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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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um, Mähren, Krain, Niederösterreich und andern Landestheilen,
wo die Gutsunterthanigkeit und die Frohnverpflichtung noch in den
schroffsten Formen bestehen, Aehnliches zu bieten und das Werk der
Reform im colossalsten Maßstab durchzuführen. Wer die Scheu der
österreichischen Negierungspolitik vor allen durchgreifenden , radikalen
Neuerungen kennt, der kann sich leicht die bittersüße Miene vor¬
stellen , mit welcher man sich bei den Bauern für ihre Treue bedankt.
Es muß auffallen, daß in dem Manifest an die treuen Bewohner
Galiziens mit keiner Sylbe davon Erwähnung geschieht, ob man diese
Vorfalle benutzen werde, um dem Volke jene Erleichterung zu ver¬
schaffen, auf die es nach Recht und Billigkeit die gültigsten Ansprüche
hat. Der Zehntablösung steht indeß die Armuth der Landleute hin¬
derlich im Wege und der wirksamen Einmischung der Staatsverwaltung
hinwieder die Geprcßthcit des Schatzes. Jedermann fühlt und sagt,
daß etwas geschehen müsse, aber Niemand kann eigentlich sagen Was
oder vielmehr Wie.

2.

Neue Procedur der officiellen Presse. -- Die Oesterreicher und ihre Bor¬
mundschaft. -- Preußen und Oesterreich. -- Curiöse Historia von den unsterb¬
lichen Thaten der wiener Hofzeitung.

Der österreichische Beobachter, der Jahre lang ein stummer Be¬
obachter war, hat in den letzten Wochen sein Schweigen wieder gebro¬
chen und das Publicum auf dem Laufenden mit den Nachrichten aus
Galizien erhalten. Dabei ist nichts Merkwürdiges; denn am Ende
kann doch die Regierung nicht verheimlichen wollen, daß es in Gali¬
zien Unruhen gab, oder vielmehr noch gäbe. Was aber in der That
merkwürdig für Jedermann bleibt, der unsere Zustände kennt, ist der-
Umstand, daß das Regierungsblatt die feindseligen Berichte der polnischen
Flüchtlinge, so wie auch Bruchstücke aus dem Buche "Einige Wahr¬
heiten für das polnische Volk", mit einigen commentarischen Worten
versehen abgedruckt hat. Die Existenz solcher Artikel und Schriften
mußten bisher dem Publicum stets ein Geheimniß bleiben. Daß die
Regierung jetzt selbst auf derlei Angrisse aufmerksam macht, und an
das gesund- Urtheil des Publicums, an die Gerechtigkeit der öffent¬
lichen Meinung appellirt gegen die Verläumdungen, die man gegen sie
ausgesprengt, dieses ist ein Beweis, daß man auf das Zutrauen
und den gesunden Sinn des österreichischen Bürgers rechnen zu kön¬
nen glaubt, ein Fortschritt, den Jeder, der es mit seinem Vaterlande
ehrlich meint, längst herbei gewünscht hat. Der Mangel an Ver¬
trauen, den die Negierung uns bisher in ihrem System gezeigt, indem
sie durch die abgeschmackteste Censur in den geringfügigsten Dingen
bewies, daß man die österreichischen Völker für so bornirt und zwei-


um, Mähren, Krain, Niederösterreich und andern Landestheilen,
wo die Gutsunterthanigkeit und die Frohnverpflichtung noch in den
schroffsten Formen bestehen, Aehnliches zu bieten und das Werk der
Reform im colossalsten Maßstab durchzuführen. Wer die Scheu der
österreichischen Negierungspolitik vor allen durchgreifenden , radikalen
Neuerungen kennt, der kann sich leicht die bittersüße Miene vor¬
stellen , mit welcher man sich bei den Bauern für ihre Treue bedankt.
Es muß auffallen, daß in dem Manifest an die treuen Bewohner
Galiziens mit keiner Sylbe davon Erwähnung geschieht, ob man diese
Vorfalle benutzen werde, um dem Volke jene Erleichterung zu ver¬
schaffen, auf die es nach Recht und Billigkeit die gültigsten Ansprüche
hat. Der Zehntablösung steht indeß die Armuth der Landleute hin¬
derlich im Wege und der wirksamen Einmischung der Staatsverwaltung
hinwieder die Geprcßthcit des Schatzes. Jedermann fühlt und sagt,
daß etwas geschehen müsse, aber Niemand kann eigentlich sagen Was
oder vielmehr Wie.

2.

Neue Procedur der officiellen Presse. — Die Oesterreicher und ihre Bor¬
mundschaft. — Preußen und Oesterreich. — Curiöse Historia von den unsterb¬
lichen Thaten der wiener Hofzeitung.

Der österreichische Beobachter, der Jahre lang ein stummer Be¬
obachter war, hat in den letzten Wochen sein Schweigen wieder gebro¬
chen und das Publicum auf dem Laufenden mit den Nachrichten aus
Galizien erhalten. Dabei ist nichts Merkwürdiges; denn am Ende
kann doch die Regierung nicht verheimlichen wollen, daß es in Gali¬
zien Unruhen gab, oder vielmehr noch gäbe. Was aber in der That
merkwürdig für Jedermann bleibt, der unsere Zustände kennt, ist der-
Umstand, daß das Regierungsblatt die feindseligen Berichte der polnischen
Flüchtlinge, so wie auch Bruchstücke aus dem Buche „Einige Wahr¬
heiten für das polnische Volk", mit einigen commentarischen Worten
versehen abgedruckt hat. Die Existenz solcher Artikel und Schriften
mußten bisher dem Publicum stets ein Geheimniß bleiben. Daß die
Regierung jetzt selbst auf derlei Angrisse aufmerksam macht, und an
das gesund- Urtheil des Publicums, an die Gerechtigkeit der öffent¬
lichen Meinung appellirt gegen die Verläumdungen, die man gegen sie
ausgesprengt, dieses ist ein Beweis, daß man auf das Zutrauen
und den gesunden Sinn des österreichischen Bürgers rechnen zu kön¬
nen glaubt, ein Fortschritt, den Jeder, der es mit seinem Vaterlande
ehrlich meint, längst herbei gewünscht hat. Der Mangel an Ver¬
trauen, den die Negierung uns bisher in ihrem System gezeigt, indem
sie durch die abgeschmackteste Censur in den geringfügigsten Dingen
bewies, daß man die österreichischen Völker für so bornirt und zwei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/89>, abgerufen am 24.11.2024.