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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Leipziger Briefe.



I.

Präludium. -- Neumann über China. -- Ulrich von Hütten, von Büret. -- Je¬
suiten; Köverle und Julius. -- Jahrbuch des deutschen Elements in Ungarn. --
Neueste Belletristik; Erschienenes und Erscheinendes. -- Schriften von Ed. Boas.
-- Eine dunkle That von Schücking. -- Louise Mühlbach und Caroline von Göh-
ring. -- Sybille, von Gräfin Hahn-Hahn.

Sie meinen, verehrter wandernder Redacteur, ich säße so zurück¬
gezogen und einsam fest in der leipziger Vorstadt und erhielte und er¬
kaufte so viel Bücher, und verwendete so viel Zeit auf Lectüre, daß
es Ihren Lesern von Interesse sein müßte, wenn ich periodisch und mit
kurzen Worten das schilderte, was ich gelesen. Wichtiges würde ich
mir ja nicht entgehen lassen, und das recensirende Erzählen sei mir ja
doch ein Bedürfniß. Man räume damit auf äußerlich und innerlich, auf
den Büchertischen und im Haupte.

Erwarten Sie nur nichts Systematisches: das Laufende eignet sich
nicht dazu. Erwarten Sie auch nichts Vollständiges: wir erfahren immer
erst nach Jahren, was voll geworden ist und was Stand gehalten --
soll doch endlich auch das Literaturblatt des Morgenblattes mit seiner
heftig ausziehenden Vollständigkeit an ungenügender Theilnahme des
Publikums zu Grabe gehen. Und erschrecken Sie nicht, wenn ich zu¬
weilen und gleich zu Anfange in literarisch ganz unfruchtbare, entlegene
Gegenden mich verliere. Ich befinde mich eben in China, an der Hand
eines ungemein kundigen Führers: Karl Friedrich Neumann ist
der Name desselben. Sie wissen, daß er in München wohnt und daß
die vortrefflichen Berichte über das himmlische Reich in der Allgemeinen
Zeitung von ihm herrühren. Er hat soeben in einem Bande die "Ge¬
schichte des englisch-chinesischen Krieges" herausgegeben, und ich kann
Sie versichern, daß dies Buch ein außerordentliches Interesse gewährt.
Ich möchte sagen, das Interesse eines Romans, wenn dies für solide
Leser nicht zweideutig klänge. Nicht die Phantasie des Autors, aber
eine für uns phantastische Wirklichkeit gibt den romanartigen Reiz.
Und Neumann, der an Ort und Stelle gewesen, schildert nicht nur
lebendig, sondern er schildert von dem Hintergrunde unsres deutschen


Leipziger Briefe.



I.

Präludium. — Neumann über China. — Ulrich von Hütten, von Büret. — Je¬
suiten; Köverle und Julius. — Jahrbuch des deutschen Elements in Ungarn. —
Neueste Belletristik; Erschienenes und Erscheinendes. — Schriften von Ed. Boas.
— Eine dunkle That von Schücking. — Louise Mühlbach und Caroline von Göh-
ring. — Sybille, von Gräfin Hahn-Hahn.

Sie meinen, verehrter wandernder Redacteur, ich säße so zurück¬
gezogen und einsam fest in der leipziger Vorstadt und erhielte und er¬
kaufte so viel Bücher, und verwendete so viel Zeit auf Lectüre, daß
es Ihren Lesern von Interesse sein müßte, wenn ich periodisch und mit
kurzen Worten das schilderte, was ich gelesen. Wichtiges würde ich
mir ja nicht entgehen lassen, und das recensirende Erzählen sei mir ja
doch ein Bedürfniß. Man räume damit auf äußerlich und innerlich, auf
den Büchertischen und im Haupte.

Erwarten Sie nur nichts Systematisches: das Laufende eignet sich
nicht dazu. Erwarten Sie auch nichts Vollständiges: wir erfahren immer
erst nach Jahren, was voll geworden ist und was Stand gehalten —
soll doch endlich auch das Literaturblatt des Morgenblattes mit seiner
heftig ausziehenden Vollständigkeit an ungenügender Theilnahme des
Publikums zu Grabe gehen. Und erschrecken Sie nicht, wenn ich zu¬
weilen und gleich zu Anfange in literarisch ganz unfruchtbare, entlegene
Gegenden mich verliere. Ich befinde mich eben in China, an der Hand
eines ungemein kundigen Führers: Karl Friedrich Neumann ist
der Name desselben. Sie wissen, daß er in München wohnt und daß
die vortrefflichen Berichte über das himmlische Reich in der Allgemeinen
Zeitung von ihm herrühren. Er hat soeben in einem Bande die „Ge¬
schichte des englisch-chinesischen Krieges" herausgegeben, und ich kann
Sie versichern, daß dies Buch ein außerordentliches Interesse gewährt.
Ich möchte sagen, das Interesse eines Romans, wenn dies für solide
Leser nicht zweideutig klänge. Nicht die Phantasie des Autors, aber
eine für uns phantastische Wirklichkeit gibt den romanartigen Reiz.
Und Neumann, der an Ort und Stelle gewesen, schildert nicht nur
lebendig, sondern er schildert von dem Hintergrunde unsres deutschen


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[0147] Leipziger Briefe. I. Präludium. — Neumann über China. — Ulrich von Hütten, von Büret. — Je¬ suiten; Köverle und Julius. — Jahrbuch des deutschen Elements in Ungarn. — Neueste Belletristik; Erschienenes und Erscheinendes. — Schriften von Ed. Boas. — Eine dunkle That von Schücking. — Louise Mühlbach und Caroline von Göh- ring. — Sybille, von Gräfin Hahn-Hahn. Sie meinen, verehrter wandernder Redacteur, ich säße so zurück¬ gezogen und einsam fest in der leipziger Vorstadt und erhielte und er¬ kaufte so viel Bücher, und verwendete so viel Zeit auf Lectüre, daß es Ihren Lesern von Interesse sein müßte, wenn ich periodisch und mit kurzen Worten das schilderte, was ich gelesen. Wichtiges würde ich mir ja nicht entgehen lassen, und das recensirende Erzählen sei mir ja doch ein Bedürfniß. Man räume damit auf äußerlich und innerlich, auf den Büchertischen und im Haupte. Erwarten Sie nur nichts Systematisches: das Laufende eignet sich nicht dazu. Erwarten Sie auch nichts Vollständiges: wir erfahren immer erst nach Jahren, was voll geworden ist und was Stand gehalten — soll doch endlich auch das Literaturblatt des Morgenblattes mit seiner heftig ausziehenden Vollständigkeit an ungenügender Theilnahme des Publikums zu Grabe gehen. Und erschrecken Sie nicht, wenn ich zu¬ weilen und gleich zu Anfange in literarisch ganz unfruchtbare, entlegene Gegenden mich verliere. Ich befinde mich eben in China, an der Hand eines ungemein kundigen Führers: Karl Friedrich Neumann ist der Name desselben. Sie wissen, daß er in München wohnt und daß die vortrefflichen Berichte über das himmlische Reich in der Allgemeinen Zeitung von ihm herrühren. Er hat soeben in einem Bande die „Ge¬ schichte des englisch-chinesischen Krieges" herausgegeben, und ich kann Sie versichern, daß dies Buch ein außerordentliches Interesse gewährt. Ich möchte sagen, das Interesse eines Romans, wenn dies für solide Leser nicht zweideutig klänge. Nicht die Phantasie des Autors, aber eine für uns phantastische Wirklichkeit gibt den romanartigen Reiz. Und Neumann, der an Ort und Stelle gewesen, schildert nicht nur lebendig, sondern er schildert von dem Hintergrunde unsres deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/147>, abgerufen am 05.12.2024.