Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.Hi. Aus Berlin. Unnöthige Corruption.-- Die Bielefelder Angelegenheit. --Zur Charakteristik der Parteien. -- Die politische Ehre. Wenn die conservativen Blätter auf Frankreich, Spanien, selbst England zu sprechen Hi. Aus Berlin. Unnöthige Corruption.— Die Bielefelder Angelegenheit. —Zur Charakteristik der Parteien. — Die politische Ehre. Wenn die conservativen Blätter auf Frankreich, Spanien, selbst England zu sprechen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184998"/> </div> </div> <div n="2"> <head> Hi.<lb/> Aus Berlin.</head><lb/> <note type="argument"> Unnöthige Corruption.— Die Bielefelder Angelegenheit. —Zur Charakteristik der Parteien. — Die politische Ehre.</note><lb/> <p xml:id="ID_778" next="#ID_779"> Wenn die conservativen Blätter auf Frankreich, Spanien, selbst England zu sprechen<lb/> kommen, so kann man sicher sein, daß das zweite, dritte Wort „Korruption" lauten und daß<lb/> der demoralisierende Einfluß des Gouvernements aus die von ihnen abhängigen Städte<lb/> und Gemeinden in Bezug auf die Deputirtenwahlen mit einer Salbung, die eines<lb/> Puritaners aus den Zeiten des in Gott ruhenden Oliver her würdig wäre, erläutert<lb/> werden wird. Heil uns, die wir in einem absoluten Staat leben, wo die Negierung<lb/> es nicht nöthig hat, zu bestechen, zu drohen oder aus irgend eine indirecte Art aus<lb/> die Gesinnung der Bürger zu influiren, denn sie kennt eben keine Bürger, sie kennt<lb/> nur Unterthanen, lind wer würde zu reden wagen, wenn Cäsar seine Stimme erschal¬<lb/> len läßt? — Das Bielefelder Ereigniß u. a. konnte diesem patriotischem Gefühl denn<lb/> doch einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Stadt wählt einen mißliebigen<lb/> Deputirten, und man nimmt ihr dafür die Garnison, von der sie lebt. Voll Schrecken<lb/> wirst sie sich der Regierung zu Füßen, und mau deutet ihr an, sie könne wieder in<lb/> den Stand der Gnade treten, wenn sie jenem mißliebigen Abgeordneten sein Mandat<lb/> entzöge. Es geschieht, d. h. die Stadt appellirt an den Patriotismus ihres Mitbürgers,<lb/> und fordert ihn ans, freiwillig zu resigniren. Das patriotische Herz wird weich, und die —<lb/> wenn auch verclausulirte — Resignation erfolgt. Wie soll mau nun über die drei be¬<lb/> theiligten Parteien urtheilen, die Regierung, die Bürgerschaft und den Abgeordneten! Ein<lb/> großer Theil der Liberalen wird geneigt sein, alles, was Gehässiges in der ganzen<lb/> Geschichte liegt, der Negierung in die Schuhe zu schieben. Allein das tugendhafte<lb/> Bewußtsein der preußischen Nationalität möge sich nur darüber klar werden, daß so<lb/> etwas überall vorkommen wird, wo ein Conflict der Tendenzen im Staatsleben sich aus¬<lb/> bildet. Die Regierung steht nicht über den Parteien, sie ist Partei, d. h. sie hat<lb/> einen bestimmten Zweck, den sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt,<lb/> und der von den Zwecken einzelner ihrer Unterthanen abweicht. Sie wird ähnliche<lb/> Mittel, wie das vorhin erwähnte, uicht anwenden, wo sie mächtig genug ist, um tole¬<lb/> rant sein zu können, wo die Minorität zu gering ist, um ihr irgend eine ernstliche<lb/> Besorgnis? einzuflößen; sie wird aber dazu greifen, wo ihr Uebergewicht nur noch ein<lb/> künstliches ist. Das Verfahren der preußischen Regierung unterscheidet sich von dem<lb/> „wälschen" Treiben nur durch eine gewisse patriarchalische, waldursprünglichc Offenher¬<lb/> zigkeit. Auch das Verfahren der Bürgerschaft darf nicht allzu hart beurtheilt wer¬<lb/> den. Es ist ein unnatürliches und sinnloses Verhältniß, diese Existenz kleiner Städte,<lb/> die nicht durch sich selbst bestehn, sondern durch das, was die bewaffneten Spaziergän¬<lb/> ger verzehren; aber es ist einmal vorhanden. Für die Bürgerschaft eines armen Ne¬<lb/> stes ist es eine sehr ernste Frage, eine Frage, in der es sich geradezu um die Existenz<lb/> handelt. Daß diejenige Gesinnung, welche man politisches Ehrgefühl nennt, und die<lb/> darin besteht, die materiellen Interessen deu ideellen gern und unbedingt zu opfern, am<lb/> wenigsten in dem spießbürgerlichen Philisterthum kleiner Städte zu Hause ist, liegt in<lb/> der Natur der Sache. Ehrgefühl knüpft sich immer an einen Stand, eine Corporation,<lb/> eine Farbe, und die Bürger bilden in unserer Zeit des nivcllirenden Absolutismus kei¬<lb/> nen Stand. Man darf diesen Zustand beklagen, aber man muß nicht zu hart in dem<lb/> einzelnen Fall aburtheilen, wenn es einmal in den Verhältnissen so begründet ist. Es<lb/> ist ein kläglicher, widerwärtiger Anblick, diese Radikalen, die sich früher so ungebärdig</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Hi.
Aus Berlin.
Unnöthige Corruption.— Die Bielefelder Angelegenheit. —Zur Charakteristik der Parteien. — Die politische Ehre.
Wenn die conservativen Blätter auf Frankreich, Spanien, selbst England zu sprechen
kommen, so kann man sicher sein, daß das zweite, dritte Wort „Korruption" lauten und daß
der demoralisierende Einfluß des Gouvernements aus die von ihnen abhängigen Städte
und Gemeinden in Bezug auf die Deputirtenwahlen mit einer Salbung, die eines
Puritaners aus den Zeiten des in Gott ruhenden Oliver her würdig wäre, erläutert
werden wird. Heil uns, die wir in einem absoluten Staat leben, wo die Negierung
es nicht nöthig hat, zu bestechen, zu drohen oder aus irgend eine indirecte Art aus
die Gesinnung der Bürger zu influiren, denn sie kennt eben keine Bürger, sie kennt
nur Unterthanen, lind wer würde zu reden wagen, wenn Cäsar seine Stimme erschal¬
len läßt? — Das Bielefelder Ereigniß u. a. konnte diesem patriotischem Gefühl denn
doch einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Stadt wählt einen mißliebigen
Deputirten, und man nimmt ihr dafür die Garnison, von der sie lebt. Voll Schrecken
wirst sie sich der Regierung zu Füßen, und mau deutet ihr an, sie könne wieder in
den Stand der Gnade treten, wenn sie jenem mißliebigen Abgeordneten sein Mandat
entzöge. Es geschieht, d. h. die Stadt appellirt an den Patriotismus ihres Mitbürgers,
und fordert ihn ans, freiwillig zu resigniren. Das patriotische Herz wird weich, und die —
wenn auch verclausulirte — Resignation erfolgt. Wie soll mau nun über die drei be¬
theiligten Parteien urtheilen, die Regierung, die Bürgerschaft und den Abgeordneten! Ein
großer Theil der Liberalen wird geneigt sein, alles, was Gehässiges in der ganzen
Geschichte liegt, der Negierung in die Schuhe zu schieben. Allein das tugendhafte
Bewußtsein der preußischen Nationalität möge sich nur darüber klar werden, daß so
etwas überall vorkommen wird, wo ein Conflict der Tendenzen im Staatsleben sich aus¬
bildet. Die Regierung steht nicht über den Parteien, sie ist Partei, d. h. sie hat
einen bestimmten Zweck, den sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt,
und der von den Zwecken einzelner ihrer Unterthanen abweicht. Sie wird ähnliche
Mittel, wie das vorhin erwähnte, uicht anwenden, wo sie mächtig genug ist, um tole¬
rant sein zu können, wo die Minorität zu gering ist, um ihr irgend eine ernstliche
Besorgnis? einzuflößen; sie wird aber dazu greifen, wo ihr Uebergewicht nur noch ein
künstliches ist. Das Verfahren der preußischen Regierung unterscheidet sich von dem
„wälschen" Treiben nur durch eine gewisse patriarchalische, waldursprünglichc Offenher¬
zigkeit. Auch das Verfahren der Bürgerschaft darf nicht allzu hart beurtheilt wer¬
den. Es ist ein unnatürliches und sinnloses Verhältniß, diese Existenz kleiner Städte,
die nicht durch sich selbst bestehn, sondern durch das, was die bewaffneten Spaziergän¬
ger verzehren; aber es ist einmal vorhanden. Für die Bürgerschaft eines armen Ne¬
stes ist es eine sehr ernste Frage, eine Frage, in der es sich geradezu um die Existenz
handelt. Daß diejenige Gesinnung, welche man politisches Ehrgefühl nennt, und die
darin besteht, die materiellen Interessen deu ideellen gern und unbedingt zu opfern, am
wenigsten in dem spießbürgerlichen Philisterthum kleiner Städte zu Hause ist, liegt in
der Natur der Sache. Ehrgefühl knüpft sich immer an einen Stand, eine Corporation,
eine Farbe, und die Bürger bilden in unserer Zeit des nivcllirenden Absolutismus kei¬
nen Stand. Man darf diesen Zustand beklagen, aber man muß nicht zu hart in dem
einzelnen Fall aburtheilen, wenn es einmal in den Verhältnissen so begründet ist. Es
ist ein kläglicher, widerwärtiger Anblick, diese Radikalen, die sich früher so ungebärdig
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