Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.T a g e b u eh. i. Aus Leipzig. Meß-Freuden und Leiden. -- Der '18. October. -- Kühnes "Europa." -- Unter¬ haltungen auf dem Museum. -- Zeitungs-Concessionen in Kriegsjahren. -- Der erste Siegevbericht und I)r. Becker. Die Michaelismesse ist überstanden und die Leipziger rücken in ihre Es war ein sinniger Zufall in diesem Jahre, daß der letzte Meßtaq T a g e b u eh. i. Aus Leipzig. Meß-Freuden und Leiden. — Der '18. October. — Kühnes „Europa." — Unter¬ haltungen auf dem Museum. — Zeitungs-Concessionen in Kriegsjahren. — Der erste Siegevbericht und I)r. Becker. Die Michaelismesse ist überstanden und die Leipziger rücken in ihre Es war ein sinniger Zufall in diesem Jahre, daß der letzte Meßtaq <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183699"/> </div> </div> <div n="1"> <head> T a g e b u eh.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> i.<lb/> Aus Leipzig.</head><lb/> <note type="argument"> Meß-Freuden und Leiden. — Der '18. October. — Kühnes „Europa." — Unter¬<lb/> haltungen auf dem Museum. — Zeitungs-Concessionen in Kriegsjahren. — Der<lb/> erste Siegevbericht und I)r. Becker.</note><lb/> <p xml:id="ID_318"> Die Michaelismesse ist überstanden und die Leipziger rücken in ihre<lb/> Winterquartiere. Dies ist buchstäblich zu nehmen. Beim Herannahen<lb/> der Meßfremden verlaßt halb Leipzig seine Quartiere, wie beim Heran¬<lb/> nahen einer feindlichen Armee. Man zieht in die kleinen Hinterstübchen,<lb/> auf den Boden, in den Keller. Die großen Familienwohnungen werden<lb/> geräumt und die fremden Heerschaaren schlagen ihre Zelte darin auf, zün¬<lb/> den ihre Wachtfeuer darin an. Das trauliche Familienzimmer, das ein<lb/> kaum eingesegnetes junges Ehepaar zum stillen Hochzcitstempel eingeweiht,<lb/> wird schnell wieder geräumt, um einem Lederfabrikanten oder Pelzhändler<lb/> Platz für seine Waaren zu machen, die geheiligte Stube, wo eine junge<lb/> Mutter so eben ihre ersten Mutterfreuden gefeiert, wird zu einem Ma¬<lb/> gazin für Schweineborsten und Quincaillerien, in der bequemen Kammer,<lb/> wo der blinde Großvater die letzten Lebensjahre an den gewohnten Wan¬<lb/> den herumtappt, hat ein Pariser Friseur seine Haartouren und k'vini»»'»<lb/> <1e I^ion feil. Alles ist vermiethet, umgestürzt, entweiht. Die Hälfte<lb/> der Leipziger Einwohner wohnt unter der Bedingung, daß sie zwei volle<lb/> Monate nicht wohnen darf. Ist ein solcher Feldlager-Monat endlich<lb/> Vorüber, ziehen die feindlichen Heeresschaaren endlich fort, so kriechen die<lb/> Einheimischen aus ihren Löchern hervor, in welchen sie sich die trübe Zeit<lb/> über verborgen hielten, betrachten die Zerstörung, die Risse in Dielen,<lb/> Mauern und Tapeten mit traurigen Blicken, und haben dabei nur den<lb/> einzigen Trost, daß der Feind nicht sie geplündert, sondern umgekehrt,<lb/> daß sie den Feind gebrandschatzt haben und er ihnen jeden Ritz in der<lb/> Wand und jedes Loch in der Thüre mit schwerem Gelde bezahlen mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_319" next="#ID_320"> Es war ein sinniger Zufall in diesem Jahre, daß der letzte Meßtaq<lb/> am 17. October war und der erste Befreiungstag auf den 18. October<lb/> siel, auf den Tag, wo bei Leipzig die große Völker- und Befreiungs-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
T a g e b u eh.
i.
Aus Leipzig.
Meß-Freuden und Leiden. — Der '18. October. — Kühnes „Europa." — Unter¬
haltungen auf dem Museum. — Zeitungs-Concessionen in Kriegsjahren. — Der
erste Siegevbericht und I)r. Becker.
Die Michaelismesse ist überstanden und die Leipziger rücken in ihre
Winterquartiere. Dies ist buchstäblich zu nehmen. Beim Herannahen
der Meßfremden verlaßt halb Leipzig seine Quartiere, wie beim Heran¬
nahen einer feindlichen Armee. Man zieht in die kleinen Hinterstübchen,
auf den Boden, in den Keller. Die großen Familienwohnungen werden
geräumt und die fremden Heerschaaren schlagen ihre Zelte darin auf, zün¬
den ihre Wachtfeuer darin an. Das trauliche Familienzimmer, das ein
kaum eingesegnetes junges Ehepaar zum stillen Hochzcitstempel eingeweiht,
wird schnell wieder geräumt, um einem Lederfabrikanten oder Pelzhändler
Platz für seine Waaren zu machen, die geheiligte Stube, wo eine junge
Mutter so eben ihre ersten Mutterfreuden gefeiert, wird zu einem Ma¬
gazin für Schweineborsten und Quincaillerien, in der bequemen Kammer,
wo der blinde Großvater die letzten Lebensjahre an den gewohnten Wan¬
den herumtappt, hat ein Pariser Friseur seine Haartouren und k'vini»»'»
<1e I^ion feil. Alles ist vermiethet, umgestürzt, entweiht. Die Hälfte
der Leipziger Einwohner wohnt unter der Bedingung, daß sie zwei volle
Monate nicht wohnen darf. Ist ein solcher Feldlager-Monat endlich
Vorüber, ziehen die feindlichen Heeresschaaren endlich fort, so kriechen die
Einheimischen aus ihren Löchern hervor, in welchen sie sich die trübe Zeit
über verborgen hielten, betrachten die Zerstörung, die Risse in Dielen,
Mauern und Tapeten mit traurigen Blicken, und haben dabei nur den
einzigen Trost, daß der Feind nicht sie geplündert, sondern umgekehrt,
daß sie den Feind gebrandschatzt haben und er ihnen jeden Ritz in der
Wand und jedes Loch in der Thüre mit schwerem Gelde bezahlen mußte.
Es war ein sinniger Zufall in diesem Jahre, daß der letzte Meßtaq
am 17. October war und der erste Befreiungstag auf den 18. October
siel, auf den Tag, wo bei Leipzig die große Völker- und Befreiungs-
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