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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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tes keinen Eintrag zu thun. Mit einer gewissen Wehmut!) verweilte er bei der
Schilderung vergangener Kirchenpracht. Er erinnerte sich noch mancher Scenen
des glänzenden Hoflagers der letzten Fürstbischöfe, und erzählte mit Befriedigung
von den Erfolgen, die deren Vorgänger in den ewigen Fehden mit den Herzögen
von Braunschweig und Calenberg errungen hatten. Die Thurmglocken und die
Signale der Nachtwächter verkündeten Mitternacht, als wir schieden.

Der Schlaf, der meine Sinne gefangen nahm, fast ehe mich die Decke ein¬
hüllte, war tief, das verhinderte jedoch nicht, daß ihn manche Traumgestalten um-
tanzten, die den Mythen des alten Herrn angehörten.


II.

Hildesheim ist eine jener Städte, deren Blüthezeit in das Mittelalter fiel.
Sowohl wegen des herrschenden Systems der Centralisation aller Lebensquellen
des Staats in der Hauptstadt, als auch theils wegen des am Althergebrachten
klebenden Sinnes ihrer Bewohner, scheinen sie nicht wieder zu dem alten Ansehn
gelangen zu können. Die Segnungen eines 30 jährigen Friedens sind spurlos für
den Wohlstand der Stadt vorübergegangen, ihre Straßen sind öde, und die krumme
Folge alterthümlicher Giebelbanten unterbricht uur selteu ein modernes, von Un¬
ternehmungsgeist zeugendes Gebäude.

Von der jetzigen Verwaltung wird das Interesse der Stadt möglichst gewahrt.
Der Bürgermeister Lüntzel steht derselben mit Aufopferung vor. Er war vor dem
Regierungswechsel ein Mitglied der Kammer. Als Vorkämpfer des entschiedenen
Fortschrittes hat er sich in derselben einen Namen gemacht. Die Eisenbahn so wie
manches andere Gute, hat die Stadt größtentheils seinem rastlosen Eifer zu danken.
Alle Bemühungen solcher Patrioten konnten nicht den entsprechenden Erfolg haben.
Dem Geschmacke der Unabhängigen kann jetzt der Reiz einer schönen Narur die
aufregenden Vergnügungen einer Weltstadt uicht ersetzen, und die Unbemittelten
treibt Fama's trügerisches Posaunen, ihr Glück in dem kleinen Paris ihres Vatn-
landes zu versuchen. Darum sprießt Gras in Hildesheimes Gassen, und der
Schritt des Besuchers hallt auf den weiten Fluren der Bürgerhäuser als wären
sie ohne Bewohner.

Der alte Bischofssitz ist im deutsche" Vaterlande wenig bekannt. In weiteren
Kreisen hat man von seinem Dome, in engeren auch uoch von der Domschcule
und dem freundlichen Berghölzcheu gehört. Von dem reichen Schatze mittelalter¬
licher Denkmäler, den es birgt, wissen wenige etwas. Erstaunt betrachtet der
kunstsinnige Fremde, den fast uur der Zufall herführte, die prächtigen Kirchenbau-
ten. Beinahe jedes Haus sieht er mit Schnitzarbeiten geschmückt, von denen viele
den berühmten Fischer'schen in Nürnberg nichts nachgeben. Er ist überrascht von
seinen Entdeckungen, wie ich es war.

Viele die sich für mittelalterliche Kunst interessiren eilen unbekümmert von el-


tes keinen Eintrag zu thun. Mit einer gewissen Wehmut!) verweilte er bei der
Schilderung vergangener Kirchenpracht. Er erinnerte sich noch mancher Scenen
des glänzenden Hoflagers der letzten Fürstbischöfe, und erzählte mit Befriedigung
von den Erfolgen, die deren Vorgänger in den ewigen Fehden mit den Herzögen
von Braunschweig und Calenberg errungen hatten. Die Thurmglocken und die
Signale der Nachtwächter verkündeten Mitternacht, als wir schieden.

Der Schlaf, der meine Sinne gefangen nahm, fast ehe mich die Decke ein¬
hüllte, war tief, das verhinderte jedoch nicht, daß ihn manche Traumgestalten um-
tanzten, die den Mythen des alten Herrn angehörten.


II.

Hildesheim ist eine jener Städte, deren Blüthezeit in das Mittelalter fiel.
Sowohl wegen des herrschenden Systems der Centralisation aller Lebensquellen
des Staats in der Hauptstadt, als auch theils wegen des am Althergebrachten
klebenden Sinnes ihrer Bewohner, scheinen sie nicht wieder zu dem alten Ansehn
gelangen zu können. Die Segnungen eines 30 jährigen Friedens sind spurlos für
den Wohlstand der Stadt vorübergegangen, ihre Straßen sind öde, und die krumme
Folge alterthümlicher Giebelbanten unterbricht uur selteu ein modernes, von Un¬
ternehmungsgeist zeugendes Gebäude.

Von der jetzigen Verwaltung wird das Interesse der Stadt möglichst gewahrt.
Der Bürgermeister Lüntzel steht derselben mit Aufopferung vor. Er war vor dem
Regierungswechsel ein Mitglied der Kammer. Als Vorkämpfer des entschiedenen
Fortschrittes hat er sich in derselben einen Namen gemacht. Die Eisenbahn so wie
manches andere Gute, hat die Stadt größtentheils seinem rastlosen Eifer zu danken.
Alle Bemühungen solcher Patrioten konnten nicht den entsprechenden Erfolg haben.
Dem Geschmacke der Unabhängigen kann jetzt der Reiz einer schönen Narur die
aufregenden Vergnügungen einer Weltstadt uicht ersetzen, und die Unbemittelten
treibt Fama's trügerisches Posaunen, ihr Glück in dem kleinen Paris ihres Vatn-
landes zu versuchen. Darum sprießt Gras in Hildesheimes Gassen, und der
Schritt des Besuchers hallt auf den weiten Fluren der Bürgerhäuser als wären
sie ohne Bewohner.

Der alte Bischofssitz ist im deutsche» Vaterlande wenig bekannt. In weiteren
Kreisen hat man von seinem Dome, in engeren auch uoch von der Domschcule
und dem freundlichen Berghölzcheu gehört. Von dem reichen Schatze mittelalter¬
licher Denkmäler, den es birgt, wissen wenige etwas. Erstaunt betrachtet der
kunstsinnige Fremde, den fast uur der Zufall herführte, die prächtigen Kirchenbau-
ten. Beinahe jedes Haus sieht er mit Schnitzarbeiten geschmückt, von denen viele
den berühmten Fischer'schen in Nürnberg nichts nachgeben. Er ist überrascht von
seinen Entdeckungen, wie ich es war.

Viele die sich für mittelalterliche Kunst interessiren eilen unbekümmert von el-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/423>, abgerufen am 11.12.2024.