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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ganz in der Ordnung, da es für das preußische Blatt die nächste Auf¬
gabe war, den Preußen die si e betreffende Lügen, von deren Werth jeder
Preuße sich aus der Nahe überzeugen konnte, vor Augen zu legen.
Nun aber erhielt unsere privilegirte Wiener Hofzeitung den Auftrag
diesen Artikel nachzudrucken. Für ihren Zweck wäre ein umgekehrtes
Verfahren vorgeschrieben gewesen, sie hätte die Lügennachrichten über
Oesterreich mit durchschossenen Lettern geben müssen, während sie die
Lügen über Preußen mit gewöhnlicher Schrift hätte lassen können.
Die hochlöbliche, hochpolitische und hochweise Wiener Hofzeitungs-Re-
daction druckt aber den Artikel ganz in der Weise wie die Preußische
Allgemeine ab, so daß es aussah, als wollte sie sagen: "Hört, hört!
In Eöln, das blos hundert Meilen von Wien liegt, sollen sich frei¬
willige Vereine gebildet haben -- welche offenbare Lüge, von der in
sechs Tagen sich Jedermann durch Briefe überzeugen kann; daß der
Erzherzog von Este sich nach Prag geflüchtet haben soll, ist wahrscheinlich
auch eine Lüge -- aber da Prag blos eine Tagreise von Wien liegt,
so ist der Beweis nicht so eclatant!"


V.
Notizen.

Der Sultan auf Reisen. -- Deutsche Zeitungstugcnd. -- Katholiken und
Protestanten in Oesterreich. -- Bnichtigung.

Mit der Civilisation in der Türkei wird es Ernst. Daß in
Constantinopel ein förmliches Postbureau errichtet worden ist und
daß die türkische Polizei eine elegante Uniform erhalten hat, ist be¬
kannt. Die ottomanische Staatszeitung meldet nun einen neuen
Schritt nach Vorwärts. Seine Hoheit, Sultan Abdul Medschid,
will, eingedenk der Forderungen des Jahrhunderts, in allerhöchst eige¬
ner Person einen Theil seines Reiches in Augenschein nehmen und
zu diesem Zweck eine Reise von mehr als 50 deutschen Meilen wagen.
Es ist zu bemerken, daß der Nachfolger des Propheten dabei eine
größere Selbstverleugnung beweist, als seine abendländischen Collegen
denn er opfert auf ein Paar Wochen seine theuersten Güter: Ruhe
und Bequemlichkeit, von dem täglichen Brod der Haremsfreuden, die er
entbehren wird, gar nicht zu sprechen. Die türkische Staatszeitung
beschließt ihren Bericht über diesen großartigen Entschluß des Padi-
Ichah mit einem feierlichen Gebet zu Gott. Eben so werden die ge¬
treuen Unterthanen aufgefordert, in allen Moscheen von Stambul zu
beten, daß der Himmel Seine Hoheit unterwegs beschützen möge.
Uebrigens wird der Sultan, damit er nicht zu viel sehe, vom Groß-
vezier und Kapudan Pascha begleitet werden.

Die deutschen Zeitungen hatten wieder ein Mal Gelegenheit ge¬
habt, mit ihrer Tugend Parade zu machen. Keine einzige hat sich


ganz in der Ordnung, da es für das preußische Blatt die nächste Auf¬
gabe war, den Preußen die si e betreffende Lügen, von deren Werth jeder
Preuße sich aus der Nahe überzeugen konnte, vor Augen zu legen.
Nun aber erhielt unsere privilegirte Wiener Hofzeitung den Auftrag
diesen Artikel nachzudrucken. Für ihren Zweck wäre ein umgekehrtes
Verfahren vorgeschrieben gewesen, sie hätte die Lügennachrichten über
Oesterreich mit durchschossenen Lettern geben müssen, während sie die
Lügen über Preußen mit gewöhnlicher Schrift hätte lassen können.
Die hochlöbliche, hochpolitische und hochweise Wiener Hofzeitungs-Re-
daction druckt aber den Artikel ganz in der Weise wie die Preußische
Allgemeine ab, so daß es aussah, als wollte sie sagen: „Hört, hört!
In Eöln, das blos hundert Meilen von Wien liegt, sollen sich frei¬
willige Vereine gebildet haben — welche offenbare Lüge, von der in
sechs Tagen sich Jedermann durch Briefe überzeugen kann; daß der
Erzherzog von Este sich nach Prag geflüchtet haben soll, ist wahrscheinlich
auch eine Lüge — aber da Prag blos eine Tagreise von Wien liegt,
so ist der Beweis nicht so eclatant!"


V.
Notizen.

Der Sultan auf Reisen. — Deutsche Zeitungstugcnd. — Katholiken und
Protestanten in Oesterreich. — Bnichtigung.

Mit der Civilisation in der Türkei wird es Ernst. Daß in
Constantinopel ein förmliches Postbureau errichtet worden ist und
daß die türkische Polizei eine elegante Uniform erhalten hat, ist be¬
kannt. Die ottomanische Staatszeitung meldet nun einen neuen
Schritt nach Vorwärts. Seine Hoheit, Sultan Abdul Medschid,
will, eingedenk der Forderungen des Jahrhunderts, in allerhöchst eige¬
ner Person einen Theil seines Reiches in Augenschein nehmen und
zu diesem Zweck eine Reise von mehr als 50 deutschen Meilen wagen.
Es ist zu bemerken, daß der Nachfolger des Propheten dabei eine
größere Selbstverleugnung beweist, als seine abendländischen Collegen
denn er opfert auf ein Paar Wochen seine theuersten Güter: Ruhe
und Bequemlichkeit, von dem täglichen Brod der Haremsfreuden, die er
entbehren wird, gar nicht zu sprechen. Die türkische Staatszeitung
beschließt ihren Bericht über diesen großartigen Entschluß des Padi-
Ichah mit einem feierlichen Gebet zu Gott. Eben so werden die ge¬
treuen Unterthanen aufgefordert, in allen Moscheen von Stambul zu
beten, daß der Himmel Seine Hoheit unterwegs beschützen möge.
Uebrigens wird der Sultan, damit er nicht zu viel sehe, vom Groß-
vezier und Kapudan Pascha begleitet werden.

Die deutschen Zeitungen hatten wieder ein Mal Gelegenheit ge¬
habt, mit ihrer Tugend Parade zu machen. Keine einzige hat sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/91>, abgerufen am 24.11.2024.