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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Halle und seine Universität.



II.

Die es"ol"all<b"n Reaktionär" u. TW""l"Nrch, (Suerick-, Tholuck. -- Die Aristokratie rar Keistreichen. --
Die legitimen Hegelianer. -- Der "Sünvcnmnllcr," Erdmann, Hinrichs, Schalter. -- Die freien
Gemeinden. -- Snpranaluralistischc Aesthetik.

Wenn Heinrich Leo das eigentliche Genie, das Wunderkind der romantisch-
theologischen Reaction zu nennen ist, so steht zu seiner Rechten eine ganze Reihe
wackerer Kämpen, die sich mit eben so großer Entschiedenheit mit den Windmühlen
des Zeitgeistes herumschlagen, wenn auch nicht gerade in derselben Rüstung, in der
sich der Don Qnirvte der Legitimität so sehr gefällt, die auf der einen Seite die
Maske eines heiligen Propheten, auf der anderen die eines Clown trägt.

Der eifrigste, wenn auch nicht der geistvollste Mitarbeiter im Weinberge des
Herrn ist Herr v. Tippelskirch, einer der wenigen Edelleute, der von der
Liebe Gottes so durchdrungen ist, daß er sich zu der in Preußen gar nicht "noblen"
Stellung eines Predigers und eines Volksfnhrcrs hergegeben hat. Wenn freilich
das Ideal der jetzt in Preußen dominirenden Schule, die englische Hochkirche im
Staat Friedrich des Großen eingeführt werden konnte, so würde man bald sehen,
wie das Wort Gottes in der Brust unserer jungen Edelleute mächtig Wurzeln
schlägt, wie von allen Kanzeln die heilige Predigt der Liebe von " hochgebornen "
Lippen erschallt. Jetzt sind es nur noch Wenige; Herr von Gerlach in Ber¬
lin , der vor seiner Berufung zum Hofprediger in dem berüchtigten " Voigtland ",
der Colonie der Armuth und des Verbrechens, seine memorirte Begeisterung aus¬
strömen ließ, steht Herrn v. Tippelskirch würdig zur Seite. Die schlechten Gas¬
sen jener Borstadt mögen im Anfang erstaunt genug gewesen sein, wenn Sonn¬
tags vor den Kirchthüren eine Reihe eleganter und nobler Equipagen sich drängte;
denn aus dem Munde eines cvurfähigen Apostels wirkt das Evangelium erbau¬
licher, auch wenn er den christlichen Bcttlermantel über die Schultern wirst,
v. Tippelskirch ist ein lieber, frommer Mann, der sich gern dazu hergeben möchte,
auf das "brave, dumme" Boll zu wirken, wie die katholischen Apostelgescllschaf-
len es bis jetzt in Luzern, Freyburg u. s. w. gethan haben. Zu diesem Zweck
gibt er sein "Bolksblatt" heraus, in welchem die politischen und religiösen Welt¬
händel von dem Standpunkt eines Orthodoxen des 17. Jahrhunderts aus beleuch¬
tet werden, ein Blatt, welches von christlich denkenden Genossenschaften neben dem


Halle und seine Universität.



II.

Die es«ol»all<b«n Reaktionär« u. TW»«l»Nrch, (Suerick-, Tholuck. — Die Aristokratie rar Keistreichen. —
Die legitimen Hegelianer. — Der „Sünvcnmnllcr," Erdmann, Hinrichs, Schalter. — Die freien
Gemeinden. — Snpranaluralistischc Aesthetik.

Wenn Heinrich Leo das eigentliche Genie, das Wunderkind der romantisch-
theologischen Reaction zu nennen ist, so steht zu seiner Rechten eine ganze Reihe
wackerer Kämpen, die sich mit eben so großer Entschiedenheit mit den Windmühlen
des Zeitgeistes herumschlagen, wenn auch nicht gerade in derselben Rüstung, in der
sich der Don Qnirvte der Legitimität so sehr gefällt, die auf der einen Seite die
Maske eines heiligen Propheten, auf der anderen die eines Clown trägt.

Der eifrigste, wenn auch nicht der geistvollste Mitarbeiter im Weinberge des
Herrn ist Herr v. Tippelskirch, einer der wenigen Edelleute, der von der
Liebe Gottes so durchdrungen ist, daß er sich zu der in Preußen gar nicht „noblen"
Stellung eines Predigers und eines Volksfnhrcrs hergegeben hat. Wenn freilich
das Ideal der jetzt in Preußen dominirenden Schule, die englische Hochkirche im
Staat Friedrich des Großen eingeführt werden konnte, so würde man bald sehen,
wie das Wort Gottes in der Brust unserer jungen Edelleute mächtig Wurzeln
schlägt, wie von allen Kanzeln die heilige Predigt der Liebe von „ hochgebornen "
Lippen erschallt. Jetzt sind es nur noch Wenige; Herr von Gerlach in Ber¬
lin , der vor seiner Berufung zum Hofprediger in dem berüchtigten „ Voigtland ",
der Colonie der Armuth und des Verbrechens, seine memorirte Begeisterung aus¬
strömen ließ, steht Herrn v. Tippelskirch würdig zur Seite. Die schlechten Gas¬
sen jener Borstadt mögen im Anfang erstaunt genug gewesen sein, wenn Sonn¬
tags vor den Kirchthüren eine Reihe eleganter und nobler Equipagen sich drängte;
denn aus dem Munde eines cvurfähigen Apostels wirkt das Evangelium erbau¬
licher, auch wenn er den christlichen Bcttlermantel über die Schultern wirst,
v. Tippelskirch ist ein lieber, frommer Mann, der sich gern dazu hergeben möchte,
auf das „brave, dumme" Boll zu wirken, wie die katholischen Apostelgescllschaf-
len es bis jetzt in Luzern, Freyburg u. s. w. gethan haben. Zu diesem Zweck
gibt er sein „Bolksblatt" heraus, in welchem die politischen und religiösen Welt¬
händel von dem Standpunkt eines Orthodoxen des 17. Jahrhunderts aus beleuch¬
tet werden, ein Blatt, welches von christlich denkenden Genossenschaften neben dem


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[0518] Halle und seine Universität. II. Die es«ol»all<b«n Reaktionär« u. TW»«l»Nrch, (Suerick-, Tholuck. — Die Aristokratie rar Keistreichen. — Die legitimen Hegelianer. — Der „Sünvcnmnllcr," Erdmann, Hinrichs, Schalter. — Die freien Gemeinden. — Snpranaluralistischc Aesthetik. Wenn Heinrich Leo das eigentliche Genie, das Wunderkind der romantisch- theologischen Reaction zu nennen ist, so steht zu seiner Rechten eine ganze Reihe wackerer Kämpen, die sich mit eben so großer Entschiedenheit mit den Windmühlen des Zeitgeistes herumschlagen, wenn auch nicht gerade in derselben Rüstung, in der sich der Don Qnirvte der Legitimität so sehr gefällt, die auf der einen Seite die Maske eines heiligen Propheten, auf der anderen die eines Clown trägt. Der eifrigste, wenn auch nicht der geistvollste Mitarbeiter im Weinberge des Herrn ist Herr v. Tippelskirch, einer der wenigen Edelleute, der von der Liebe Gottes so durchdrungen ist, daß er sich zu der in Preußen gar nicht „noblen" Stellung eines Predigers und eines Volksfnhrcrs hergegeben hat. Wenn freilich das Ideal der jetzt in Preußen dominirenden Schule, die englische Hochkirche im Staat Friedrich des Großen eingeführt werden konnte, so würde man bald sehen, wie das Wort Gottes in der Brust unserer jungen Edelleute mächtig Wurzeln schlägt, wie von allen Kanzeln die heilige Predigt der Liebe von „ hochgebornen " Lippen erschallt. Jetzt sind es nur noch Wenige; Herr von Gerlach in Ber¬ lin , der vor seiner Berufung zum Hofprediger in dem berüchtigten „ Voigtland ", der Colonie der Armuth und des Verbrechens, seine memorirte Begeisterung aus¬ strömen ließ, steht Herrn v. Tippelskirch würdig zur Seite. Die schlechten Gas¬ sen jener Borstadt mögen im Anfang erstaunt genug gewesen sein, wenn Sonn¬ tags vor den Kirchthüren eine Reihe eleganter und nobler Equipagen sich drängte; denn aus dem Munde eines cvurfähigen Apostels wirkt das Evangelium erbau¬ licher, auch wenn er den christlichen Bcttlermantel über die Schultern wirst, v. Tippelskirch ist ein lieber, frommer Mann, der sich gern dazu hergeben möchte, auf das „brave, dumme" Boll zu wirken, wie die katholischen Apostelgescllschaf- len es bis jetzt in Luzern, Freyburg u. s. w. gethan haben. Zu diesem Zweck gibt er sein „Bolksblatt" heraus, in welchem die politischen und religiösen Welt¬ händel von dem Standpunkt eines Orthodoxen des 17. Jahrhunderts aus beleuch¬ tet werden, ein Blatt, welches von christlich denkenden Genossenschaften neben dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/518>, abgerufen am 03.07.2024.