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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Wiens poetische Federn und Schwingen*).



".
Franz G ritt p a r z e r."

Nicht ohne beklemmendes Weh schreiben wir diesen edlen Dichter-
"amen nieder, der wie ein sich verhüllender Priester durch die deutsche
Literatur geht, nicht genng verhüllt, daß nicht die Strahlen, die eine
Glorie um sein Haupt ziehen, in unsere finstern dramatischen Zustände
ein spärliches Licht geworfen hätten. Aber wie segensreich hätte die¬
ses Licht werden können, wäre es an würdigen Stoffen entzündet wor¬
den! Die Melpomene Grillparzer's, den prächtigsten Sternenmantel ans
den Schultern, durste ihren tragischen Dolch nicht an der höchsten
Aufgabe des dramatischen Dichters, an der vaterländischen Geschichte,
wetzen, sie mußte damit nach hohlen Phantomen zielen und machte da¬
durch kein Blut fließen, das, wie sie es so leicht vermocht hätte, zum
belebenden Herzblut des deutschen Dramas geworden wäre. Gebeug¬
ten Hauptes saß sie im Kerker, nach allen Seiten hin beengt, und
spielte mit den Erscheinungen, die eine aufgeregte Phantasie i>n Fin¬
stern auf die leeren Wände malt, den Dolch furchtsam in die Scheide
steckend, so oft sie die Waffe eines Kerkermeisters klirren hörte. Grill¬
parzer's Muse wollte nicht dem österreichischen Staatsprincipe die
historischen Füße zu küssen, darum schwieg sie; allein auch dieses
Schweigen wird zum Verbrechen, wenn es mir eines kühnen Risses
bedurft hätte, um sich von den heimathlichen Fesseln zu erlösen. Aber
Grillparzer blieb in Oesterreich und seine Muse im Gefängniß.

Grillparzer's Name wird in auswärtigen Didaskalien, in der deut¬
schen Literaturgeschichte wenig genannt, von jedem Oesterreicher jedoch



") Aus einer nächstens erscheinenden Schrift. Siehe Grenzboten Heft 37-
Grenzbot-it, IV. 1840.
Wiens poetische Federn und Schwingen*).



„.
Franz G ritt p a r z e r."

Nicht ohne beklemmendes Weh schreiben wir diesen edlen Dichter-
«amen nieder, der wie ein sich verhüllender Priester durch die deutsche
Literatur geht, nicht genng verhüllt, daß nicht die Strahlen, die eine
Glorie um sein Haupt ziehen, in unsere finstern dramatischen Zustände
ein spärliches Licht geworfen hätten. Aber wie segensreich hätte die¬
ses Licht werden können, wäre es an würdigen Stoffen entzündet wor¬
den! Die Melpomene Grillparzer's, den prächtigsten Sternenmantel ans
den Schultern, durste ihren tragischen Dolch nicht an der höchsten
Aufgabe des dramatischen Dichters, an der vaterländischen Geschichte,
wetzen, sie mußte damit nach hohlen Phantomen zielen und machte da¬
durch kein Blut fließen, das, wie sie es so leicht vermocht hätte, zum
belebenden Herzblut des deutschen Dramas geworden wäre. Gebeug¬
ten Hauptes saß sie im Kerker, nach allen Seiten hin beengt, und
spielte mit den Erscheinungen, die eine aufgeregte Phantasie i>n Fin¬
stern auf die leeren Wände malt, den Dolch furchtsam in die Scheide
steckend, so oft sie die Waffe eines Kerkermeisters klirren hörte. Grill¬
parzer's Muse wollte nicht dem österreichischen Staatsprincipe die
historischen Füße zu küssen, darum schwieg sie; allein auch dieses
Schweigen wird zum Verbrechen, wenn es mir eines kühnen Risses
bedurft hätte, um sich von den heimathlichen Fesseln zu erlösen. Aber
Grillparzer blieb in Oesterreich und seine Muse im Gefängniß.

Grillparzer's Name wird in auswärtigen Didaskalien, in der deut¬
schen Literaturgeschichte wenig genannt, von jedem Oesterreicher jedoch



") Aus einer nächstens erscheinenden Schrift. Siehe Grenzboten Heft 37-
Grenzbot-it, IV. 1840.
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[0181] Wiens poetische Federn und Schwingen*). „. Franz G ritt p a r z e r." Nicht ohne beklemmendes Weh schreiben wir diesen edlen Dichter- «amen nieder, der wie ein sich verhüllender Priester durch die deutsche Literatur geht, nicht genng verhüllt, daß nicht die Strahlen, die eine Glorie um sein Haupt ziehen, in unsere finstern dramatischen Zustände ein spärliches Licht geworfen hätten. Aber wie segensreich hätte die¬ ses Licht werden können, wäre es an würdigen Stoffen entzündet wor¬ den! Die Melpomene Grillparzer's, den prächtigsten Sternenmantel ans den Schultern, durste ihren tragischen Dolch nicht an der höchsten Aufgabe des dramatischen Dichters, an der vaterländischen Geschichte, wetzen, sie mußte damit nach hohlen Phantomen zielen und machte da¬ durch kein Blut fließen, das, wie sie es so leicht vermocht hätte, zum belebenden Herzblut des deutschen Dramas geworden wäre. Gebeug¬ ten Hauptes saß sie im Kerker, nach allen Seiten hin beengt, und spielte mit den Erscheinungen, die eine aufgeregte Phantasie i>n Fin¬ stern auf die leeren Wände malt, den Dolch furchtsam in die Scheide steckend, so oft sie die Waffe eines Kerkermeisters klirren hörte. Grill¬ parzer's Muse wollte nicht dem österreichischen Staatsprincipe die historischen Füße zu küssen, darum schwieg sie; allein auch dieses Schweigen wird zum Verbrechen, wenn es mir eines kühnen Risses bedurft hätte, um sich von den heimathlichen Fesseln zu erlösen. Aber Grillparzer blieb in Oesterreich und seine Muse im Gefängniß. Grillparzer's Name wird in auswärtigen Didaskalien, in der deut¬ schen Literaturgeschichte wenig genannt, von jedem Oesterreicher jedoch ") Aus einer nächstens erscheinenden Schrift. Siehe Grenzboten Heft 37- Grenzbot-it, IV. 1840.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/181>, abgerufen am 05.12.2024.