Wer ist's, der mit sinnender Stirn, tiefblickend und ernst, gewichtigen Gan¬ ges die Straße daherkomme? Das Haupt gesenkt, in der Rechten den Krückstock und die andere Hand auf dem Rucke", so wandelt er langsam: gewiß! auf seinen Schultern ruhet eine mächtige Last, er ist schuldig, der Geschichte Rechenschaft ab¬ zulegen von seinem Thu"; -- wer ist's? --
Ein vorübergehender Bürger entbot dem also Wandelnden einen "guten Tag, Herr Weise!" Er schaute finster auf, und lüftete den Hut ein wenig, zum Gegen¬ gruß mit dem Kopfe nachlässig nickend. Doch die Leute aus der Straße sind nicht alle gleicher Qualität; der eilige Mann z. B., welcher nun herankommt, macht einen ganz andern Eindruck. Vor ihm flog Herr Weise, der Canzellist, leichtfüßig vom Trottoir herunter auf die Seite nach den Häusern zu, und zog, Front machend, mit einer langanhaltender, snbmisseu Verbeugung tief und ehrer¬ bietig den Hut. "Es ist erst drei Viertel!" sagte der Vorbeieilende, indem er, sei¬ nen Schritt mäßigend und die Weste in die Hohe schiebend, die Uhr aus der Tasche zog, und sie dem Cauzellisteu halb drohend, halb vertraulich, entgegenhielt, "Dienststuude halten!"
Herr Weise stand in Ehrerbietung versunken mit dem Hute in der Hand sprachlos da, dem Davoneilenden nachschauend, bis derselbe um die Ecke herum verschwand. "So hat mich meine Uhr betrogen, Herr Inspector!" murmelte er kopfschüttelnd vor sich hin, und setzte dann seinen Weg etwas herabgestimmter weiter fort.
Er kam an seine Hausthür und klingelte; er klingelte noch einmal und -- zum drittenmal: "Wie lange soll ich hier stehen," rief er der die Thüre nun öff¬ nenden Dienstmagd mit scheidender Stimme zu, "die Achtung, welche Du mir als Deinem Herrn schuldig bist, sollte Dich veranlassen, Deinen Dienst bezüglich auf mich besser zu versehen." - Das Dienstmädchen erwiderte: "Ach Gott! Herr Weise, ich konnte nicht im Nu abkommen, weil die Suppe gerade im Kochen war." -- "Die Suppe darf und soll nicht im Kochen sein, wenn ich komme," brummte der Hausherr, und ging in die Stube. "Warum ist noch nicht gedeckt, Eleo-
Gi» deutscher Canzellist. Aus dem Leben.
Wer ist's, der mit sinnender Stirn, tiefblickend und ernst, gewichtigen Gan¬ ges die Straße daherkomme? Das Haupt gesenkt, in der Rechten den Krückstock und die andere Hand auf dem Rucke», so wandelt er langsam: gewiß! auf seinen Schultern ruhet eine mächtige Last, er ist schuldig, der Geschichte Rechenschaft ab¬ zulegen von seinem Thu»; — wer ist's? —
Ein vorübergehender Bürger entbot dem also Wandelnden einen „guten Tag, Herr Weise!" Er schaute finster auf, und lüftete den Hut ein wenig, zum Gegen¬ gruß mit dem Kopfe nachlässig nickend. Doch die Leute aus der Straße sind nicht alle gleicher Qualität; der eilige Mann z. B., welcher nun herankommt, macht einen ganz andern Eindruck. Vor ihm flog Herr Weise, der Canzellist, leichtfüßig vom Trottoir herunter auf die Seite nach den Häusern zu, und zog, Front machend, mit einer langanhaltender, snbmisseu Verbeugung tief und ehrer¬ bietig den Hut. „Es ist erst drei Viertel!" sagte der Vorbeieilende, indem er, sei¬ nen Schritt mäßigend und die Weste in die Hohe schiebend, die Uhr aus der Tasche zog, und sie dem Cauzellisteu halb drohend, halb vertraulich, entgegenhielt, „Dienststuude halten!"
Herr Weise stand in Ehrerbietung versunken mit dem Hute in der Hand sprachlos da, dem Davoneilenden nachschauend, bis derselbe um die Ecke herum verschwand. „So hat mich meine Uhr betrogen, Herr Inspector!" murmelte er kopfschüttelnd vor sich hin, und setzte dann seinen Weg etwas herabgestimmter weiter fort.
Er kam an seine Hausthür und klingelte; er klingelte noch einmal und — zum drittenmal: „Wie lange soll ich hier stehen," rief er der die Thüre nun öff¬ nenden Dienstmagd mit scheidender Stimme zu, „die Achtung, welche Du mir als Deinem Herrn schuldig bist, sollte Dich veranlassen, Deinen Dienst bezüglich auf mich besser zu versehen." - Das Dienstmädchen erwiderte: „Ach Gott! Herr Weise, ich konnte nicht im Nu abkommen, weil die Suppe gerade im Kochen war." — „Die Suppe darf und soll nicht im Kochen sein, wenn ich komme," brummte der Hausherr, und ging in die Stube. „Warum ist noch nicht gedeckt, Eleo-
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Gi» deutscher Canzellist.
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Wer ist's, der mit sinnender Stirn, tiefblickend und ernst, gewichtigen Gan¬
ges die Straße daherkomme? Das Haupt gesenkt, in der Rechten den Krückstock
und die andere Hand auf dem Rucke», so wandelt er langsam: gewiß! auf seinen
Schultern ruhet eine mächtige Last, er ist schuldig, der Geschichte Rechenschaft ab¬
zulegen von seinem Thu»; — wer ist's? —
Ein vorübergehender Bürger entbot dem also Wandelnden einen „guten Tag,
Herr Weise!" Er schaute finster auf, und lüftete den Hut ein wenig, zum Gegen¬
gruß mit dem Kopfe nachlässig nickend. Doch die Leute aus der Straße sind
nicht alle gleicher Qualität; der eilige Mann z. B., welcher nun herankommt,
macht einen ganz andern Eindruck. Vor ihm flog Herr Weise, der Canzellist,
leichtfüßig vom Trottoir herunter auf die Seite nach den Häusern zu, und zog,
Front machend, mit einer langanhaltender, snbmisseu Verbeugung tief und ehrer¬
bietig den Hut. „Es ist erst drei Viertel!" sagte der Vorbeieilende, indem er, sei¬
nen Schritt mäßigend und die Weste in die Hohe schiebend, die Uhr aus der
Tasche zog, und sie dem Cauzellisteu halb drohend, halb vertraulich, entgegenhielt,
„Dienststuude halten!"
Herr Weise stand in Ehrerbietung versunken mit dem Hute in der Hand
sprachlos da, dem Davoneilenden nachschauend, bis derselbe um die Ecke herum
verschwand. „So hat mich meine Uhr betrogen, Herr Inspector!" murmelte er
kopfschüttelnd vor sich hin, und setzte dann seinen Weg etwas herabgestimmter
weiter fort.
Er kam an seine Hausthür und klingelte; er klingelte noch einmal und —
zum drittenmal: „Wie lange soll ich hier stehen," rief er der die Thüre nun öff¬
nenden Dienstmagd mit scheidender Stimme zu, „die Achtung, welche Du mir als
Deinem Herrn schuldig bist, sollte Dich veranlassen, Deinen Dienst bezüglich auf
mich besser zu versehen." - Das Dienstmädchen erwiderte: „Ach Gott! Herr
Weise, ich konnte nicht im Nu abkommen, weil die Suppe gerade im Kochen war."
— „Die Suppe darf und soll nicht im Kochen sein, wenn ich komme," brummte
der Hausherr, und ging in die Stube. „Warum ist noch nicht gedeckt, Eleo-
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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/160>, abgerufen am 23.01.2025.
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