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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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hinauslocken; es war ungefähr vierzehn Tage nach meinem abentheuer-
lichen Besuche des Gespensterhäuschenö. Ich traf die freundliche Wir¬
thin zu Hause, ließ mir wieder von ihrem Wein bringen und fragte
dann mit verhaltener Ungeduld nach dem Grafen und der Gräfin R.
Der Herr Graf, erzählte die redselige Frau, sei vor vierzehn Tagen
an einem Nerven schlage gestorben , die Leiche sei köstlich einbalsamirt
drei Tage und drei Nächte ausgestellt gewesen und am vierten sei die
Gräfin mit der Leiche in ihre Heimath nach Rußland gefahren; das
schöne Palais aber stehe jetzt zum Verkaufe frei und werde abmachst
versteigert werden, wenn sich kein Käufer finden sollte. So blieb mir
denn nichts übrig, als den Schauplatz meines Abentheuers noch ein¬
mal zu betrachten. Alles war wie früher, nur war die Villa jetzt fast
so ausgestorben, wie das GespcnsterhäuSchen, da überall die Laden ge¬
schlossen oder Gardinen hinter den Fenstern herabgelassen waren.

Bei dem Anwalt der Gräfin R., dessen Namen die Wirthin mir
genannt, erfuhr ich nur, daß seine Clientin sich nach Rußland zurück¬
begeben und den Winter wahrscheinlich auf ihren Gütern in den Ost¬
seeprovinzen zubringen werde. Von dem kühnen Reiter hörte ich aber
nichts wieder, und der Kellner im Theater wollte ihn das letzte Mal
grade an dem Tage gesehen haben, wo ich meinen Spaziergang nach
Tennewitz gemacht hatte. Das Aufsteigen der Rakete war von ihm
nicht bemerkt worden, der Engländer aber hatte sich sehr rasch und
schon um neun Uhr entfernt, was für den Kellner stets das Zeichen
war, daß er seinen Gast für die nächsten Tage nicht zu erwarten habe,
denn im andern Falle hatte er stets bis zehn Uhr ausgeharrt und sich
schläfrig mit gesenktem Haupte entfernt. Alles dies wollte mir an¬
fangs nicht aus der Seele, dle Glasaugen der Wachsfiguren starrten
mich beständig an, wenn ich allein im dunkeln Zimmer war, bis end¬
lich mein Leben sich so ereignißvoll gestaltete, daß ich kaum Zeit hatte,
mich viel mit mir selbst zu beschäftigen, und so schwand denn zuletzt
immer mehr und mehr die Erinnerung und selten und immer seltener
neckte mich das Erscheinen jener schwarzen Gluthenaugen.


IV.

Der Winter mit seinen Festen und Concerten war vorüber, das
Frühjahr kam und nur noch zum Beschluß hatte man einen Ball im
Casino veranstaltet. Ich überließ mich diesem letzten Rest der Winter¬
vergnügungen und nachdem ich einen Theil des Abends in der hun-


hinauslocken; es war ungefähr vierzehn Tage nach meinem abentheuer-
lichen Besuche des Gespensterhäuschenö. Ich traf die freundliche Wir¬
thin zu Hause, ließ mir wieder von ihrem Wein bringen und fragte
dann mit verhaltener Ungeduld nach dem Grafen und der Gräfin R.
Der Herr Graf, erzählte die redselige Frau, sei vor vierzehn Tagen
an einem Nerven schlage gestorben , die Leiche sei köstlich einbalsamirt
drei Tage und drei Nächte ausgestellt gewesen und am vierten sei die
Gräfin mit der Leiche in ihre Heimath nach Rußland gefahren; das
schöne Palais aber stehe jetzt zum Verkaufe frei und werde abmachst
versteigert werden, wenn sich kein Käufer finden sollte. So blieb mir
denn nichts übrig, als den Schauplatz meines Abentheuers noch ein¬
mal zu betrachten. Alles war wie früher, nur war die Villa jetzt fast
so ausgestorben, wie das GespcnsterhäuSchen, da überall die Laden ge¬
schlossen oder Gardinen hinter den Fenstern herabgelassen waren.

Bei dem Anwalt der Gräfin R., dessen Namen die Wirthin mir
genannt, erfuhr ich nur, daß seine Clientin sich nach Rußland zurück¬
begeben und den Winter wahrscheinlich auf ihren Gütern in den Ost¬
seeprovinzen zubringen werde. Von dem kühnen Reiter hörte ich aber
nichts wieder, und der Kellner im Theater wollte ihn das letzte Mal
grade an dem Tage gesehen haben, wo ich meinen Spaziergang nach
Tennewitz gemacht hatte. Das Aufsteigen der Rakete war von ihm
nicht bemerkt worden, der Engländer aber hatte sich sehr rasch und
schon um neun Uhr entfernt, was für den Kellner stets das Zeichen
war, daß er seinen Gast für die nächsten Tage nicht zu erwarten habe,
denn im andern Falle hatte er stets bis zehn Uhr ausgeharrt und sich
schläfrig mit gesenktem Haupte entfernt. Alles dies wollte mir an¬
fangs nicht aus der Seele, dle Glasaugen der Wachsfiguren starrten
mich beständig an, wenn ich allein im dunkeln Zimmer war, bis end¬
lich mein Leben sich so ereignißvoll gestaltete, daß ich kaum Zeit hatte,
mich viel mit mir selbst zu beschäftigen, und so schwand denn zuletzt
immer mehr und mehr die Erinnerung und selten und immer seltener
neckte mich das Erscheinen jener schwarzen Gluthenaugen.


IV.

Der Winter mit seinen Festen und Concerten war vorüber, das
Frühjahr kam und nur noch zum Beschluß hatte man einen Ball im
Casino veranstaltet. Ich überließ mich diesem letzten Rest der Winter¬
vergnügungen und nachdem ich einen Theil des Abends in der hun-


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[0372] hinauslocken; es war ungefähr vierzehn Tage nach meinem abentheuer- lichen Besuche des Gespensterhäuschenö. Ich traf die freundliche Wir¬ thin zu Hause, ließ mir wieder von ihrem Wein bringen und fragte dann mit verhaltener Ungeduld nach dem Grafen und der Gräfin R. Der Herr Graf, erzählte die redselige Frau, sei vor vierzehn Tagen an einem Nerven schlage gestorben , die Leiche sei köstlich einbalsamirt drei Tage und drei Nächte ausgestellt gewesen und am vierten sei die Gräfin mit der Leiche in ihre Heimath nach Rußland gefahren; das schöne Palais aber stehe jetzt zum Verkaufe frei und werde abmachst versteigert werden, wenn sich kein Käufer finden sollte. So blieb mir denn nichts übrig, als den Schauplatz meines Abentheuers noch ein¬ mal zu betrachten. Alles war wie früher, nur war die Villa jetzt fast so ausgestorben, wie das GespcnsterhäuSchen, da überall die Laden ge¬ schlossen oder Gardinen hinter den Fenstern herabgelassen waren. Bei dem Anwalt der Gräfin R., dessen Namen die Wirthin mir genannt, erfuhr ich nur, daß seine Clientin sich nach Rußland zurück¬ begeben und den Winter wahrscheinlich auf ihren Gütern in den Ost¬ seeprovinzen zubringen werde. Von dem kühnen Reiter hörte ich aber nichts wieder, und der Kellner im Theater wollte ihn das letzte Mal grade an dem Tage gesehen haben, wo ich meinen Spaziergang nach Tennewitz gemacht hatte. Das Aufsteigen der Rakete war von ihm nicht bemerkt worden, der Engländer aber hatte sich sehr rasch und schon um neun Uhr entfernt, was für den Kellner stets das Zeichen war, daß er seinen Gast für die nächsten Tage nicht zu erwarten habe, denn im andern Falle hatte er stets bis zehn Uhr ausgeharrt und sich schläfrig mit gesenktem Haupte entfernt. Alles dies wollte mir an¬ fangs nicht aus der Seele, dle Glasaugen der Wachsfiguren starrten mich beständig an, wenn ich allein im dunkeln Zimmer war, bis end¬ lich mein Leben sich so ereignißvoll gestaltete, daß ich kaum Zeit hatte, mich viel mit mir selbst zu beschäftigen, und so schwand denn zuletzt immer mehr und mehr die Erinnerung und selten und immer seltener neckte mich das Erscheinen jener schwarzen Gluthenaugen. IV. Der Winter mit seinen Festen und Concerten war vorüber, das Frühjahr kam und nur noch zum Beschluß hatte man einen Ball im Casino veranstaltet. Ich überließ mich diesem letzten Rest der Winter¬ vergnügungen und nachdem ich einen Theil des Abends in der hun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/372>, abgerufen am 03.07.2024.