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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Hatte und seine Universität.



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studentische Rei"lui"e""ze". -- Physignomie der Stadt. -- Die Kliniken. -- Di" Theologl". --
Heineich Leo,

Ein Misanthrop sagte einmal: Gott hat die Menschen geschaffen, aber sie sind
auch danach. Die Stadt Halle kann sich wohl nicht rühmen, unmittelbar ans den
Händen des Allmächtigen hervorgegangen zu sein, aber die Menschen können sich
in der That ihres Werks nicht überheben. Rings um die wunderbare Masse
von Häusern, Gärten, Pfützen, Salinen und Sackgäßchen, die der schematisi-
rende Geograph so gern unter dem Gattungsbegriff Halle zusammenfaßt, zieht
sich eine chinesische Mauer von Lehmsteinen, wehvoll zu schauen, wie die primitiven
Bauwerke irgend eines canadischen UrvolkS, und es ist, als ob sich auf den grauen,
verdrießlichen Wänden in geheimnißvoller Hieroglyphenschrift wie in einem Spin¬
nengewebe die Worte abzeichneten: "Fremdling aus der civilisirten Welt, laß,
wenn du eingehst, jede Hoffnung schwinden!" Ein blaugrauer Dunst breitet sich
unheimlich über diese weite Werkstätte der Kliniken, über diesen Gährungsplatz
der theologischen Wirren, über diese Quellen des Susquehannah, die einst be¬
stimmt zu sein-scheinen, die letzten Mohicauer des specifischen Stndententhums in
einer einsamen Bierkneipe den letzten Broihan ans dem Altare des Vaterlandes
Ipenden zu sehen.


Zu Halle auf dem Markt
Da steht ein großer Löwe.
El du Höllischer, Löwentrotz.
Wie hat man dich gezähmet.

Zwar irren noch sammetrockige Musensöhne mit waldursprünglichen Locken bei
der Ankunft der Eisenbahn an den Waggons vorüber und lauern wie brüllende
Löwen auf die Füchse, die sie verschlingen wollen; aber ach, ihr teutonisches Ange
ist mit einer neumodischen Brille überdeckt, und der Knotenstock, den sonst der
Bursch von echtem Schrot und Korn um das Haupt des "Pomadenhengstes" sausen
ließ, hat sich in ein modernes Gertlein verwandelt, in den altehrwürdigen Kneipen
wird über das Zeitbewußtsein debattirt, und selbst die Träger der guten alten


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Hatte und seine Universität.



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studentische Rei»lui»e««ze». — Physignomie der Stadt. — Die Kliniken. — Di» Theologl». —
Heineich Leo,

Ein Misanthrop sagte einmal: Gott hat die Menschen geschaffen, aber sie sind
auch danach. Die Stadt Halle kann sich wohl nicht rühmen, unmittelbar ans den
Händen des Allmächtigen hervorgegangen zu sein, aber die Menschen können sich
in der That ihres Werks nicht überheben. Rings um die wunderbare Masse
von Häusern, Gärten, Pfützen, Salinen und Sackgäßchen, die der schematisi-
rende Geograph so gern unter dem Gattungsbegriff Halle zusammenfaßt, zieht
sich eine chinesische Mauer von Lehmsteinen, wehvoll zu schauen, wie die primitiven
Bauwerke irgend eines canadischen UrvolkS, und es ist, als ob sich auf den grauen,
verdrießlichen Wänden in geheimnißvoller Hieroglyphenschrift wie in einem Spin¬
nengewebe die Worte abzeichneten: „Fremdling aus der civilisirten Welt, laß,
wenn du eingehst, jede Hoffnung schwinden!" Ein blaugrauer Dunst breitet sich
unheimlich über diese weite Werkstätte der Kliniken, über diesen Gährungsplatz
der theologischen Wirren, über diese Quellen des Susquehannah, die einst be¬
stimmt zu sein-scheinen, die letzten Mohicauer des specifischen Stndententhums in
einer einsamen Bierkneipe den letzten Broihan ans dem Altare des Vaterlandes
Ipenden zu sehen.


Zu Halle auf dem Markt
Da steht ein großer Löwe.
El du Höllischer, Löwentrotz.
Wie hat man dich gezähmet.

Zwar irren noch sammetrockige Musensöhne mit waldursprünglichen Locken bei
der Ankunft der Eisenbahn an den Waggons vorüber und lauern wie brüllende
Löwen auf die Füchse, die sie verschlingen wollen; aber ach, ihr teutonisches Ange
ist mit einer neumodischen Brille überdeckt, und der Knotenstock, den sonst der
Bursch von echtem Schrot und Korn um das Haupt des „Pomadenhengstes" sausen
ließ, hat sich in ein modernes Gertlein verwandelt, in den altehrwürdigen Kneipen
wird über das Zeitbewußtsein debattirt, und selbst die Träger der guten alten


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[0461] Hatte und seine Universität. i studentische Rei»lui»e««ze». — Physignomie der Stadt. — Die Kliniken. — Di» Theologl». — Heineich Leo, Ein Misanthrop sagte einmal: Gott hat die Menschen geschaffen, aber sie sind auch danach. Die Stadt Halle kann sich wohl nicht rühmen, unmittelbar ans den Händen des Allmächtigen hervorgegangen zu sein, aber die Menschen können sich in der That ihres Werks nicht überheben. Rings um die wunderbare Masse von Häusern, Gärten, Pfützen, Salinen und Sackgäßchen, die der schematisi- rende Geograph so gern unter dem Gattungsbegriff Halle zusammenfaßt, zieht sich eine chinesische Mauer von Lehmsteinen, wehvoll zu schauen, wie die primitiven Bauwerke irgend eines canadischen UrvolkS, und es ist, als ob sich auf den grauen, verdrießlichen Wänden in geheimnißvoller Hieroglyphenschrift wie in einem Spin¬ nengewebe die Worte abzeichneten: „Fremdling aus der civilisirten Welt, laß, wenn du eingehst, jede Hoffnung schwinden!" Ein blaugrauer Dunst breitet sich unheimlich über diese weite Werkstätte der Kliniken, über diesen Gährungsplatz der theologischen Wirren, über diese Quellen des Susquehannah, die einst be¬ stimmt zu sein-scheinen, die letzten Mohicauer des specifischen Stndententhums in einer einsamen Bierkneipe den letzten Broihan ans dem Altare des Vaterlandes Ipenden zu sehen. Zu Halle auf dem Markt Da steht ein großer Löwe. El du Höllischer, Löwentrotz. Wie hat man dich gezähmet. Zwar irren noch sammetrockige Musensöhne mit waldursprünglichen Locken bei der Ankunft der Eisenbahn an den Waggons vorüber und lauern wie brüllende Löwen auf die Füchse, die sie verschlingen wollen; aber ach, ihr teutonisches Ange ist mit einer neumodischen Brille überdeckt, und der Knotenstock, den sonst der Bursch von echtem Schrot und Korn um das Haupt des „Pomadenhengstes" sausen ließ, hat sich in ein modernes Gertlein verwandelt, in den altehrwürdigen Kneipen wird über das Zeitbewußtsein debattirt, und selbst die Träger der guten alten G«n;5oder. IV. t»i7. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/461>, abgerufen am 22.07.2024.