Im täglichen Umgange und aus den deutschen Namen der für ihre Begei¬
sterung im Kerker schmachtenden läßt sich dies genügend ersehen, und als eine
wichtige von deutscher und polnischer Seite am wenigsten beachtete Ursache dieser
Erscheinung bezeichne ich die Erziehung dieser Söhne deutscher Eltern und wenig¬
stens einer deutschen Mutter. Denn diese dentschen Eltern haben so wenig deut¬
sches Selbstbewußtsein, so wenig Achtung und Liebe für ihre eigene Sprache,
daß sie uicht anstehen, die polnische, ihnen selbst meist kaum halb bekannt., zur
Muttersprache ihrer Kinder zu erheben. Zwar wird diese politische Sünde, und
das ist sie, mit dem Mangel deutscher Ammen und Mndswärterinncn beschönigt,
aber diese Entschuldigung ist zu hohl, zu nichtig. Eine echt deutsche Mutter
wird, ehe sie die ihr selbst lieb und werthe Sprache ihrem Kinde vorenthält, es
lieber selbst sängen und pflegen, sollte auch das Opfer noch so groß sein. Die
Mütter, besonders die deutschen, sind ja sonst so stark im Entsagen sür das Wohl
ihrer Kinder. Oder meinen diese Eltern durch die fremde Sprache sie glücklicher zu
machen? Nein, Kurzsichtigkeit und Mangel an Gesinnung sind der.Quell dieser
Erziehung. Erfordern aber schwache Gesundheit der Mutter und andere Ver¬
hältnisse dergleichen Pflegerinnen, so sind Deutsche genug zu finden, sobald man
sie nnr sucht, und deutsche Väter werden das Erbe ihrer deutschen Mutter, wenn
es ihnen nicht unwerth ist, pflegen und ausbilden und ihren Söhnen und Töchtern
übertragen. Damit daß man in der Folge die deutsche Sprache leichter als die
polnische erlernt, darf man diese Handlungsweise nicht entschuldigen, denn.die
Mehrzahl der s. g. Galiziancr (der hier gebornen Deutschen), sind selten der
deutschen Sprache vollkommen mächtig, und abgesehen.,,daß sie dadurch für die
deutsche Bildung verloren gehen, bewirken sie durch ihren,Abfall eine Verringe¬
rung der deutschen Macht' Aber am nachtheiligsten und bedaurnngswnrdigstm


Grenzlwlen. >I. 1847. 2!j
III.
Die Deutschen in Galizien.

Dem Deutschen fehlt, weil es keine einige deutsche Nation gibt, das stolze
Selbstbewußtsein, das ihn nie und nirgends sollte aufhören lassen, ein ächter
Deutscher mit Leib und Seele zu sein; dem Deutschen fehlt den Fremden gegenüber
das Bewußtsein einer nationalen Macht; dem Deutschen fehlt die begeisterte Liebe
für seine Heimath, seine Sitte, seine Sprache und darum schmiegt er sich so leicht
der Fremde an. Doch darüber wurde schon viel und -kräftig geschrieben; daß aber
alle die trefflichen Reden und Schriften, die seit den letzten S0 Jahren den Deut¬
schen über sein dumpfes Dahinleben aufzuklären und zu überheben strebten, so
ganz ohne Wirkung blieben, so daß uns heute nichts übrig bleibt als das Längst¬
gesagte zu wiederholen, das muß den Vaterlandssrennd wehmüthig stimmen, darf
ihn aber nicht verzagt machen zu wirken so lang es Tag ist.

Ich möchte hier gerne eine Erscheinung besprechen, die mir schwer am Herzen
liegt, nirgends noch beleuchtet zu sein scheint und die in der Frage besteht: Woher
kommt es, daß so Viele deutscher Abstammung hier im Lande ihre Herkunft ver¬
leugnen und hänfig die Begeistertsten in den Reihen der polnischen Freiheitskämpfer
sind? Im täglichen Umgange und aus den deutschen Namen der für ihre Begei¬
sterung im Kerker schmachtenden läßt sich dies genügend ersehen, und als eine
wichtige von deutscher und polnischer Seite am wenigsten beachtete Ursache dieser
Erscheinung bezeichne ich die Erziehung dieser Söhne deutscher Eltern und wenig¬
stens einer deutschen Mutter. Denn diese dentschen Eltern haben so wenig deut¬
sches Selbstbewußtsein, so wenig Achtung und Liebe für ihre eigene Sprache,
daß sie uicht anstehen, die polnische, ihnen selbst meist kaum halb bekannt., zur
Muttersprache ihrer Kinder zu erheben. Zwar wird diese politische Sünde, und
das ist sie, mit dem Mangel deutscher Ammen und Mndswärterinncn beschönigt,
aber diese Entschuldigung ist zu hohl, zu nichtig. Eine echt deutsche Mutter
wird, ehe sie die ihr selbst lieb und werthe Sprache ihrem Kinde vorenthält, es
lieber selbst sängen und pflegen, sollte auch das Opfer noch so groß sein. Die
Mütter, besonders die deutschen, sind ja sonst so stark im Entsagen sür das Wohl
ihrer Kinder. Oder meinen diese Eltern durch die fremde Sprache sie glücklicher zu
machen? Nein, Kurzsichtigkeit und Mangel an Gesinnung sind der.Quell dieser
Erziehung. Erfordern aber schwache Gesundheit der Mutter und andere Ver¬
hältnisse dergleichen Pflegerinnen, so sind Deutsche genug zu finden, sobald man
sie nnr sucht, und deutsche Väter werden das Erbe ihrer deutschen Mutter, wenn
es ihnen nicht unwerth ist, pflegen und ausbilden und ihren Söhnen und Töchtern
übertragen. Damit daß man in der Folge die deutsche Sprache leichter als die
polnische erlernt, darf man diese Handlungsweise nicht entschuldigen, denn.die
Mehrzahl der s. g. Galiziancr (der hier gebornen Deutschen), sind selten der
deutschen Sprache vollkommen mächtig, und abgesehen.,,daß sie dadurch für die
deutsche Bildung verloren gehen, bewirken sie durch ihren,Abfall eine Verringe¬
rung der deutschen Macht' Aber am nachtheiligsten und bedaurnngswnrdigstm


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[0181] III. Die Deutschen in Galizien. Dem Deutschen fehlt, weil es keine einige deutsche Nation gibt, das stolze Selbstbewußtsein, das ihn nie und nirgends sollte aufhören lassen, ein ächter Deutscher mit Leib und Seele zu sein; dem Deutschen fehlt den Fremden gegenüber das Bewußtsein einer nationalen Macht; dem Deutschen fehlt die begeisterte Liebe für seine Heimath, seine Sitte, seine Sprache und darum schmiegt er sich so leicht der Fremde an. Doch darüber wurde schon viel und -kräftig geschrieben; daß aber alle die trefflichen Reden und Schriften, die seit den letzten S0 Jahren den Deut¬ schen über sein dumpfes Dahinleben aufzuklären und zu überheben strebten, so ganz ohne Wirkung blieben, so daß uns heute nichts übrig bleibt als das Längst¬ gesagte zu wiederholen, das muß den Vaterlandssrennd wehmüthig stimmen, darf ihn aber nicht verzagt machen zu wirken so lang es Tag ist. Ich möchte hier gerne eine Erscheinung besprechen, die mir schwer am Herzen liegt, nirgends noch beleuchtet zu sein scheint und die in der Frage besteht: Woher kommt es, daß so Viele deutscher Abstammung hier im Lande ihre Herkunft ver¬ leugnen und hänfig die Begeistertsten in den Reihen der polnischen Freiheitskämpfer sind? Im täglichen Umgange und aus den deutschen Namen der für ihre Begei¬ sterung im Kerker schmachtenden läßt sich dies genügend ersehen, und als eine wichtige von deutscher und polnischer Seite am wenigsten beachtete Ursache dieser Erscheinung bezeichne ich die Erziehung dieser Söhne deutscher Eltern und wenig¬ stens einer deutschen Mutter. Denn diese dentschen Eltern haben so wenig deut¬ sches Selbstbewußtsein, so wenig Achtung und Liebe für ihre eigene Sprache, daß sie uicht anstehen, die polnische, ihnen selbst meist kaum halb bekannt., zur Muttersprache ihrer Kinder zu erheben. Zwar wird diese politische Sünde, und das ist sie, mit dem Mangel deutscher Ammen und Mndswärterinncn beschönigt, aber diese Entschuldigung ist zu hohl, zu nichtig. Eine echt deutsche Mutter wird, ehe sie die ihr selbst lieb und werthe Sprache ihrem Kinde vorenthält, es lieber selbst sängen und pflegen, sollte auch das Opfer noch so groß sein. Die Mütter, besonders die deutschen, sind ja sonst so stark im Entsagen sür das Wohl ihrer Kinder. Oder meinen diese Eltern durch die fremde Sprache sie glücklicher zu machen? Nein, Kurzsichtigkeit und Mangel an Gesinnung sind der.Quell dieser Erziehung. Erfordern aber schwache Gesundheit der Mutter und andere Ver¬ hältnisse dergleichen Pflegerinnen, so sind Deutsche genug zu finden, sobald man sie nnr sucht, und deutsche Väter werden das Erbe ihrer deutschen Mutter, wenn es ihnen nicht unwerth ist, pflegen und ausbilden und ihren Söhnen und Töchtern übertragen. Damit daß man in der Folge die deutsche Sprache leichter als die polnische erlernt, darf man diese Handlungsweise nicht entschuldigen, denn.die Mehrzahl der s. g. Galiziancr (der hier gebornen Deutschen), sind selten der deutschen Sprache vollkommen mächtig, und abgesehen.,,daß sie dadurch für die deutsche Bildung verloren gehen, bewirken sie durch ihren,Abfall eine Verringe¬ rung der deutschen Macht' Aber am nachtheiligsten und bedaurnngswnrdigstm Grenzlwlen. >I. 1847. 2!j

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/181>, abgerufen am 29.06.2024.