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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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IV.
Heinrich Laube's "Karlsschüler."

Oftmals wurde auf den großen Vortheil hingewiesen, der dem fran¬
zösischen Theaterdichter daraus erwächst, daß ein Stück, wenn es die
Feuerprobe eines Pariser Theaterabends bestand, ein Schicksal für ganz
Frankreich gesichert hat. Der Pariser Dramatiker legt seinen Dichtungs¬
proceß sogleich der allerhöchsten Znstanz vor und hat diese entschieden, so
geht das Urtheil der kleinern Instanzen ohne Einfluß vorüber. Der
scharfsinnigste Kritiker in Lyon, Marseille, Bordeaux und Straßburg kann
dem Stücke keinen Schaden mehr zufügen und der mißlungenste Erfolg
in zehn Provinzialstädten wiegt den einen Succeß in Paris nicht auf.
Wie schlimm dagegen ist der deutsche Dramatiker daran. Das ist ein
wahres Spießruthenlaufen über die sämmtlichen Bühnen der neunund¬
dreißig deutschen Vaterländer. Jede Stadt hat ihr souveraines Urtheil,
und was in Wien ein Lorbeer war, kann sich in Berlin in eine Dor¬
nenkrone umwandeln, die Triumphpforte, die Stuttgart aufgebaut hat,
kann Leipzig wieder ganz umstürzen. Die Majorität der Städte entschei¬
det hier; allein -- von welchen tausend Zufallen hangt diese Majorität
ab! Zehn Bühnen fehlt der Darsteller für diese oder jene Rolle und von
allen zehn tönen Trauerbotschaften und vernichten so den guten Ruf, den
die Dichtung an andern Orten, wo ihr Recht ihr geworden, errungen hat.
Daher dieses ewige Kreuz- und Querseuer von hundert Widersprüchen
und Urtheilen, deren Pulverdampf das wahre Schicksal eines neuen Stücks
in den ersten Monaten gar nicht erkennen lassen und Feinden und Freun¬
den und Cliquenwesen und Particularinteressen den weitesten Spielraum
lassen zu übertriebenen Lobe wie zu übertriebenen Tadel. Es wäre kein
geringes Verdienst unserer jüngern Theaterdichter, die großentheils die
journalistische Schule durchgemacht haben und die praktischen Publicitäts-
und Erfolgsfragen besser und näher kennen, als die Bühnenfchriftstellcr
früherer Zeit, wenn sie die Mittel fanden, um diesem nicht unwesentli¬
chen Nachtheil deutscher Dramenschicksale abzuhelfen.

Heinrich Laube scheint bei der Versendung seines neuesten Dramas
diesen Umstand im Auge gehabt zu haben. Er hat den Versuch gemacht,
sein Stück an einem und demselben Abende an mehrern Bühnen zugleich
aufführen zu lassen, wobei ihm der Umstand zu Gute kam, daß Schiller
der Held des Stücks ist und der Geburtstag desselben ein plausibler Grund
wurde, um die Aufführung gleichzeitig an verschiedenen Punkten für den
II. November festzusetzen. So liegen uns denn bereits Berichte von
zwei Hauptbühnen (Dresden und München) und mehrern kleinern vor,
die über das Schicksal der "Karlsschüler" ein entschiedenes Urtheil erlau¬
ben. Ein Erfolg, der an den entgegengesetzten Ecken Deutschlands gleich¬
mäßig sich herausstellt, wird zu einer Thatsache, die sich nicht umstürzen
und ableugnen läßt, und glücklicherweise siel diese neue Procedur so ent¬
schieden zu Gunsten des Autors aus, daß das Beispiel wahrscheinlich bald
Nachfolger finden wird. Referent hat der Aufführung in Dresden bei¬
gewohnt, wo das Stück in fünf Tagen drei Vorstellungen bei überfüllten,


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IV.
Heinrich Laube's „Karlsschüler."

Oftmals wurde auf den großen Vortheil hingewiesen, der dem fran¬
zösischen Theaterdichter daraus erwächst, daß ein Stück, wenn es die
Feuerprobe eines Pariser Theaterabends bestand, ein Schicksal für ganz
Frankreich gesichert hat. Der Pariser Dramatiker legt seinen Dichtungs¬
proceß sogleich der allerhöchsten Znstanz vor und hat diese entschieden, so
geht das Urtheil der kleinern Instanzen ohne Einfluß vorüber. Der
scharfsinnigste Kritiker in Lyon, Marseille, Bordeaux und Straßburg kann
dem Stücke keinen Schaden mehr zufügen und der mißlungenste Erfolg
in zehn Provinzialstädten wiegt den einen Succeß in Paris nicht auf.
Wie schlimm dagegen ist der deutsche Dramatiker daran. Das ist ein
wahres Spießruthenlaufen über die sämmtlichen Bühnen der neunund¬
dreißig deutschen Vaterländer. Jede Stadt hat ihr souveraines Urtheil,
und was in Wien ein Lorbeer war, kann sich in Berlin in eine Dor¬
nenkrone umwandeln, die Triumphpforte, die Stuttgart aufgebaut hat,
kann Leipzig wieder ganz umstürzen. Die Majorität der Städte entschei¬
det hier; allein — von welchen tausend Zufallen hangt diese Majorität
ab! Zehn Bühnen fehlt der Darsteller für diese oder jene Rolle und von
allen zehn tönen Trauerbotschaften und vernichten so den guten Ruf, den
die Dichtung an andern Orten, wo ihr Recht ihr geworden, errungen hat.
Daher dieses ewige Kreuz- und Querseuer von hundert Widersprüchen
und Urtheilen, deren Pulverdampf das wahre Schicksal eines neuen Stücks
in den ersten Monaten gar nicht erkennen lassen und Feinden und Freun¬
den und Cliquenwesen und Particularinteressen den weitesten Spielraum
lassen zu übertriebenen Lobe wie zu übertriebenen Tadel. Es wäre kein
geringes Verdienst unserer jüngern Theaterdichter, die großentheils die
journalistische Schule durchgemacht haben und die praktischen Publicitäts-
und Erfolgsfragen besser und näher kennen, als die Bühnenfchriftstellcr
früherer Zeit, wenn sie die Mittel fanden, um diesem nicht unwesentli¬
chen Nachtheil deutscher Dramenschicksale abzuhelfen.

Heinrich Laube scheint bei der Versendung seines neuesten Dramas
diesen Umstand im Auge gehabt zu haben. Er hat den Versuch gemacht,
sein Stück an einem und demselben Abende an mehrern Bühnen zugleich
aufführen zu lassen, wobei ihm der Umstand zu Gute kam, daß Schiller
der Held des Stücks ist und der Geburtstag desselben ein plausibler Grund
wurde, um die Aufführung gleichzeitig an verschiedenen Punkten für den
II. November festzusetzen. So liegen uns denn bereits Berichte von
zwei Hauptbühnen (Dresden und München) und mehrern kleinern vor,
die über das Schicksal der „Karlsschüler" ein entschiedenes Urtheil erlau¬
ben. Ein Erfolg, der an den entgegengesetzten Ecken Deutschlands gleich¬
mäßig sich herausstellt, wird zu einer Thatsache, die sich nicht umstürzen
und ableugnen läßt, und glücklicherweise siel diese neue Procedur so ent¬
schieden zu Gunsten des Autors aus, daß das Beispiel wahrscheinlich bald
Nachfolger finden wird. Referent hat der Aufführung in Dresden bei¬
gewohnt, wo das Stück in fünf Tagen drei Vorstellungen bei überfüllten,


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[0307] IV. Heinrich Laube's „Karlsschüler." Oftmals wurde auf den großen Vortheil hingewiesen, der dem fran¬ zösischen Theaterdichter daraus erwächst, daß ein Stück, wenn es die Feuerprobe eines Pariser Theaterabends bestand, ein Schicksal für ganz Frankreich gesichert hat. Der Pariser Dramatiker legt seinen Dichtungs¬ proceß sogleich der allerhöchsten Znstanz vor und hat diese entschieden, so geht das Urtheil der kleinern Instanzen ohne Einfluß vorüber. Der scharfsinnigste Kritiker in Lyon, Marseille, Bordeaux und Straßburg kann dem Stücke keinen Schaden mehr zufügen und der mißlungenste Erfolg in zehn Provinzialstädten wiegt den einen Succeß in Paris nicht auf. Wie schlimm dagegen ist der deutsche Dramatiker daran. Das ist ein wahres Spießruthenlaufen über die sämmtlichen Bühnen der neunund¬ dreißig deutschen Vaterländer. Jede Stadt hat ihr souveraines Urtheil, und was in Wien ein Lorbeer war, kann sich in Berlin in eine Dor¬ nenkrone umwandeln, die Triumphpforte, die Stuttgart aufgebaut hat, kann Leipzig wieder ganz umstürzen. Die Majorität der Städte entschei¬ det hier; allein — von welchen tausend Zufallen hangt diese Majorität ab! Zehn Bühnen fehlt der Darsteller für diese oder jene Rolle und von allen zehn tönen Trauerbotschaften und vernichten so den guten Ruf, den die Dichtung an andern Orten, wo ihr Recht ihr geworden, errungen hat. Daher dieses ewige Kreuz- und Querseuer von hundert Widersprüchen und Urtheilen, deren Pulverdampf das wahre Schicksal eines neuen Stücks in den ersten Monaten gar nicht erkennen lassen und Feinden und Freun¬ den und Cliquenwesen und Particularinteressen den weitesten Spielraum lassen zu übertriebenen Lobe wie zu übertriebenen Tadel. Es wäre kein geringes Verdienst unserer jüngern Theaterdichter, die großentheils die journalistische Schule durchgemacht haben und die praktischen Publicitäts- und Erfolgsfragen besser und näher kennen, als die Bühnenfchriftstellcr früherer Zeit, wenn sie die Mittel fanden, um diesem nicht unwesentli¬ chen Nachtheil deutscher Dramenschicksale abzuhelfen. Heinrich Laube scheint bei der Versendung seines neuesten Dramas diesen Umstand im Auge gehabt zu haben. Er hat den Versuch gemacht, sein Stück an einem und demselben Abende an mehrern Bühnen zugleich aufführen zu lassen, wobei ihm der Umstand zu Gute kam, daß Schiller der Held des Stücks ist und der Geburtstag desselben ein plausibler Grund wurde, um die Aufführung gleichzeitig an verschiedenen Punkten für den II. November festzusetzen. So liegen uns denn bereits Berichte von zwei Hauptbühnen (Dresden und München) und mehrern kleinern vor, die über das Schicksal der „Karlsschüler" ein entschiedenes Urtheil erlau¬ ben. Ein Erfolg, der an den entgegengesetzten Ecken Deutschlands gleich¬ mäßig sich herausstellt, wird zu einer Thatsache, die sich nicht umstürzen und ableugnen läßt, und glücklicherweise siel diese neue Procedur so ent¬ schieden zu Gunsten des Autors aus, daß das Beispiel wahrscheinlich bald Nachfolger finden wird. Referent hat der Aufführung in Dresden bei¬ gewohnt, wo das Stück in fünf Tagen drei Vorstellungen bei überfüllten, 41»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/307>, abgerufen am 05.12.2024.