Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Philoloaenverfammlmtg in Jena.



Die Vereine, die in der Menge und Ausdehnung, in der sie em¬
portauchen, wie oft bemerkt ist, eine eigenthümliche Erscheinung unse¬
rer Zeit sind, haben bewußt oder unbewußt, eingestandener und un-
eingestandener Weise eine entschiedene demokratische Tendenz. Der ab¬
solute Staat beruht auf der Vereinzelung der Individuen in einer un¬
organischen Masse, die sich nicht durch sich selbst bewegt, bestimmt und
entwickelt, sondern von der Verwaltung bestimmt, geleitet und gema߬
regelt wird, also ihre Einheit auch nur in der Verwaltung hat, deren
nicht nur ostensibler Zweck das Wohl der Einzelnen ist. Darum ist
jeder Verein, dessen Zweck über den besondern Vortheil der einzelnen
Theilnehmer hinausgreift und auf die Gestaltung des öffentlichen Le¬
bens in irgend einer Sphäre hinauslauft, an sich ein Ankämpfen ge¬
gen den absoluten Verwaltungsstaat, für dessen positive Thätigkeit er
zur Schranke wird. Die durch das Vereinswesen ihres positiven In¬
halts immer mehr entleerte Verwaltung wird naturgemäß darauf hin¬
getrieben, ihre negative Seite immer schärfer herauszubilden, und in¬
dem sie sich damit als Polizeistaat, bloslegt, erscheint sie zuletzt nur
noch als Fessel, nicht als Gesetz des Volkslebens. Eine zweite Seile
des Vereinswesens ist die nationale, indem die Vereine, über die
zufälligen und willkürlichen politischen Grenzen hinausgreifend, diese
in ihrer Bedeutungslosigkeit aufzeigen und die Einheit des deutschen
Volksbewußtseins und des deutschen Volkslebens anbahnen. Daß die
Regierungen auf die Vereine und besonders auf die, welche sich von
vornherein einen deutschen Charakter zusprechen, ein scharfes Augen¬
merk richten, ist ihnen nach dem Gesagten durchaus nicht zu verdenken.
Freilich macht sich hierbei sogleich ein wesentlicher Unterschied bemerk-


Trenzboten. IV. 12
Die Philoloaenverfammlmtg in Jena.



Die Vereine, die in der Menge und Ausdehnung, in der sie em¬
portauchen, wie oft bemerkt ist, eine eigenthümliche Erscheinung unse¬
rer Zeit sind, haben bewußt oder unbewußt, eingestandener und un-
eingestandener Weise eine entschiedene demokratische Tendenz. Der ab¬
solute Staat beruht auf der Vereinzelung der Individuen in einer un¬
organischen Masse, die sich nicht durch sich selbst bewegt, bestimmt und
entwickelt, sondern von der Verwaltung bestimmt, geleitet und gema߬
regelt wird, also ihre Einheit auch nur in der Verwaltung hat, deren
nicht nur ostensibler Zweck das Wohl der Einzelnen ist. Darum ist
jeder Verein, dessen Zweck über den besondern Vortheil der einzelnen
Theilnehmer hinausgreift und auf die Gestaltung des öffentlichen Le¬
bens in irgend einer Sphäre hinauslauft, an sich ein Ankämpfen ge¬
gen den absoluten Verwaltungsstaat, für dessen positive Thätigkeit er
zur Schranke wird. Die durch das Vereinswesen ihres positiven In¬
halts immer mehr entleerte Verwaltung wird naturgemäß darauf hin¬
getrieben, ihre negative Seite immer schärfer herauszubilden, und in¬
dem sie sich damit als Polizeistaat, bloslegt, erscheint sie zuletzt nur
noch als Fessel, nicht als Gesetz des Volkslebens. Eine zweite Seile
des Vereinswesens ist die nationale, indem die Vereine, über die
zufälligen und willkürlichen politischen Grenzen hinausgreifend, diese
in ihrer Bedeutungslosigkeit aufzeigen und die Einheit des deutschen
Volksbewußtseins und des deutschen Volkslebens anbahnen. Daß die
Regierungen auf die Vereine und besonders auf die, welche sich von
vornherein einen deutschen Charakter zusprechen, ein scharfes Augen¬
merk richten, ist ihnen nach dem Gesagten durchaus nicht zu verdenken.
Freilich macht sich hierbei sogleich ein wesentlicher Unterschied bemerk-


Trenzboten. IV. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183671"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Philoloaenverfammlmtg in Jena.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_205" next="#ID_206"> Die Vereine, die in der Menge und Ausdehnung, in der sie em¬<lb/>
portauchen, wie oft bemerkt ist, eine eigenthümliche Erscheinung unse¬<lb/>
rer Zeit sind, haben bewußt oder unbewußt, eingestandener und un-<lb/>
eingestandener Weise eine entschiedene demokratische Tendenz. Der ab¬<lb/>
solute Staat beruht auf der Vereinzelung der Individuen in einer un¬<lb/>
organischen Masse, die sich nicht durch sich selbst bewegt, bestimmt und<lb/>
entwickelt, sondern von der Verwaltung bestimmt, geleitet und gema߬<lb/>
regelt wird, also ihre Einheit auch nur in der Verwaltung hat, deren<lb/>
nicht nur ostensibler Zweck das Wohl der Einzelnen ist. Darum ist<lb/>
jeder Verein, dessen Zweck über den besondern Vortheil der einzelnen<lb/>
Theilnehmer hinausgreift und auf die Gestaltung des öffentlichen Le¬<lb/>
bens in irgend einer Sphäre hinauslauft, an sich ein Ankämpfen ge¬<lb/>
gen den absoluten Verwaltungsstaat, für dessen positive Thätigkeit er<lb/>
zur Schranke wird. Die durch das Vereinswesen ihres positiven In¬<lb/>
halts immer mehr entleerte Verwaltung wird naturgemäß darauf hin¬<lb/>
getrieben, ihre negative Seite immer schärfer herauszubilden, und in¬<lb/>
dem sie sich damit als Polizeistaat, bloslegt, erscheint sie zuletzt nur<lb/>
noch als Fessel, nicht als Gesetz des Volkslebens. Eine zweite Seile<lb/>
des Vereinswesens ist die nationale, indem die Vereine, über die<lb/>
zufälligen und willkürlichen politischen Grenzen hinausgreifend, diese<lb/>
in ihrer Bedeutungslosigkeit aufzeigen und die Einheit des deutschen<lb/>
Volksbewußtseins und des deutschen Volkslebens anbahnen. Daß die<lb/>
Regierungen auf die Vereine und besonders auf die, welche sich von<lb/>
vornherein einen deutschen Charakter zusprechen, ein scharfes Augen¬<lb/>
merk richten, ist ihnen nach dem Gesagten durchaus nicht zu verdenken.<lb/>
Freilich macht sich hierbei sogleich ein wesentlicher Unterschied bemerk-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Trenzboten. IV. 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Die Philoloaenverfammlmtg in Jena. Die Vereine, die in der Menge und Ausdehnung, in der sie em¬ portauchen, wie oft bemerkt ist, eine eigenthümliche Erscheinung unse¬ rer Zeit sind, haben bewußt oder unbewußt, eingestandener und un- eingestandener Weise eine entschiedene demokratische Tendenz. Der ab¬ solute Staat beruht auf der Vereinzelung der Individuen in einer un¬ organischen Masse, die sich nicht durch sich selbst bewegt, bestimmt und entwickelt, sondern von der Verwaltung bestimmt, geleitet und gema߬ regelt wird, also ihre Einheit auch nur in der Verwaltung hat, deren nicht nur ostensibler Zweck das Wohl der Einzelnen ist. Darum ist jeder Verein, dessen Zweck über den besondern Vortheil der einzelnen Theilnehmer hinausgreift und auf die Gestaltung des öffentlichen Le¬ bens in irgend einer Sphäre hinauslauft, an sich ein Ankämpfen ge¬ gen den absoluten Verwaltungsstaat, für dessen positive Thätigkeit er zur Schranke wird. Die durch das Vereinswesen ihres positiven In¬ halts immer mehr entleerte Verwaltung wird naturgemäß darauf hin¬ getrieben, ihre negative Seite immer schärfer herauszubilden, und in¬ dem sie sich damit als Polizeistaat, bloslegt, erscheint sie zuletzt nur noch als Fessel, nicht als Gesetz des Volkslebens. Eine zweite Seile des Vereinswesens ist die nationale, indem die Vereine, über die zufälligen und willkürlichen politischen Grenzen hinausgreifend, diese in ihrer Bedeutungslosigkeit aufzeigen und die Einheit des deutschen Volksbewußtseins und des deutschen Volkslebens anbahnen. Daß die Regierungen auf die Vereine und besonders auf die, welche sich von vornherein einen deutschen Charakter zusprechen, ein scharfes Augen¬ merk richten, ist ihnen nach dem Gesagten durchaus nicht zu verdenken. Freilich macht sich hierbei sogleich ein wesentlicher Unterschied bemerk- Trenzboten. IV. 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/89>, abgerufen am 23.07.2024.